Quelle: HBS
Service aktuellWSI-Verteilungsbericht: Keine Entwarnung in Sachen Ungleichheit
Nach Jahren steigender Einkommensungleichheit ist dieser Trend Ende der 2010er-Jahre zum Erliegen gekommen. Die Corona-Pandemie könnte jedoch dafür sorgen, dass sich die Ungleichheit wieder verschärft. Von Bettina Kohlrausch.
Die sich öffnende Schere zwischen arm und reich ist bis heute ein beliebtes Bild in Gerechtigkeitsdebatten. Es ist richtig, dass die Einkommensungleichheit ab den 1990er-Jahren stark gestiegen ist. Seit den späteren 2010er-Jahren hat sich die Situation jedoch gemessen am oft verwendeten Gini-Koeffizienten auf höherem Niveau etwas entspannt. Schließt sich also die viel zitierte Schere wieder?
Der neue WSI-Verteilungsbericht untermauert zunächst diesen ermutigenden Befund. Die Analyse zeigt darüber hinaus, dass die Angst vor Arbeitslosigkeit und die Sorge um die persönliche finanzielle Situation im vergangenen Jahrzehnt in der Mittelschicht abgenommen haben, wenngleich sich viele Menschen weiterhin große Sorgen um ihre Altersversorgung machen und die Angst um die eigene finanzielle Situation weiterhin groß ist.
Die positive Einkommensentwicklung und die stabilen Perspektiven finden sich vor allem bei dem Teil der Mittelschicht, der in die bewährten Strukturen des deutschen Arbeitsmarktes integriert sind. Dazu zählen etwa sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, Tarifverträge und Mitbestimmung.
Durch die Corona-Pandemie könnte sich die Einkommensungleichheit jedoch wieder verschärfen. 45 bzw. 47 Prozent der Einkommensmitte und der oberen Mittelschicht berichten im Zuge der Pandemie von Einkommenseinbußen. Unter den Personen mit niedrigen Einkommen und der unteren Mittelschicht - also bei jenen Gruppen, deren Lage schon vor der Pandemie deutlich prekärer war - sind es sogar 62 und 54 Prozent.
Das WSI empfiehlt daher, den Niedriglohnsektor zu verkleinern, etwa durch einen höheren Mindestlohn und eine Stärkung der Tarifbindung sowie den Wirkungskreis der sozialen Sicherung auszuweiten. Auch der klimaverträgliche Umbau der Wirtschaft muss so gestaltet werden, dass sichere und gute Jobs in Deutschland erhalten bleiben.
Dass ein Fokus auf soziale Balance auch zum politischen Erfolg führen kann, zeigt eine weitere neue WSI-Studie. Eine Auswertung der neuen Welle der Erwerbspersonenbefragung der Hans-Böckler-Stiftung nach der Bundestagswahl kommt zu dem Ergebnis, dass es der SPD gelungen ist, Menschen aus ihrer Kernklientel wieder stärker an sich zu binden. Hierunter sind viele Menschen, die in Branchen wie dem Gastgewerbe, im Gesundheitssektor oder in der Logistik arbeiten, teilweise in Mini- oder Teilzeitjobs. Es sind also jene zur SPD gewechselt, die es schwer haben in der „neuen prekären Arbeitswelt", zu der die Agenda 2010 beigetragen hat.
Prof. Dr. Bettina Kohlrausch ist Wissenschaftliche Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung (WSI).
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