Quelle: Schöne/HBS
Service aktuell70 Jahre Betriebsverfassungsgesetz: Demokratie ist immer „in Arbeit“
70 Jahre Betriebsverfassungsgesetz - das wollen wir in der kommenden Woche zum Anlass nehmen, grundlegender über die Demokratisierung der Arbeitswelt nachzudenken. WSI-Direktorin Bettina Kohlrausch schreibt, warum uns das Thema gerade jetzt so am Herzen liegt.
[31.10.2022]
Es war ein Meilenstein: Im Herbst 1952, vor ziemlich genau 70 Jahren, trat das Betriebsverfassungsgesetz inkraft. Es legte die Grundlage für die betriebliche Mitbestimmung in der damals noch jungen BRD. Das Gesetz hat seitdem einige Reformen erfahren und bleibt doch reformierungsbedürftig. Der DGB hat im Frühjahr dieses Jahres umfangreiche Vorschläge für eine dringend notwendige Modernisierung vorgelegt. Demokratie ist eben immer „in Arbeit“.
In der kommenden Woche wollen wir den runden Geburtstag des Betriebsverfassungsgesetzes zum Anlass nehmen, grundlegender über die Demokratisierung der Arbeitswelt nachzudenken: Mit dem Festakt „Demokratie in Arbeit“ mit Bundeskanzler Olaf Scholz, der DGB-Vorsitzenden Yasmin Fahimi und vielen weiteren Gästen am 7. November und - aus wissenschaftlicher Perspektive - auf unserem diesjährigen WSI-Herbstforum am 8. November. Beide Tage werden im Livestream auf boeckler.de übertragen und eine Anmeldung für das Herbstforum ist noch möglich.
Doch warum ist uns dieses Thema so wichtig, auch und gerade in Zeiten multipler Krisen im Land, in Europa und der Welt? Demokratie muss gelebt werden, um sich entfalten und wirksam werden zu können. In welchem Ausmaß Menschen dies auch tatsächlich tun können und wollen, hängt auch davon ab, unter welchen Bedingungen sie arbeiten und ob in der Erwerbsarbeit selbst Demokratie gelebt wird.
Gewerkschaftliche Kämpfe haben viel dazu beigetragen, die Arbeitswelt zu humanisieren und zu demokratisieren und die sozialen und demokratischen Rechte von Erwerbstätigen zu sichern. Beispiele hierfür sind die Durchsetzung humaner Arbeitszeiten oder die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, der Arbeits- und Kündigungsschutz, die betriebliche und die Unternehmensmitbestimmung ebenso wie die Tarifautonomie.
Diese Rechte sichern materielle sowie demokratische Teilhabe, denn beide Aspekte von Teilhabe gehören zusammen und garantieren erst in Kombination soziale Anerkennung und gesellschaftliche Integration.
Eine funktionierende Mitbestimmung ist daher auch ein wichtiges Instrument, um die sozial-ökologische Transformation demokratisch zu gestalten. Aus unserer Forschung wissen wir, dass mitbestimmter Wandel meist nicht nur innovativer und erfolgreicher ist, sondern, dass er auch als weniger bedrohlich wahrgenommen wird. Menschen, die demokratische Rechte am Arbeitsplatz wahrnehmen, fühlen sich durch die Digitalisierung und den ökologischen Umbau der Wirtschaft weniger bedroht und sie neigen seltener zu anti-demokratischen Einstellungen.
Wenn wir die Transformationsprozesse, die auf uns zu kommen, so gestalten wollen, dass wir am Ende in einer besseren Gesellschaft leben, sollten wir sie demokratisch organisieren. Eine moderne betriebliche Mitbestimmung ist hierfür ein wichtiger Baustein.
Bettina Kohlrausch ist die Wissenschaftliche Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung.
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