Quelle: Karsten Schöne
StipendienPreisträger*innen 2019: Sarah Schulz: Die Widerständigkeit alttestamentlicher Texte
Ihr Ausgrabungsfeld ist keine prähistorische Stätte, keine antike Stadt – sondern das Alte Testament.
Dr. Sarah Schulz ist evangelische Theologin, doch was sie über ihre Arbeitsweise erzählt, lässt an eine Archäologin denken: Schulz legt Spuren vergangener Kulturen frei, Schicht um Schicht und sehr behutsam. Ihr Ausgrabungsfeld aber ist keine prähistorische Stätte, keine antike Stadt – sondern das Alte Testament.
„Die historische und kulturelle Bedeutung alttestamentlicher Texte ist unbestritten“, erklärt die Akademische Rätin an der Universität Erlangen-Nürnberg. „Ihren Sinngehalt geben sie aber erst preis, wenn man ihre Entstehung und den Kontext ihrer Entstehung zu rekonstruieren versucht.“ Und das ist, was Schulz tut, durch das vorsichtige Freilegen von Textschichten: Wann sind die Texte entstanden? Wie haben sich die Vorstellungen und Ideale durch Ergänzungen oder Korrekturen des Textes entwickelt?
Die Theologin, geboren 1982, hat in ihrer Geburtsstadt Göttingen, in Berlin und – was sie nach eigenen Worten am meisten inspiriert hat – in Jerusalem studiert. „Am Ort des Geschehens erschließt sich die Bedeutung des historischen Kontexts für das Verständnis biblischer Texte noch einmal auf eine neue und eindrückliche Weise“, sagt sie. Und ein Ort wie Jerusalem, der seit Jahrhunderten wie kein zweiter als Symbol für religiös aufgeladene Kriege und Konflikte steht, bestätigt zudem, was die Wissenschaftlerin über die Aktualität ihrer Forschung sagt: „Biblische Texte müssen in ihrer eigenen, und fremden Welt erfasst und verstanden werden, bevor sie für die Gegenwart fruchtbar gemacht werden können“, meint Schulz. „Nimmt man ihre Vielfältigkeit, Eigenheit und Widerständigkeit ernst, beugt dies zugleich ihrer Instrumentalisierung oder Verabsolutierung vor.“
In ihrer Doktorarbeit, ausgezeichnet mit dem Hanns-Lilje-Preis der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, unterzog Schulz das Richterbuch des Alten Testaments einer solchen historisch-kritischen Exegese. In ihrem Habilitationsprojekt untersucht sie nun anhand exemplarischer Bibeltexte, wie sich das Amt des Jerusalemer Hohepriesters als religiöses und politisches Führungsamt zwischen dem sechsten und dem ersten vorchristlichen Jahrhundert herausgebildet und entwickelt haben könnte. „Dabei stellt die Bestimmung des Verhältnisses von Text und Realität eine besondere Herausforderung dar“, sagt die Theologin.
Zwar sei literarisch gut greifbar, wie königliche Prädikate und Funktionen nach und nach auf den Hohepriester übertragen wurden. Aber spiegeln sich in den Texten tatsächliche politische Verhältnisse? Oder handelt es sich um programmatische Texte, die nicht der Realität, sondern einem Ideal verpflichtet.