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Bild von Judith Purkarthofer Stipendien

Preisträger*innen 2024: Judith Purkarthofer: Mehrsprachigkeit zwischen Teilhabe und Diskriminierung

„Zugang zu (neuen) Sprachen ist wahnsinnig schön und ermächtigend – aber Sprachen haben eben auch das Potenzial, sehr mächtige Ausschlüsse bis hin zu traumatischen Erfahrungen zu provozieren“,

Das Thema, sagt Judith Purkarthofer, treibe sie um, solange sie sich erinnern kann: „Was erfahren wir über Menschen, wenn sie sprechen?“ Nicht nur durch das, was sie sagen, sondern wie sie es tun. Mit welchen Worten, welcher Sprache – und wodurch wird das eigentlich beeinflusst? In den Worten der Soziolinguistin: „Warum nutzen Sprecher*innen welche Teile ihres sprachlichen Repertoires, das sich im Lauf ihrer Biografie verändert?“ Die Juniorprofessorin an der Universität Duisburg-Essen geht diesen Fragen nach, indem sie sich mit Kindern und Erwachsenen beschäftigt, die mehrsprachig aufwachsen und leben. „Sprachliche Entscheidungen in Familien folgen oft auf Verhandlungen“, sagt Purkarthofer. „In manchen Lebensphasen ist dieses Spracherleben jedoch auch von individuellen und gesellschaftlichen Konflikten geprägt.“

Was das im Einzelnen bedeutet und wie es sich auswirkt, beleuchtet die Sprachwissenschaftlerin mit ihrer Forschung von ganz verschiedenen Seiten. Sie untersucht zum Beispiel im internationalen Vergleich, wie Herkunftssprachen erhalten werden können, wenn Kinder in einer Pflegefamilie untergebracht werden. So möchte sie den sprachlichen Aushandlungsprozessen in mehrsprachigen Familien – in der Forschung wird das „Familiensprachenpolitiken“ genannt – auf den Grund gehen. Und sie analysiert, welche Rolle Kitas und Schulen für Teilhabe und Förderung spielen können, wenn sie nicht, wie zumeist noch, nur „einsprachig gedacht“ werden. „Sprache kann gebraucht werden, um zu diskriminieren, aber auch, um sich dagegen zu wehren“, erklärt die Forscherin. „Dieser Zusammenhang interessiert mich.“

Purkarthofer, geboren 1983 in Wien und Mutter zweier Kinder, hat Allgemeine und Angewandte Sprachwissenschaften in Wien und Paris studiert. Ihre Doktorarbeit schrieb sie über den „Sprachort Schule“. Anschließend forschte sie am „Center for Multilingualism in Society across the Lifespan“ an der Universität Oslo in Norwegen und war wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Humboldt-Universität zu Berlin, bevor sie 2020 die Juniorprofessur für Germanistische Linguistik an der Universität Duisburg-Essen übernahm. Schwerpunkt: sprachliche Integration.

„Zugang zu (neuen) Sprachen ist wahnsinnig schön und ermächtigend – aber Sprachen haben eben auch das Potenzial, sehr mächtige Ausschlüsse bis hin zu traumatischen Erfahrungen zu provozieren“, sagt sie. „Und diese minimalen Verschiebungen, die dazu führen, dass man sich in manchen Situationen ganz entspannt und in anderen ganz fehl am Platz fühlt, das erstaunt und fasziniert mich immer wieder.“ Fragt man Purkarthofer nach besonders prägenden Stationen ihres Lebenslaufs, fällt ihr auch ein „ganz kleines Erlebnis“ aus ihrem Erasmus-Aufenthalt in Paris ein. Für ein freies Radio habe sie damals Menschen auf einem Bürgerfest befragen sollen. Obwohl ihr Französisch noch nicht so gut gewesen sei, habe sie sich getraut – und es sei dann gar nicht schwer gewesen. „Seither genieße ich es, wenn ich für ein Projekt oder im wissenschaftlichen Auftrag Fragen stellen und mit Menschen in Kontakt kommen kann“, erzählt Purkarthofer. „Wenn ich keinen Auftrag habe, bin ich wesentlich schüchterner.“

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