Quelle: Frank Rumpenhorst
StipendienPreisträger*innen 2022: Svenja Flechtner: Wie Ungleichheit entsteht und erhalten bleibt
„Mich treibt die Hoffnung an, die Welt durch die Analyse von gesellschaftlich relevanten Problemen ein kleines bisschen besser zu machen“
Fragt man Svenja Flechtner, warum sie tut, was sie tut, dann fällt die Antwort so kurz wie klar aus. „Mich treibt die Hoffnung an, die Welt durch die Analyse von gesellschaftlich relevanten Problemen ein kleines bisschen besser zu machen“, sagt die Juniorprofessorin für Plurale Ökonomik an der Universität Siegen. Bereits seit ihrer Doktorarbeit, die 2017 mit dem Egon-Matzner-Preis für Sozioökonomie der Technischen Universität Wien ausgezeichnet wurde, beschäftigt sich die Wirtschaftswissenschaftlerin intensiv mit sozialen und ökonomischen Ungleichheiten – wie sie entstehen und warum sie so langlebig sind. „Wir erleben gesellschaftliche Polarisierungen und soziale Missstände auf zahlreichen Ebenen“, erklärt Flechtner. „Um diese Probleme angehen zu können, ist es wichtig, die ökonomischen Mechanismen hinter der Reproduktion von Ungleichheiten zu verstehen.“
Für Flechtner, geboren 1985 in Aachen und Mutter eines kleines Sohnes, ist das nicht bloß Theorie. Sie weiß auch aus praktischer Anschauung, was Ungleichheit im globalen Rahmen bedeutet. Die Ökonomin, die in Passau und an der Pariser Sorbonne studierte und an der Europa-Universität Flensburg promoviert wurde, hat Praktika am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) und bei der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (giz) absolviert. Für Forschungsaufenthalte reiste sie nicht nur nach Oxford, sondern mehrfach auch in die Dominikanische Republik, wo sie bereits als Schülerin ein Austauschjahr verbracht hatte. Eine prägende Erfahrung, wie Flechtner berichtet.
Ihre aktuellen Forschungsprojekte – gleich drei sind es, die sie allesamt im Team mit anderen Wissenschaftler*innen bearbeitet – widmen sich allerdings vor allem der deutschen Gesellschaft. Zusammen mit Carlo D‘Ippoliti (Sapienza Unviersität Rom) untersucht Flechtner, wie Einkommensunterschiede von Männern und Frauen dadurch beeinflusst werden, dass sie sich nach dem Abitur für unterschiedliche Karrierewege entscheiden – und welche Faktoren bei dieser folgenreichen Entscheidung eine Rolle spielen. Mit Inga Hardeck (Universität Regensburg) stellt sie die frühere Forschungsmeinung auf den Prüfstand, dass eine Anhebung der Gewerbesteuer zu Lasten der Beschäftigten gehe: Ist es wirklich plausibel, dass Unternehmen die höhere Steuerlast über geringere Lohnerhöhungen an ihre Belegschaften weiterreichen?
Mit einem Team der Universität Siegen erforscht Flechtner schließlich das Leben von Charlotte Leubuscher (1888-1961). Die erste habilitierte Volkswirtin in Deutschland musste nach der Machtübernahme durch die Nazis, die sie als „Halbjüdin“ verfolgten, nach England emigrieren. „Leider ist ihre wichtige Arbeit im Bereich der Entwicklungsökonomik in Vergessenheit geraten“, sagt Flechtner. „Wir erforschen ihr Wirken und ihre Biografie und möchten damit auch einen Beitrag zur Geschichte unseres Fachs sowie zur Gleichstellung von Männern und Frauen in der Geschichte der Volkswirtschaftslehre leisten.“