Quelle: Anna Weise
StipendienPreisträger*innen 2022: Siegfried Beckus: Auf der Suche nach den Geheimnissen der Quasikristalle
„Entgegen häufigen Vorurteilen hat Mathematik nicht unbedingt viel mit Rechnen zu tun“
Abstrakte Forschungsthemen plastisch zu machen, ist eine hohe Kunst. Siegfried Beckus beherrscht sie. „Stellen Sie sich vor“, sagt der Mathematiker, „Sie sind ein Elektron, das sich innerhalb eines Gebirges fortbewegt.“ Eines Gebirges aus Atomen, deren Anordnung über Berge und Täler, Anstiege und Abhänge bestimmt. Stehen diese Berge gleichmäßig entlang eines unendlichen Tals, hat man als Elektron freie Bahn. „Solche periodischen Atomkonfigurationen nennt man Kristalle“, erklärt Beckus. Sind die Berge hingegen zufällig verteilt, kann es sein, dass man als Elektron eingesperrt ist. Und dann gibt es noch etwas dazwischen: Berglandschaften aus Atomen, die zwar nicht periodisch angeordnet sind, aber doch eine innere Ordnung haben. „Quasikristalle“ werden sie genannt. Von ihnen ist der wissenschaftliche Mitarbeiter an der Universität Potsdam fasziniert.
Beckus, geboren 1988 in Erfurt, hat in Jena und Joensuu (Finnland) studiert und war wissenschaftlicher Mitarbeiter am Georgia Institute of Technology in Atlanta (USA). Nach seiner Promotion forschte er zwei Jahre lang am Israel Institute of Technology (Technion) in Haifa. Dort ist noch heute der israelische Chemie-Nobelpreisträger Dan Shechtman tätig, der 1984 die Quasikristalle entdeckte. Mit Kristallen haben diese Festkörper gemeinsam, dass sich Elektronen in ihnen bis ins Unendliche bewegen können. Aber eben nur gebremst, nicht mit vollem Tempo. „Die Existenz solcher Materialien im wirklichen Leben war eine große Überraschung, genauso wie die spektralen Eigenschaften der zugehörigen Schrödingergleichungen“, sagt Beckus – und schwärmt von den „beeindruckenden Mustern“, die sie ergeben.
Mit seiner Forschung möchte der Wissenschaftler einen Beitrag leisten zu einem „mathematischen Werkzeugkasten“, wie er es nennt, mit dem auch mehrdimensionale Quasikristalle analysiert werden können – das bisherige Instrumentarium erlaube das zumeist bloß bei eindimensionalen Strukturen. „Ich versuche, mathematische Methoden zu entwickeln, die helfen, theoretisch-physikalische Eigenschaften dieser Materialien zu ermitteln und dadurch geeignete Vorhersagen über sie treffen zu können.“ Arbeitstitel seines Habilitationsprojekts: „Aperiodische Ordnung: Die Entschlüsselung versteckter Strukturen“.
Mathematik bedeutet für Beckus, Fragestellungen formal zu modellieren und mit Hilfe der Aussagenlogik Rückschlüsse auf bestimmte Objekte zu ziehen, so formuliert er es. Die verschiedenen Blickwinkel unterschiedlicher mathematischer Disziplinen will er dafür zusammenführen. „Entgegen häufigen Vorurteilen hat Mathematik nicht unbedingt viel mit Rechnen zu tun“, sagt Beckus. Um zu erklären, was er meint, überrascht der Mathematiker mit dem nächsten griffigen Vergleich: Ihn erinnere das alles oft an Kunst. „Auch hinter einem Ornament oder einer Parkettierung verstecken sich verschiedenste mathematische Zusammenhänge, die diese Muster so ästhetisch auf uns wirken lassen“, sagt er. „Solche Strukturen aufzudecken und zu entschlüsseln, fasziniert mich immer wieder.“