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eorg Gemende, Sales Manager und Betriebsrat beim Recyclingunternehmen Multiport im sachsen-anhaltinischen Bernburg vor angelieferten Plastikballen Magazin Mitbestimmung

Recycling: 12 Schichten, damit der Käse nicht schwitzt

Ausgabe 03/2024

Bei der Wiederverwertung von Kunststoff geht es nach wie vor nur mühsam voran. Der mittelständisch geprägten Branche stehen jetzt sogar harte Jahre bevor. Von Andreas Schulte und Andreas Molitor

Georg Gemende ist kein Mann, der Worthülsen von sich gibt, er meint es bitterernst. „Bei den mittelständischen Recyclern droht ein Firmensterben“, prophezeit der Sales Manager und Betriebsrat bei Multi­port im sachsen-anhaltinischen Bernburg. In einer der größten Recyclinganlagen für Kunststoffe in Europa stellt der Betrieb, eine Tochter des französischen Veolia-Konzerns, mit 150 Beschäftigten aus Plastikmüll zurückgewonnenes Kunststoffgranulat her. Wie bedrohlich die Lage ist, weiß Gemende von seinen Kollegen aus Rostock. Dort hat Veolia zum Jahreswechsel eine große Anlage zum PET-Recycling mit 50 Beschäftigten geschlossen. Über 20 Jahre wurden dort alte Getränkeflaschen zu Granulat verarbeitet, aus dem dann wieder neue Flaschen entstanden.

Dabei klingt doch alles nach glänzenden Wachstumsaussichten für die professionellen Verwerter. Politik und Kunststoffhersteller predigen mehr Recycling und beteuern, die Plastikmüllflut müsse eingedämmt werden. Beim Sammeln von Kunststoffverpackungen gehören die Deutschen mit zur Weltspitze, die EU will Einweg-Kunststoffverpackungen sogar komplett verbieten. Und schon heute verspricht fast jede Plastikflasche aus dem Supermarktregal Recy­clingfähigkeit.

Dass viele Recycler sich trotzdem ernsthaft Sorgen machen, liegt an dem Rohstoff, mit dem sie arbeiten. Was beispielsweise aus gelbem Sack oder gelber Tonne bei ihnen landet, ist ein höchst problematischer Mix. „Wichtig für die Wirtschaftlichkeit von Recyclingunternehmen ist vor allem, wie recyclingfähig das Verpackungsmaterial ist“, erklärt Verdi-Mitglied Georg Gemende. Sein Unternehmen bekommt unter anderem vorsortiertes Material aus dem gelben Sack. „Wir können bei gutem Material rund 80 Prozent von dem recyceln, was angeliefert wird“, sagt Gemende. Die restlichen 20 Prozent – Restinhalt. Etiketten, Dichtungen, Metallteile, Fremdkunststoffe werden im schlimmsten Fall verbrannt.

Problematischer Mix

Es könne nur recycelt werden, was in den Verkehr gebracht wird, und so fange der Fisch am Kopf an zu stinken, sagt der Betriebsrat. Er zeigt damit in Richtung der Verpackungshersteller. „Wir sprechen regelmäßig mit ihnen, damit sie ihre Verpackungen recyclingfähig gestalten. Aber letztendlich hat der Hersteller das letzte Wort.“ Sortenrein sortiertes Ausgangsmaterial wäre der Traum der Recycler, doch in der Regel müssen viele verschiedene Kunststoffe mühsam voneinander getrennt werden.

Das alles ist aufwändig. Zerknüllt, verklebt und verschmutzt mit Essensresten, Etiketten und Lackrückständen kommt der Plastikverpackungsabfall bei den Recyclingunternehmen an, bunt gemischt mit Abfällen, die manuell aussortiert werden müssen: Schuhe, Textilien, Batterien, Styropor, Videokassetten und sogar Handyakkus, die Feuer fangen und große Schäden in den Sortieranlagen anrichten. Viele Recycler haben investiert und rücken dem Plastikmix mit immer besserer Technik zu Leibe. Vor allem Infrarottechnik hilft beim Sortieren nach Kunststoffart und Farbe. Sensoren senden einen Lichtstrahl auf die Kunststoffe auf dem Sortierband, die bestimmte Wellenlängen des Lichts reflektieren. Das wiederum nehmen die Sensoren wahr und können an der Wellenlänge bestimmen, um welche Kunststoffe es sich handelt. Luftdüsen schießen dann die jeweils erkannten Kunststoffe in den passenden Sortierschacht.

Aufwändiges Recycling von Plastikmüll

  • Anlieferung von Plastikabfällen beim Recyclingunternehmen Veolia, MultiPet in Bernburg, Sachsen-Anhalt
    Das Recycling-Unternehmen bekommt unter anderen vorsortiertes Material aus dem gelben Sack angeliefert.
  • Georg Gemende untersucht die angelieferten Plastikabfälle beim Recyclingunternehmen Veolia, MultiPet in Bernburg, Sachsen-Anhalt
    Zerknüllt, verklebt und verschmutzt mit Essensresten, Etiketten und Lackrückständen kommt der Plastikverpackungsabfall bei den Recyclingunternehmen an, bunt gemischt mit Abfällen, die manuell aussortiert werden müssen.
  • Verarbeitung von Plastikabfällen beim Recyclingunternehmen Veolia, MultiPet in Bernburg, Sachsen-Anhalt
    Der Materialmix ist die größte Herausforderung für die Sortieranlagen. Vor allem Verpackungen, die aus mehreren, miteinander verbundenen Kunststoffen bestehen, lassen sich kaum sauber trennen.
  • Zylinder mit Plastikgranulat beim Recycling Unternehmen Veolia in Bernburg, Sachsen-Anhalt
    In einer der größten Recyclinganlagen für Kunststoffe in Europa stellt der Betrieb, eine Tochter des französischen Veolia-Konzerns, mit 150 Beschäftigten aus Plastikmüll zurückgewonnenes Kunststoffgranulat her.

Größtes Problem bleiben die Verpackungen, die aus mehreren, miteinander verbundenen Kunststoffen bestehen. Badreiniger mit aufgesetzten Spritzpistolen etwa, die auch Metallteile enthalten. Hauptfeind der Sortieranlagen ist allerdings die Folienverpackung von Wurst- und Käsescheiben. „Da liegen dann vier Scheiben Käse in einer vertieften PET-Schale“, beschreibt Henning Wilts, Experte für Kreislaufwirtschaft am Wuppertal Institut und Altstipendiat der Hans-Böckler-Stiftung, das Dilemma. „Darüber liegt eine Schicht aus bis zu zwölf verschiedenen, miteinander verbundenen Kunststofffolien, die dafür sorgen, dass der Käse nicht schwitzt, nicht verdirbt und dass die Verpackung sich wieder verschließen lässt.“ Meist sind derartige Verpackungen ein Fall für die Müllverbrennungsanlage.

Zwar könnte man im Extremfall selbst das wildeste, miteinander verschweißte Plastikgemisch chemisch in seine kleinsten Bestandteile aufspalten, aus denen dann wieder Kunststoffe zusammengesetzt werden können, aber diese Technik ist anspruchsvoll, selbst für Großunternehmen, und treibt den Preis für Rezyklat noch weiter in die Höhe.

Neuer Kunststoff aus Erdöl ist ohnehin vergleichsweise billig. Recyceltes PET etwa, ein gängiger Kunststoff für die Produktion von Flaschen und Folien, kostet fast ein Drittel mehr als neues Plastik. Immer mehr Verpackungshersteller setzen in letzter Zeit auf frisches Plastik, vielfach aus Asien. Außerdem steckt die Bauwirtschaft, bislang größter Rezyklat-Abnehmer, tief in der Krise. Die Folge: Die Nachfrage nach Rezyklat ist derart eingebrochen, dass der Branchenverband BVSE Hunderte von Betrieben in Gefahr sieht. Wenn das Worst-Case-Szenario eintritt, droht das gesamte System des Kunststoffrecyclings zu kollabieren. Rita Weber, Industriegruppensekretärin bei der Gewerkschaft IGBCE, bringt die Diskrepanz zwischen den politischen Bekenntnissen und der Wirklichkeit auf den Punkt: „Alle rufen nach mehr Rezyklaten, aber keiner will dafür bezahlen.“

Bei guter Ware recyceln wir 80 Prozent. Aber Müll stinkt, und bezahlt wird meist nur knapp über dem Mindestlohn.“

GEORG GEMENDE, Betriebsrat bei Multiport

Jobs geraten in Gefahr

Die Jobs in der mittelständisch dominierten Branche, in der Betriebsräte und gewerkschaftliche Präsenz eher die Ausnahme sind, geraten in Gefahr. Stellenstreichungen oder betriebsbe­dingte Kündigungen könnten sich bei einem späteren Aufschwung der Branche indes als Bume­rang erweisen, warnt Multiport-Betriebsrat Georg Gemende. „Die Arbeitsbedingungen in der Branche sind oft wenig attraktiv“, sagt er. „Müll stinkt, und gezahlt wird meist nur knapp über dem Mindestlohn.“ Die Belastung durch Schmutz, Staub und Hitze bei der Arbeit ist groß, Schutzkleidung und Atemschutzmasken sind bei vielen Tätigkeiten unverzichtbar. Viele Firmen hätten schon jetzt Probleme, geeignetes Personal zu finden. „Wer die Branche einmal verlassen hat, kommt vermutlich nicht zurück.“

Henning Wilts wundert es nicht, dass es bei den Recyclingquoten nur in Trippelschritten vorangeht. Er beziffert die Quote von Plastikprodukten, die erneut als Kunststoff kommerziell verwertet werden, auf 16 Prozent. Das Umweltbundesamt nennt hingegen eine Verwertungsquote von traumseligen 99,4 Prozent. Zur Verwertung zählen allerdings auch die Entsorgung im Ausland und die Verbrennung. Gut zwei Drittel der Kunststoffabfälle in Deutschland landen größtenteils in Müllverbrennungsanlagen, der Rest als Ersatzbrennstoff für Öl oder Gas in Kraftwerken oder Zementfabriken. Der Weg in die Verbrennung soll aber tunlichst vermieden werden. Landet Plastik, fast durchweg aus Erdöl hergestellt, im Ofen, geht der Rohstoff verloren und klimaschädliches CO2 wird freigesetzt. Allerdings ist Neuware nicht nur billiger, sondern meist auch hochwertiger. Beim Recyceln geht in der Regel Qualität verloren, etwa durch Verunreinigungen oder weil Molekülketten sich verkürzen, was dann auch die physikalischen Eigenschaften beeinträchtigt. Gängige Praxis ist das Downcycling, also die Umwandlung etwa zu Blumenkästen. Aus dem Multiport-Granulat entstehen hauptsächlich Rohre und Kabelmaterial für den Bau.

Die Politik ist gefordert

Die Politik könnte für bessere Rahmenbedingungen sorgen. Georg Gemende denkt beispiels­weise an „bessere Vorgaben zur Verwendung von bestimmten Kunststoffen bei der Haushaltsverpackung“. Oder an ein Verbot von nicht recyclingfähigen Verbundverpackungen. Oder ein System, in dem Hersteller einen bestimmten Prozentsatz ihres gesamten Materialbedarfs aus Rezyklaten decken müssen. Im Koalitionsvertrag der Ampel mangelt es nicht an Absichtserklärungen. Passiert ist in den vergangenen zweieinhalb Jahren hingegen wenig.

Die Forschung geht unterdessen weiter – und setzt unter anderem auf Künstliche Intelligenz. Bei der Fraunhofer-Einrichtung für Wertstoffkreisläufe und Ressourcenstrategie (IWKS) arbeiten Forscher daran, die Infrarotsensoren mit KI zu trainieren, damit sie den chemischen Fingerabdruck eines Plastikpartikels abspeichern und Kunststoffstücke gleicher Form, Farbe und Struktur zuverlässig erkennen. Bis zur Marktreife dürften allerdings noch Jahre vergehen. Einige der heute 300 deutschen Kunststoffrecycler werden das wohl nicht mehr erleben.

Globale Bilanz

Weltweit landeten im Jahr 2019 rund 50 Prozent aller Plastikabfälle auf Deponien, weitere 22 Prozent wurden informell und nicht fachgerecht entsorgt, etwa in der freien Natur. Etwa 19 Prozent wurden verbrannt und nur etwa 9 Prozent recycelt.

Diese Zahlen veröffentlichte die OECD im "Global Plastics Outlook".

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