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Magazin MitbestimmungEU: Zwischen Diplomatie und Kavallerie
Jahrelang hat die EU den Kampf gegen Steuerflucht verschleppt. Nun soll bis zum Jahresende das Bankgeheimnis fallen. Brüssel setzt auf Verhandlungen mit den Steuerparadiesen. Doch ohne Druck wird es nicht gehen. Von Eric Bonse
Die Europäische Union hat das Thema Steuergerechtigkeit entdeckt. Jahrelang haben sich die 27 EU-Staaten kaum um die Milliardenbeträge gekümmert, die ihnen wegen Steuerflucht und Steuervermeidung durch die Lappen gehen. Weder Finanz- noch Eurokrise haben daran etwas geändert. Die EU verordnete ihren kriselnden Mitgliedsländern harte Sparprogramme und kürzte die Sozial- und Bildungsausgaben. Doch an die Einnahmen traute sie sich nicht heran. Reiche Steuerbetrüger und große Konzerne wurden geschont, die Gerechtigkeit blieb auf der Strecke. Erst die Betrugsskandale um Promis wie Bayern-Präsident Uli Hoeneß und Politiker wie den früheren französischen Budgetminister Jérôme Cahuzac haben zu einem Umdenken geführt. Gemeinsam mit den Enthüllungen der sogenannten Offshore-Leaks schufen sie das politische Momentum, das die EU nun einmal braucht, um aktiv zu werden.
Plötzlich rückte der Kampf gegen die Steuerflucht ganz nach oben auf die Agenda. Bei einem Sondergipfel Ende Mai schworen sich die 27 in Brüssel, alle Schlupflöcher zu schließen und sogar das Tabuthema Unternehmensbesteuerung anzupacken. Nach dem Treffen, das gerade einmal vier Stunden dauerte, sprach Kanzlerin Angela Merkel von einem „Durchbruch“. Dabei ist Vorsicht geboten. Denn Europa hat der Steuerflucht schon mehrfach den Kampf angesagt – ohne jemals einen wirklichen Durchbruch zu erzielen.
Bereits vor zehn Jahren wurde die Zinsbesteuerungs-Richtlinie beschlossen, die dem Bankgeheimnis den Garaus machen sollte. Doch Österreich und Luxemburg ziehen bis heute nicht mit; die Richtlinie ist Stückwerk geblieben. Und bereits 2009, auf dem Höhepunkt der Finanzkrise, wollten die Europäer die Steuerparadiese schließen. Deutschland und Frankreich setzten sich damals sogar für eine schwarze Liste nicht kooperativer Staaten ein. Doch die europäischen Steuerparadiese haben auch das überlebt. Die Giftliste verschwand schnell wieder in der Schublade.
Ob es diesmal besser läuft? In Brüssel zweifeln viele daran. Beim Thema Steuerflucht gebe es „eine unglaubliche Heuchelei auf der EU-Ebene“, kritisierte der neue italienische Premierminister Enrico Letta. Jeder fordere den entschiedenen Kampf gegen Schlupflöcher. Doch wenn es um die Umsetzung gehe, schreckten die Staaten zurück, da sie den „Verlust leicht verdienten Geldes“ fürchten. Wen er damit meinte, sagte Letta nicht. Doch in Brüssel ist es ein offenes Geheimnis, dass viele EU-Staaten ihre eigenen Steuerparadiese protegieren. Nicht nur die britischen Jungferninseln und die Cayman Islands gelten als kaum kontrollierbare Offshore-Zentren. Auch Irland, Belgien und die Niederlande bieten attraktive Steuersparmodelle, vor allem für große Unternehmen.
Das Europaparlament hat deshalb verlangt, eine neue schwarze Liste der Steuerparadiese aufzustellen. Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) forderte zudem, das europäische Steuerloch zu schließen. Die EU-Staaten sollten sich das Ziel setzen, bis 2020 wenigstens die Hälfte der rund einen Billion Euro einzutreiben, die ihnen jedes Jahr durch Steuerflucht und -vermeidung entgehen.
MAL WIEDER NUR SYMBOLPOLITIK?
Doch von all dem findet sich in dem Gipfelbeschluss nichts wieder. Er bleibt nicht nur hinter den Forderungen des Europaparlaments, sondern auch hinter früheren eigenen Ankündigungen weit zurück. Manches spricht daher dafür, dass die Staats- und Regierungschefs wieder einmal nur Symbolpolitik betreiben. Neue Beschlüsse wurden nicht gefasst, Entscheidungen auf Dezember vertagt. Immerhin nimmt die EU die europäischen Steuerparadiese nun erstmals direkt ins Visier. Die EU-Kommission soll Verhandlungen mit der Schweiz, Liechtenstein, Andorra, Monaco und San Marino aufnehmen, um dort für Transparenz zu sorgen. Zudem soll die Zinsbesteuerung ausgeweitet werden. Künftig sollen nicht nur Bankkonten, sondern auch Investment- und Pensionsfonds, Stiftungen und andere bisher vernachlässigte Finanzinstrumente erfasst werden.
Doch Luxemburgs Premier Jean-Claude Juncker leistet Widerstand. Er wolle der Ausweitung der Zinsbesteuerung erst dann zustimmen, wenn auch die Schweiz mitzieht, sagte er beim Brüsseler EU-Gipfel. Die Schweiz wiederum dürfte erst dann einlenken, wenn auch andere Staaten mitmachen. Schließlich drohen dem Finanzplatz massive Nachteile, wenn er Investoren plötzlich weniger Sicherheiten bieten kann als das Steuerparadies nebenan. Das weiß man natürlich auch in Brüssel. Klar ist auch, dass Luxemburg jeden Fortschritt der EU blockieren kann – im Steuerrecht gilt das Prinzip der Einstimmigkeit. Vorsichtshalber hat Juncker schon einmal angekündigt, dass er sich keinen Pressionen beugen werde, schon gar nicht „teutonischem Druck“. Luxemburg will kein zweites Zypern werden und sein „Geschäftsmodell“ behalten.
Dennoch gibt sich die EU-Kommission optimistisch. Denn Luxemburg und die Schweiz sind schon einmal eingeknickt – gegenüber den USA. Auf massiven Druck aus Washington haben beide Länder ihr Bankgeheimnis gelockert, wenn auch vorerst nur für US-Bürger. Da sei es nur recht und billig, dasselbe für EU-Bürger zu tun und Bankdaten automatisch auszutauschen, sagen Kommissionsexperten. Die Fortschritte sollen beim EU-Gipfel im Dezember bewertet werden; im Lichte der Ergebnisse hofft man, dann auch Luxemburg zum Einlenken zu bewegen. In Brüssel hat damit die Stunde der Diplomaten geschlagen. Die EU-internen Probleme, die man jahrelang vor sich hergeschoben hat, sollen nun durch Verhandlungen mit Dritten gelöst werden – und das unter hohem Zeitdruck.
Wenn dies gelingt, käme es auch der Bundesregierung zugute. Ihr Steuerabkommen mit der Schweiz war am Veto der rot-grünen Opposition im Bundesrat gescheitert. Nun kann Merkel auf die EU verweisen, die ihr die Schmach eines neuen Versuchs erspart. Doch was passiert, wenn bis Dezember keine Einigung zustande kommt? Kommt dann die Kavallerie, mit der der frühere Finanzminister und SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück der Schweiz drohte? Merkel hält sich alle Optionen offen. Auf die Frage, ob die EU ähnlich wie die USA Druck ausüben könnte, sagte sie, man behalte das „sehr wohl im Auge“. Zunächst wolle man es aber mit Verhandlungen versuchen.
Doch ganz ohne Druck wird es wohl nicht gehen. Dies mussten auch die USA erfahren, die lange auf freiwillige Vereinbarungen setzten, bevor sie 2009 an der Schweiz ein Exempel statuierten. Damals willigte die größte Schweizer Bank UBS ein, den US-Behörden die Namen von 4450 steuerflüchtigen US-Bürgern zu nennen und eine Strafe von 780 Millionen US-Dollar zu zahlen – wegen Beihilfe zur Steuerflucht. Seither ist das Bankgeheimnis im Alpenstaat löchrig wie ein Schweizer Käse, allerdings nur für US-Bürger. Die Europäer hingegen schauen in die Röhre. Denn sie verfügen bisher nicht über mächtige Druckmittel wie FATCA. Mit dem „Foreign Account Tax Compliance Act“ können die USA Strafen von 30 Prozent auf die Einnahmen jener Banken verhängen, die nicht mit Washington kooperieren wollen.
Gegen dieses moderne Folterinstrument wirkt die Brüsseler Drohung, Diplomaten zu schicken, ziemlich harmlos. Allerdings ist auch die EU gerade dabei, ihren eigenen FATCA zu entwickeln. Im April kündigten Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien an, ein Pilotprojekt auf den Weg zu bringen, um „gemeinsam noch offensiver gegen internationale Steuerhinterziehung vorzugehen“. FATCA nannten sie dabei ausdrücklich als Vorbild. Zwar fehlen der Initiative noch die Zähne, Sanktionen sind bisher nicht vorgesehen. Aber wer weiß, was passiert, wenn die Diplomaten mit ihrem Latein am Ende sind? Vielleicht kommt dann ja doch noch die Kavallerie.