Quelle: HBS
Magazin Mitbestimmung: Zur Sache
Lothar Kamp über Finanzmarktregulierung
Lothar Kamp ist Abteilungsleiter und einer der Finanzmarktexperten der Hans-Böckler-Stiftung.
2007 geriet die Welt in die schwerste Finanz- und Wirtschaftskrise seit 80 Jahren. Wie die fortwährende Euro-Krise und die Staatsschuld-Debatte in den USA zeigen, sind die wirtschaftlichen Gefahren auch vier Jahre danach nicht bewältigt. Auslöser der Krise war der Absturz im US-Subprime-Markt, dem unteren Marktsegment für Häuserkredite, der durch Unverantwortlichkeit, Schlamperei und Betrügerei gekennzeichnet war. Viele Empfänger der Subprime-Kredite sind nicht in der Lage, ihre Schulden jemals zurückzuzahlen. Die betroffenen Banken entledigten sich der gefährlichen Kredite, indem sie sie in handelbare, undurchsichtige Wertpapiere umwandelten und in alle Welt verkauften, unter anderem an die deutschen Banken IKB, WestLB, SachsenLB und Hypo Real Estate.
Als tiefere Ursachen der Finanzkrise gelten ein aufgeblähter Finanzsektor und weltwirtschaftliche Ungleichgewichte. US-Privathaushalte, Unternehmen und der amerikanische Staat verschuldeten sich hoch mit dem Geld aus Überschussländern wie China, Japan, Deutschland und den Erdöl exportierenden Ländern. Die globale Wirtschaft erlitt schweren Schaden, das weltweite Wirtschaftswachstum stürzte von 5,2 Prozent in 2008 auf −0,7 Prozent in 2010 ab. Deutschland erlebte 2009 mit −4,7 Prozent den schwersten Einbruch der Nachkriegsgeschichte.
Glück und Können bewirkten hierzulande einen glimpflichen Verlauf. Glück, weil Deutschland an weltweiten Konjunkturpaketen mittels Exporten teilhaben konnte, Können, weil unser Land seine industrielle Basis gepflegt hatte und mit arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen und den Sozialsystemen die Beschäftigten auffing oder in Arbeit hielt und so beim Anziehen der Aufträge wieder durchstarten konnte. Andere europäische Länder hatten sich durch einen aufgeblähten Immobiliensektor oder ein risikobehaftetes Finanzsystem ansteckungsfähig gemacht und erleben derzeit schwere Einbrüche. Die Folgen der Krise werden noch über viele Jahre hinweg zu spüren sein in Form einer anhaltenden Arbeitslosigkeit sowie einer immens hohen Staatsverschuldung, die zu großen Einschnitten in Sozialsystemen, Bildung und Infrastruktur in den stark getroffenen Ländern führen kann.
Die Krise kam nicht aus der Realwirtschaft, sondern aus dem Finanzsystem. Besonders beteiligt waren Kreditinstitute und Investmentbanken amerikanischen Typs. Die Missstände sind auch durch falsche Anreizsysteme für Banken-Manager sowie durch Deregulierung hervorgerufen worden. Es ist Aufgabe der Politik, durch eine geeignete Re-Regulierung des Finanzsystems zukünftige Finanzkrisen, die mit großer Wahrscheinlichkeit kommen werden, zu verhindern oder mindestens abzumildern.
Auf internationaler Ebene, in den USA und in der Europäischen Union sind eine Reihe von Regulierungsmaßnahmen angegangen worden. Der Baseler Ausschuss der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich hat Vorschriften entwickelt, nach denen die Banken deutlich mehr und besseres Eigenkapital für mögliche Risiken zurücklegen müssen. Basel III wird derzeit in der EU umgesetzt. Jedoch dauert die Umsetzungsphase bis zum Jahre 2019, also viel zu lange, und die Eigenkapitalanforderungen dürften für Finanzkrisen wie die vergangene immer noch viel zu gering sein. Die Regulierung der Banken, gerade weil diese in Europa für die Unternehmensfinanzierung größte Bedeutung haben, ist ein Herzstück der Neuregelung des Finanzmarktes. Die Regulierung von Hedgefonds und Private-Equity-Fonds sowie gegenüber Ratingagenturen und gefährlichen Finanzprodukten verlief aus gewerkschaftlicher Sicht bisher unzureichend. Insgesamt droht die Regulierung der Finanzmärkte viel zu schwach auszufallen. Dabei wäre sie extrem wichtig, um zukünftigen Finanzkrisen wirksam begegnen zu können. Dem Finanzsystem muss die Möglichkeit genommen werden, die gesamte Wirtschaft zu destabilisieren und damit Wohlstand und Arbeitsplätze zu gefährden.
Eine Expertengruppe des EGB, in der ich Mitglied bin, erarbeitet derzeit aus Arbeitnehmersicht Alternativen zu Finanzmarktregulierungsgesetzen der EU-Kommission und kommuniziert diese mit Europaparlamentariern. Endlich hat sich auch mit Finance Watch in Brüssel eine Gegenlobbyorganisation gegründet, die von vielen Europaparlamentariern unterstützt wird. Obwohl hier ein David gegen einen Goliath antritt, erhält fundierte Kritik nun eine deutlich hörbare Stimme.