Quelle: HBS
Magazin MitbestimmungDas Gespräch führte GUNTRAM DOELFS: WSI-Herbstforum 2018: "Wir wollen Lösungsschritte anbieten."
Interview „Interessenvertretung der Zukunft“ lautet der Titel des diesjährigen WSI-Herbstforums, welches am 20. und 21. November in Berlin stattfand. Im Vorfeld sprach WSI-Direktorin Anke Hassel über die Perspektiven für eine Erneuerung der Arbeitsbeziehungen und weitere Schwerpunkte der Veranstaltung.
Das Gespräch führte GUNTRAM DOELFS
Frau Hassel, das diesjährige WSI-Herbstforum will Perspektiven für eine Erneuerung der Arbeitsbeziehungen aufzeigen. Warum diese Themenwahl?
1918 begann mit dem Stinnes-Legien-Abkommen die Geschichte der Sozialpartnerschaft in Deutschland. Was damals auf den Weg gebracht wurde, ist noch immer wichtig. Inzwischen gibt es jedoch große Probleme. Das Herbstforum stellt die Frage, wo wollen wir hin mit dieser Institution, die uns so gut gedient hat, und der jetzt zwar politisch weiterhin Bedeutung zugemessen wird, die aber faktisch zerfasert und in vielen Sektoren zu erodieren droht? Wir wollen diese große Debatte aufgreifen und versuchen, erste Lösungsschritte anzubieten. Mein Hauptziel wäre, dass die Teilnehmer des Forums nach der Veranstaltung denken, dass sie interessante Ideen zum Thema gehört haben und neue Ansätze kennen, wie man konstruktiv mit der Situation umgeht.
Sie wollen in dieser Debatte ganz unterschiedliche Aspekte thematisieren. Einer davon ist die Rolle des Staates …
Je mehr die Verbände schwächeln, desto stärker engagiert sich derzeit der Staat – beispielsweise durch Eingriffe beim gesetzlichen Mindestlohn oder mit dem Tarifautonomiestärkungsgesetz. Er übernimmt damit Funktionen, die früher von den Tarifparteien selbstständig geregelt wurden oder er versucht, die Verbände zu stärken. Diese wachsende Einflussnahme führt zu einer Spannungslinie zwischen den Sozialpartnern. Auf der einen Seite wollen sie nicht, dass der Staat eingreift und fänden es besser, wenn er es nicht täte. Auf der anderen Seite ist ihnen klar, dass sie auf ihn angewiesen sind, weil sie an einigen Stellen gar nicht mehr in der Lage sind, das autonom zu regeln. Das ist ein Dilemma und man sollte genau überlegen: Wenn der Staat den Verbänden unter die Arme greifen muss, wie sollte das aussehen, damit es den größten Nutzen bringt oder zumindest so wenig Schaden wie möglich verursacht?
Während der Staat stärker in die Tarifautonomie eingreift, soll auf dem Forum gleichzeitig eine Debatte über ein stärkeres sozialpolitisches Engagement der Gewerkschaften geführt werden. Warum?
Die Sozialpolitik war schon immer ein genuines Feld der Gewerkschaften. Heute ändert sich die Rolle des Sozialstaates und die Gewerkschaften verbringen viel Zeit damit, neue Konzepte in die Politik einzubringen. Neben der eigenständigen Tarif- und Mitgliederpolitik ist das ein ebenso wichtiges Handlungsfeld der Gewerkschaften.
Der aktuelle Umbruch in der deutschen Parteienlandschaft wird Sie ebenfalls beschäftigen. Die Volksparteien, aber besonders die SPD, stecken in einer schweren Krise. Es gibt – wenn auch nicht ausschließlich – eine sehr enge Bindung der Gewerkschaften an die SPD. Müssen sich die Gewerkschaften neu positionieren?
Bislang verstehen sich die DGB-Gewerkschaften in Deutschland als Einheitsgewerkschaft. Sie wollen explizit nicht parteipolitisch gebunden sein, sondern sagen: „Wir sind für alle Parteien offen“. Aber es gibt natürlich die sehr enge Bindung an die SPD, was Fluch und Segen zugleich ist. Einerseits verschafft diese Bindung im Augenblick immer einen guten Zugang zur Bundesregierung. Gleichzeitig gilt aber auch ein bisschen „mitgefangen – mitgehangen“, wenn die SPD abstürzt. Diesen Anspruch plural mit anderen Parteien zu leben, lässt sich nur schwer verwirklichen. Es gibt also noch ein neues Spannungsfeld: Die Frage, ob man sich zukünftig anders aufstellen muss und wenn ja, in welche Richtung? Und wie sehr fühlt man sich an die SPD gebunden? Darüber wollen wir diskutieren.
Wie ein thematischer Exot wirkt das Thema außerbetriebliche Beratungsformen. Wie kam es zu diesem Panel?
Nun, es ist ein Thema, das an Bedeutung gewinnt. Gemeint sind Beratungs- und Unterstützungsstrukturen für Menschen in atypischen Beschäftigungsformen und für ausländische Beschäftigte, die sich in Deutschland und anderen Ländern in unterschiedlicher Form finden lassen. Bekannt sind hier besonders die Beratungsstellen des DGB und des Bundesarbeitskreises Arbeit und Leben für Arbeitsmigranten. Wir haben aber auch Vertreter der ver.di-Beratung für Soloselbstständige eingeladen und einer unabhängigen Initiative gegen Betriebsräteverhinderung. Diese Strukturen gehen über Einzelfallberatung hinaus und vertreten die Interessen von Beschäftigten in problematischen Situationen in unterschiedlichster Form. Wir wollen daher dieses noch einmal genauer unter die Lupe nehmen und die Frage stellen, wie hier Arbeitnehmerinteressen aufgegriffen werden.
Auf welches Panel beim Herbstforum freuen Sie sich besonders?
Schwierige Frage, denn ich finde alle Panels interessant. Besonders freue ich mich aber auf das abschließende Streitgespräch „The Future of Unions“ mit Lucio Baccaro und Virginia Doellgast, bei dem diese das Thema in einen internationalen Kontext einbetten werden. Aus wissenschaftlicher Sicht sind beide international ausgewiesene Top-Experten in diesem Bereich. Für eine hochklassige Diskussion zu dieser Frage kann man sich keine besseren Diskutanten wünschen.
ZUR PERSON
Anke Hassel studierte Politik- und Wirtschaftswissenschaften sowie Rechtswissenschaften an der Universität Bonn und an der London School of Economics and Political Science. Ab 1997 forschte sie am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln. Die Promotion (1998) und Habilitation (2003) erfolgten an der Ruhr-Universität Bochum. Von 2005 bis 2016 lehrte sie Public Policy an der Hertie School of Governance. Seit September 2016 ist sie Wissenschaftliche Direktorin des WSI.
Aufmacherfoto: Uli Baatz
WEITERE INFORMATIONEN
Veranstaltungsseite des WSI-Herbstforums 2018