Quelle: HBS
Magazin Mitbestimmung: Wirtschaft ausbalancieren
KRISENBEWÄLTIGUNG Mit einem Public-Equity-Fonds will die IG Metall die Exportstärke des industriellen Sektors erhalten. Öffentliche Investitionen sollen die Binnennachfrage stärken. Von Berthold Huber
BERTHOLD HUBER ist Erster Vorsitzender der IG Metall/Foto: vario images
Wir sind Exportweltmeister. Dieser Titel war in den letzten zehn Jahren der Stolz von Wirtschaft und Politik. Deutsche Produkte und Ingenieursleistung verkauften sich hervorragend. Ob Maschinenbau oder Automobilindustrie: Wir waren Weltspitze. Und jetzt?
Ausgelöst durch die Krise auf den Finanzmärkten ist die Weltwirtschaft zusammengebrochen. Den Exportweltmeister trifft dies besonders hart. Die Aufträge in der Metall- und Elektroindustrie sind zweistellig rückläufig. Ganze Industriezweige - wie die Nutzfahrzeugindustrie - befinden sich in Kurzarbeit. Die Bundesregierung rechnet 2009 mit einem Rückgang des Bruttoinlandsproduktes von fünf Prozent. Aktuell mehren sich zwar die Zeichen, dass sich die Lage stabilisiert. Dies ist aber kein Grund zur Entwarnung. Denn auch 2010 wird sich Deutschland langsamer erholen als andere Nationen. Die Auslastung in der Industrie bleibt niedrig.
MEHR BINNENNACHFRAGE - WENIGER EXPORT?_ Vor diesem Hintergrund wird in den letzten Monaten verstärkt über eine balancierte Wirtschaftsentwicklung diskutiert. Das Credo vieler Experten lautet: "Mehr Binnennachfrage - weniger Export". Hierbei wird jedoch vergessen: Deutschland war Exportweltmeister. Die Strukturen unserer Wirtschaft sind auf den Export ausgerichtet. Aktuell arbeiten rund elf Millionen Menschen in der Industrie. Das ist jeder dritte Arbeitsplatz. Der exportorientierte industrielle Sektor ist ein zentraler Pfeiler der Wertschöpfung unserer Gesellschaft. Eine Antwort auf die Krise muss deshalb auf beides zielen: Sie muss die Exportstärke erhalten, aber gleichzeitig auf eine ausgewogene Binnenentwicklung abzielen.
Die Binnenentwicklung wird vor allem von guten Einkommen der Menschen getragen. Dabei geht es nicht nur um Einkommen von Beschäftigten, die in gesicherten Arbeitsverhältnissen nach Tarif bezahlt werden. Hier geht es vielmehr um die Leiharbeitnehmer und Geringstverdiener. Nur wenn die Menschen anständig bezahlt werden, können sie Geld ausgeben. Deshalb muss die Politik der Arbeitnehmer zweiter Klasse beendet werden. "Gleiche Arbeit? Gleiches Geld!" lautet das Motto der IG-Metall-Kampagne zur Leiharbeit. Dies hat eine individuelle und eine volkswirtschaftliche Komponente. Eine Regulierung des Niedriglohnsektors mit Mindestlöhnen und fairen Bedingungen für Leiharbeitnehmer ist ein wichtiger Schritt in Richtung einer balancierten Wirtschaftsentwicklung.
Wichtig für die Binnennachfrage sind auch die öffentlichen Investitionen. Diese lagen in Deutschland in den letzten zehn Jahren deutlich unter dem europäischen Durchschnitt. Das Niveau der öffentlichen Investitionen muss in den nächsten Jahren auf europäischem Durchschnitt verstetigt werden. Dies erfordert stabile kommunale Einnahmen, denn die Gemeinden tätigen zwei Drittel der gesamten Infrastrukturinvestitionen. Als Industriestandort braucht Deutschland ein Zukunftsinvestitionsprogramm mit Schwerpunkten in der Netztechnik (Daten, Energie, Verkehr), den erneuerbaren Energien und der Bildungs- und Forschungsinfrastruktur.
Zu einem balancierten Aufschwung gehört aber auch, die Exportstärke zu erhalten. Hier liegt aktuell eine große Gefahr in der unzureichenden Kreditversorgung der Industrie. Trotz niedriger Refinanzierungszinsen bei der Bundesbank stattet die Kreditwirtschaft den industriellen Sektor nicht mit genügend Liquidität aus. Es sind zunehmend Unternehmen in ihrer Substanz bedroht, die in ihrem Segment Technologie- und/oder Marktführer sind. Dies trifft weniger Großunternehmen, sondern vielmehr mittelständische Betriebe. Die Innovationsfähigkeit des industriell geprägten deutschen Mittelstands wird durch die Kreditklemme stranguliert. Die alte Bundesregierung hat gehandelt. Der Wirtschaftsfonds Deutschland soll mit 17,5 Milliarden Euro kleinen und mittleren Unternehmen aus der Kreditklemme helfen. Dieses Geld kommt aber nicht bei den Betrieben an. Hier müssen die Bedingungen der Vergabe überprüft und gegebenenfalls geändert werden.
Viele Firmen erleiden derzeit auch einen erheblichen Substanzverlust. Rückläufige Umsätze führen zu operativen Verlusten, die die Eigenkapitalbasis der Unternehmen deutlich schwächen. Mit einer geschwächten Eigenkapitalbasis sind die Voraussetzungen für Bürgschaften oder KfW-Kredite erheblich verschlechtert. Die Eigenkapitalbasis der Unternehmen muss gestärkt werden. Die IG Metall hat in ihrem Aktionsprogramm "Aktiv aus der Krise" vom März 2009 einen Public-Equity-Fonds vorgeschlagen. Das Konzept sieht vor, dass ein mit öffentlichen Mitteln gespeister Finanzierungsfonds bei der KfW aufgelegt wird. Der Anlagezweck dieses Fonds ist die Stärkung der Eigenkapitalbasis der deutschen Industrieunternehmen insbesondere im Mittelstand. Durch den Zufluss von Public Equity verbessert sich die Eigenkapitalausstattung der Unternehmen und damit Rating und Kreditwürdigkeit. Die Unternehmensfinanzierung würde somit von zwei Seiten angeschoben. In Einzelfällen macht eine Flankierung des staatlichen Eigenkapitals durch eine Mitarbeiterkapitalbeteiligung Sinn. Für Unternehmen können im Sanierungsfall freiwillige Beiträge der Beschäftigten, verbunden mit anderen Finanzierungsquellen, ein wichtiges Instrument zur Rettung sein. Die Beschäftigten erwarten dabei aber zu Recht, dass solchen Beiträgen eine Gegenleistung in Form von Mitspracherechten und Beschäftigungssicherung gegenübersteht.
VERANTWORTUNG FÜR DEN INDUSTRIELLEN WANDEL_ Einige Industriebranchen stehen in den nächsten Jahren vor einem gewaltigen Strukturwandel. Klimaschutz und ökologische Aspekte werden in Zukunft die industrielle Wertschöpfung prägen müssen. Ein aktiver ökologischer Umbau der Industrie ist notwendig, der die Produkte und Produktionsprozesse einbezieht und die Energie- und Ressourceneffizienz verbessert. Dort, wo dieser Wandel Arbeitsplätze gefährdet, brauchen wir belastbare Szenarien, um Konzepte für alternative Beschäftigung gemeinsam mit der Politik und den Unternehmen zu entwickeln. Für die Automobilindustrie zum Beispiel fordert die IG Metall deshalb einen Branchenrat "Zukunft der Mobilität". Der Staat hat eine Verantwortung, den industriellen Wandel mitzugestalten. Politik kann sich nicht auf wohlfeile Kommentierung der Krise zurückziehen, sondern muss gemeinsam mit Gewerkschaften und Unternehmen den Strukturwandel sozial und technologisch gestalten.
Industrielle Wertschöpfung ist für den Wohlstand und die politische Stabilität in Deutschland ebenso systemisch wie Banken für das Funktionieren der Finanz- und Kreditmärkte. Die industrielle Basis in Deutschland ist zu wichtig, als dass die Anpassung nur dem Markt überlassen werden darf. Andere Staaten, wie die USA oder China, investieren Milliarden in den Strukturwandel. Wenn wir nichts tun, werden wir den Anschluss verlieren.