Forschung: „Wir wollen Unwahrheiten etwas entgegensetzen”
Seit knapp einem Jahr räumt die Blog-Reihe „Mythen der Sozialpolitik“ mit besonders hartnäckigen Halb- und Unwahrheiten des öffentlichen Diskurses auf. Florian Blank, vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung, spricht im Interview über die Entstehung der Serie und die Absicht, die hinter der Verbreitung von Mythen steht.
Wie kamen Sie auf die Idee zu der Blog-Reihe?
Gemeinsam mit den Wissenschaftlern Jutta Schmitz-Kießler und Eike Windscheid-Profeta fiel mir auf, dass gerade in letzter Zeit sozialpolitische Sachverhalte und Fakten wiederholt falsch dargestellt oder mindestens aus dem Kontext gerissen wurden. Das war beispielsweise in der Debatte um das Bürgergeld so, findet sich aber auch in anderen sozialpolitischen Bereichen wie der Rentenpolitik. Mit der Blog-Serie möchten wir dem etwas entgegensetzen. Das machen wir unter Beteiligung anderer Experten und Expertinnen, die ihr Wissen und ihre Erfahrung durch ihre Beiträge einbringen.
Wie entstehen derartige Mythen?
Wir konzentrieren uns auf die inhaltliche Ebene der Darstellung und die Analyse von Sozialpolitik, insofern kann ich hier nur spekulieren. Ich vermute bei manchen Mythen den Versuch, politische Ziele durchzusetzen. An anderen Stellen mag der Wunsch nach Vereinfachung und einer Schlagzeile das Ziel einer sauberen Beschreibung in den Hintergrund drängen. Die Entstehung von Mythen wird sicher auch durch die Komplexität unseres Sozialsystems begünstigt. Manchmal habe ich auch den Eindruck, dass sich Mythen verselbstständigen, dass also Aussagen ungeprüft wiedergegeben und dadurch auch in gewisser Weise bestätigt werden.
Warum ist es so wichtig, Mythen einzuordnen und ins rechte Licht zu rücken?
Sozialpolitik wird immer umstritten sein, weil es hier häufig um Verteilungsfragen zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen, aber auch zwischen Beschäftigten und Arbeitgebern geht. Außerdem herrschen in der Bevölkerung und auch in der Politik unterschiedliche Vorstellungen von Gerechtigkeit und Fairness. In der Diskussion sollte von einem geteilten Wissen über Entwicklungen und Rahmenbedingungen ausgegangen werden. Hier sollte kein Halbwissen zugrunde liegen.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Ja: Die Bundeszuschüsse zur Rentenversicherung steigen, absolut gesehen. Das ist kein Geheimnis, und man kann und darf darüber diskutieren, wie viel das sein sollte und wie das zu berechnen ist. Eine Diskussion führt aber zu keinem Ergebnis, wenn die Beteiligten nicht zur Kenntnis nehmen, dass die Zuschüsse, gemessen an den Steuereinnahmen des Bundes oder den Einnahmen der Rentenversicherung, im Laufe der Jahre stabil sind. Ebenso sollten die Regeln zum Bundeszuschuss bekannt sein, um nicht zu Falschaussagen zu gelangen wie etwa: Der Bund gleicht das Defizit der Rentenversicherung aus.
Wie kann es gelingen, Mythen zu entkräften?
Das ist ein Langstreckenlauf. Im Grunde kann so eine Blog-Serie immer nur ein Baustein sein in dem Bemühen, Informationen über durchaus komplexe Sachverhalte zu vermitteln. Aber, klar, wir bleiben dran.
FLORIAN BLANK leitet am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) das Referat Sozialpolitik und forscht zu Fragen der Sozialversicherung und Grundsicherung.