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Magazin Mitbestimmung

: „Wir sind zu längerer Arbeit gezwungen“

Ausgabe 06/2011

Klaus-Peter Hennig, Arbeitsdirektor der ThyssenKrupp Nirosta, über Strategien für den demografischen Wandel, den Wert älterer Mitarbeiter und die Attraktivität der Stahlbranche

Das Durchschnittsalter der Mitarbeiter bei Nirosta liegt mit 44 Jahren über dem anderer deutscher Unternehmen. Warum sind die Beschäftigten in der Stahlindustrie so alt?
Anfang der 90er Jahre war es üblich, mit 52 Jahren in den Vorruhestand zu gehen. Jetzt müssen wir uns darauf einstellen, vielleicht bis 67 und noch länger zu arbeiten, um unseren Wohlstand aufrechtzuerhalten. Ich befürworte die Verlängerung der Lebensarbeitszeit, allerdings mit Differenzierungen. Es kann nicht sein, dass Menschen, die Jahrzehnte im Schichtbetrieb sind, bis 67 arbeiten müssen. Man muss Arbeitszeitmodelle entwickeln, die angepasster sind an den menschlichen Lebensrhythmus.

Die Rente mit 67 löst bei vielen Arbeitnehmern Widerstände aus.
Ja, aber Vorruhestand ist in einer globalen Wirtschaft nicht mehr einfach möglich. Auch die langfristige Rentensituation zwingt uns zu längerer Arbeit.

Welche Anforderungen kommen auf einen Stahlarbeiter Ü-60 zu?
Wir haben im Werk Bochum in einem Pilotprojekt die Arbeitsbedingungen an einer Gießanlage mit dem Fähigkeitsprofil dieser Mitarbeiter verglichen. Das Ergebnis: Ein Drittel der Beschäftigten dieser Gruppe ist angeschlagen und kaum in der Lage, solche Arbeit zu verrichten. Da muss man über gezieltes Training nachdenken und teilweise ergonomische Hilfsmittel wie zum Beispiel Hebebühnen einführen. Aber es ist nicht nur die körperliche Konstitution entscheidend. Es ist auch ein Frage des Wissens um die stetigen Veränderungen der Arbeitsprozesse.

Wie kommuniziert man solche Erkenntnisse in der Belegschaft? Herrscht nicht das Vorurteil, dass ältere nur durchgeschleppt werden?
Das Wertvolle an älteren Mitarbeitern ist ihre Erfahrung. Man muss sie ernst nehmen. Mit dem Programm JAN – Jung und Alt für Nirosta – haben wir uns seit 2005 gemeinsam mit dem Betriebsrat mit dem demografischen Wandel beschäftigt. Und haben seine Folgen unter anderem in Belegschaftsversammlungen angesprochen. Man darf nicht wie das Kaninchen vor der Schlange auf den Wandel warten. Man muss seine Konsequenzen „step by step“ aufzeigen. Das ist ein langfristiger Prozess.

Gibt es Lücken in der Altersstruktur bei Nirosta?
Zwischen den 25- und 35-Jährigen müssen wir auffüllen, weil unser Bedarf an akademischen Nachwuchskräften groß ist. Wir haben 115 Ingenieure, aber viele gehen in den nächsten Jahren in den Ruhestand. Wir versuchen, über „Kia“ nachzulegen – das steht für eine kombinierte Inge¬nieursausbildung. Die Mitarbeiter machen im Werk eine klassische technische Ausbildung, gleichzeitig sind sie aber schon an der Hochschule.

Und bei den ganz jungen Leuten?
Nach heutigem Stand wird innerhalb der nächsten 15 Jahre jeder zweite Nirosta-Mitarbeiter ausscheiden. Wir brauchen die Auszubildenden, um Brücken zu bauen. Dazu müssen wir das Personal selbst ausbilden. Denn Nirosta ist einzigartig. VW beispielsweise kann sich Mitarbeiter von Opel holen. Wir können von außen kaum Leute dazuholen.

Das ist aber auch Ihr Glück, weil Ihnen die Mitarbeiter nicht weglaufen können.
Kontinuierliche Schichtarbeit ist nicht sexy. Sobald der Arbeitsmarkt Chancen bietet, die bisher für Stahlbeschäftigte nicht da waren, müssen wir auch aufpassen, dass uns die Leute nicht weglaufen.

Die Stahlbranche hat einen Strukturwandel mit Personalabbau hinter sich. Stehen durch Innovationen weitere Rationalisierungen an, oder ist der technische Standard für die nächsten Jahre gefestigt?
Die Rationalisierungspotenziale bei der Bedienung der Anlagen sind weitgehend ausgeschöpft. Aber für die globale Wettbewerbsfähigkeit unserer Stahlindustrie sind die Personalkosten nicht die alles entscheidende Größe. Das sind vielmehr die Kosten für Energie und Rohstoffe, bei uns vor allem Nickel.

Die Fragen stellte ANDREAS SCHULTE/Foto: TK Nirosta

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