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DGB-Vorstand Stefan Körzell Magazin Mitbestimmung

Gewerkschafts-Kongress: „Wir sind nicht die Zauderer und Verhinderer“

Ausgabe 02/2022

DGB-Vorstand Stefan Körzell über das neue Selbstbewusstsein. Das Gespräch führte Andreas Molitor

Gut zwei Monate vor dem DGB-Bundeskongress hat Russlands Präsident Putin mit seiner Armee die Ukraine überfallen. Wie wird sich der Krieg auf dem Kongress niederschlagen? 
Wir alle hoffen, dass bis dahin die Waffen schweigen. Doch selbst dann wird der Krieg auf dem Kongress gegenwärtig sein. Wir werden deutlich machen, dass wir Krieg als Mittel zur Durchsetzung politischer oder wirtschaftlicher Interessen strikt ablehnen. Doch wir werden auch ein Zeichen der Solidarität setzen – und tun dies auch schon. Etwa mit der Spendenaktion „Gewerkschaften helfen“ oder mit Aktionen von Gewerkschaftern, die Hilfsgütertransporte organisiert haben oder hier ankommenden Menschen aus der Ukraine zur Seite stehen.

Sie sind vor 42 Jahren in die IG Metall eingetreten. Was war Ihre Motivation? 
Mein Vater war bis zu einem Unfall Bergmann im osthessischen Kalibergbau – und natürlich Gewerkschaftsmitglied. Die Arbeit unter Tage bestimmte die Themen am Küchentisch. Für mich war es eine klare Sache, dass ich am ersten Tag meiner Ausbildung im Betrieb nachfrage, wo man in die IG Metall eintreten kann. Aber auch die Friedenspolitik, für die Gewerkschaften schon immer eingetreten sind, war mit ausschlaggebend. 

Waren Sie selbst aktiv in der Friedensbewegung?
Ja, ich habe an etlichen der großen Demonstrationen teilgenommen. Mein Geburtsort im Osten Hessens, wo ich heute noch wohne, liegt nahe der früheren innerdeutschen Grenze in der Nähe der sogenannten Fulda Gap, das ist die schmalste Stelle der alten Bundesrepublik in Ost-West-Richtung. Bei einer Invasion des Warschauer Pakts wären die sowjetischen Panzer von hier aus am schnellsten am Rhein gewesen. In der NATO gab es ernst zu nehmende Planspiele, sie mit atomaren Kurzstreckenwaffen zu stoppen. Wir wären im Ernstfall ein nukleares Schlachtfeld geworden. Und ich habe auch nicht vergessen, wie viele Kriegsversehrte es in meiner Jugendzeit noch gab. Es gab keine Geburtstagsfeier ohne Menschen, die vom Krieg gezeichnet waren, körperlich und seelisch. 

Das Motto des DGB-Bundeskongresses heißt: „Zukunft gestalten wir“. Das zeugt von Selbstbewusstsein. Was heißt das im Hinblick auf die sich beschleunigende sozialökologische Transformation?
Wir sind nicht die Zauderer und Verhinderer, wir wollen die Transformation mitgestalten. Schauen Sie sich den Kohlekompromiss an, also den schrittweisen Ausstieg aus der Braunkohle: Er ist das beste Beispiel, wie die Transformation mit den Beschäftigten und Gewerkschaften erfolgreich bewältigt werden kann. Wir sind nicht die Sanitäter, zuständig nur für Sozialplan und Interessenausgleich. Wir reden mit, wenn es um die langfristige Perspektive für Betriebe und ganze Regionen geht. Und zwar früh, bevor eine Region, die gestern noch gut dastand, komplett abschmiert.

Hier und da hat man den Eindruck, dass die Gewerkschaftssekretäre dem einen oder anderen Geschäftsführer den Ernst der Lage erst begreiflich machen müssen.
Nicht nur hier und da. Unsere Leute vor Ort berichten uns ständig davon. Es ist tatsächlich so, dass die Gewerkschaften in vielen Fällen die Treiber der Transformation sind – und deutlich weiter denken als die Manager. Betriebsräte und Beschäftigte haben am Gelingen der Transformation ja auch ein anderes Interesse als ein Geschäftsführer, der einen Fünfjahresvertrag hat. Das darf man nicht vergessen.

Beim Mindestlohn hat die gewerkschaftliche Position sich letztlich durchgesetzt. Was lernt man aus der langen Auseinandersetzung? 
Wie wichtig ein langer Atem ist. 2006 haben wir den Beschluss für einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn gefasst – nach einer intensiven innergewerkschaftlichen Debatte. Neun Jahre später wurde der Mindestlohn Realität. Jetzt sind wir bei zwölf Euro. Aber wir dürfen eins nicht vergessen: So wichtig ein fairer Mindestlohn als unterste Haltelinie ist, unser Ziel sind Tarifverträge. Dafür kämpfen wir in allen Branchen.

Ein zähes Ringen. Immer mehr Unternehmen flüchten aus der Tarifbindung.
Wenn ich die Expertisen der Hans-Böckler-Stiftung lese, die das statistisch belegen, ist das schmerzhaft. Ich beobachte das ja vor meiner Haustür. Meine Heimat hat sich von einer Industrie- zur Logistikregion gewandelt. In der Logistikbranche Betriebsräte zu wählen und Tarifbindung durchzusetzen, ist richtig schwierig, da muss man ständig dranbleiben und Rückschläge verkraften. Trotzdem müssen wir darauf drängen. 

Große US-Unternehmen investieren in Deutschland – nach Amazon und Tesla jetzt auch der Chiphersteller Intel. Mit welchem Blick schauen Sie darauf? 
Wir sind froh über die Arbeitsplätze. Aber den Investoren muss eines klar sein: Genauso selbstverständlich wie sie staatliche Förderung in Milliardenhöhe in Anspruch nehmen, müssen sie geltende Tarifbedingungen einhalten und die Mitbestimmung respektieren. 
 

Zur Person

Stefan Körzell gehört dem geschäftsführenden Bundesvorstand des DGB seit 2014 an. Er trat 1980 mit 17 Jahren zu Beginn seiner Ausbildung zum Maschinenschlosser in die IG Metall ein. Der heute 59-Jährige ist Mitglied der SPD. Im DGB-Vorstand verantwortet Körzell insbesondere die Struktur-, Industrie- und Dienstleistungspolitik.

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