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Magazin Mitbestimmung

Interview: „Wir brauchen wirklich mehr Schutz“

Ausgabe 03/2014

Die NGG-Vorsitzende Michaela Rosenberger sagt, „dass eine Verpflichtung, Betriebsräte zu wählen, eine Überlegung wert ist“. Um Betriebsratsgründer zu schützen und die Erosion der Mitbestimmung zu stoppen. Mit Michaela Rosenberger sprach Redakteurin Cornelia Girndt in Hamburg.

Frau Rosenberger, die Reichweite der betrieblichen Mitbestimmung ist zurückgegangen: Von einem Betriebsrat vertreten werden in Westdeutschland 43 Prozent der Beschäftigten, im Osten 36 Prozent. Rund zehn Jahre vorher waren es 50 Prozent in West und 42 in Ost. Könnten die Behinderungen von Betriebsratswahlen ein Grund sein? 

Die Gründe sind vielfältig. Sicher spielt die Ausweitung der befristeten Beschäftigung und der prekären Arbeit eine Rolle, was gerade bei den Jüngeren verhindert, dass Leute ein Arbeitnehmermandat übernehmen. Dazu kommt die organisatorische und arbeitsrechtliche Komplexität, das allein schreckt schon einen potenziellen Wahlvorstand ab – selbst beim vereinfachten Wahlverfahren. Und wenn dann auch noch der Arbeitgeber quertreibt, dann sind das schon erhebliche Hürden. 

Sie denken dabei an Ihre Branchen mit vielen weiblichen Teilzeitbeschäftigten und zahlreichen Minijobs.


Nehmen wir das Gastgewerbe: Hier liegt die durchschnittliche Mitarbeiterzahl pro Unternehmen – von der Imbissbude bis zum internationalen Sternehotel – bei weniger als fünf. Hinzu kommt, dass knapp die Hälfte der Beschäftigten in einem Minijob arbeitet. In dieser kleinteiligen Struktur wird es auch in absehbarer Zeit kaum Betriebsräte geben.

Was schlagen Sie vor? 


Die Verpflichtung, Betriebsräte zu wählen, sollte eine Überlegung wert sein. Auch um die Erosion der Mitbestimmung zu stoppen. Der Knackpunkt ist, dass keine Gewerkschaft die Wahl eines Betriebsrates von außen erzwingen kann, auch wenn es im Betriebsverfassungsgesetz heißt: „In Betrieben mit mindestens fünf Arbeitnehmern werden Betriebsräte gewählt.“ Die Beschäftigten müssen selbst den Bedarf und den Nutzen erkennen – und es muss Kandidaten geben. Hier können wir vor allem bei der Erstwahl eines Betriebsrates derzeit immer wieder nur aufklären, Unterstützung anbieten, welche Mitbestimmungsrechte ein Betriebsrat hat. Wir wollen vor allem die jungen Leute sensibilisieren, dass sie es mit in der Hand haben, wie sich ihre Perspektiven im Betrieb und ihr Arbeitsumfeld gestalten lassen.

Das WSI hat Gewerkschaftssekretäre aus Industrie und Handel befragt, und 60 Prozent von ihnen sagten, dass ihnen Betriebe bekannt sind, in denen Betriebsratswahlen behindert wurden. Das ist doch keine Petitesse!


Im Hotel- und Gaststättengewerbe ist es eher die Regel, dass eine erstmalige Betriebsratswahl behindert wird. Da werden Störmanöver vor und während der Wahlen versucht. Danach laufen Wahlanfechtungen, weil das Wahlausschreiben nicht richtig aushing oder wegen anderer Formalitäten. Es ist kaum möglich, eine Wahl so durchzuführen, dass sie am Ende nicht irgendwo anfechtbar wäre. In dem engen Wahlzeitraum springen unsere Gewerkschaftssekretäre von einem zum anderen Betriebsrat, beraten die Wahlvorstände, und da übersieht man auch mal was. Eben weil das Verfahren so kompliziert ist. 

Die Einschüchterung von Kandidaten ist die häufigste Arbeitgebermaßnahme. Können Sie das bestätigen? 


So ziemlich das Mieseste, was wir schon erlebt haben, ist, dass Frauen von ihren Vorgesetzten unter Druck gesetzt werden, um einen Kandidaten für einen Betriebsrat in Misskredit zu bringen, zum Beispiel mit dem Vorwurf der sexuellen Belästigung. Da wird ein bunter Strauß gespielt, das erleben wir derzeit bei der Burger King GmbH mit dem neuen Eigentümer Herrn Yildiz, der sich, so unsere Einschätzung, der gewählten Betriebsräte entledigen will und den Personen Unterschlagung oder unzulässige Krankschreibungen unterstellt. Es ist manchmal unglaublich, mit welchen Dingen man da zu tun hat. 

Solche Unterstellungen bleiben in den Kleidern der Kolleginnen und Kollegen hängen, außerdem gehen Kollegialität und Kultur kaputt. 


Was durchaus beabsichtigt ist. Es geht ja nicht um ein abstraktes Gebilde – den Betriebsrat –, sondern um einzelne Personen. Die haben auch Familie, die haben Freunde. Die Burger King GmbH und Herr Yildiz lassen sich von dem einschlägig bekannten Rechtsanwalt Helmut Naujoks vertreten, der systematisch vorgeht: Es wird gegen die Arbeitnehmervertreter eine persönliche Anschuldigung erhoben und ein Gerichtsverfahren eingeleitet. Das verliert Naujoks, er hat bisher jedes Verfahren verloren, das wird dann in der Regel abgehakt. Und dann sucht er sich ein neues Opfer oder das gleiche mit einem neuen Vorwurf. Wir hatten seit Mai letzten Jahres 19 Gerichtsverfahren wegen Kündigung, davon haben wir zehn mit Erfolg für die angeschuldigten Betriebsräte abgeschlossen. Von vier Verfahren wegen Schadenersatzklagen haben wir bislang eines gewonnen. 

Ein Betriebsrat bei Burger King sollte jetzt sein Gehalt, das während seiner freigestellten Betriebsratstätigkeit weitergezahlt worden war, zurückzahlen. 


Das ist völlig absurd! Aber das macht die Leute fertig, wenn sie eine Aufforderung bekommen, sie sollen 50.000 Euro zurückzahlen. Das kommt für einen Burger-King-Beschäftigten einer Existenzvernichtung gleich. Uns war sofort klar, dass Naujoks damit nicht durchkommt, aber der Beklagte ist total verunsichert.

Ist da die Rechtsprechung nicht stärker in der Pflicht, diese Menschen, die sich sozusagen im Hoheitsgebiet einer Betriebsverfassung bewegen, besser zu schützen? 


Es passiert eher selten, dass die Gerichte Arbeitgeberverhalten als Straftat werten. In einem Fall hat die Staatsanwaltschaft tatsächlich einmal ermittelt. Doch da ging es auch um den Tatbestand der Freiheitsberaubung und Körperverletzung: Bei Maredo in Frankfurt wurden Beschäftigte und Betriebsräte in ihrer Filiale eingesperrt, draußen wurden Security-Leute postiert. Die Beschäftigten wurden aufgefordert, ihre Handys abzugeben, und sollten Änderungskündigungen unterschreiben. 

Es läuft auch eine Klage wegen Betriebsratsbehinderungen bei der Pasta-Kette Vapiano, das ist laut § 119 Betriebsverfassungsgesetz durchaus eine Straftat. 


Bei Vapiano in Bochum haben leitende Angestellte versucht, die Betriebsratswahl zu behindern, was ein paar mutige Beschäftigte zur Anzeige brachten – mit Unterstützung des örtlichen Gewerkschaftssekretärs. Letztendlich mit Erfolg, denn die Staatsanwaltschaft hat mittlerweile einen Strafbefehl gegen den Arbeitgeber erlassen. 

Ist das Ihre durchgängige Erfahrung? 


Eher nicht. Wir klagen recht häufig wegen der Behinderung von Betriebsratswahlen. Aber fast alle Verfahren werden eingestellt. Wir nehmen an, dass die Umsetzung der Mitbestimmung nach dem Betriebsverfassungsgesetz für die Staatsanwaltschaft meist unbekanntes Terrain ist. Aus diesem Grunde fordert der DGB auch Schwerpunktstaatsanwaltschaften, die entsprechend kompetent agieren. Denn wir müssen uns schon die Frage stellen: Ist es jetzt eine Straftat, wenn gegen die Mitbestimmung verstoßen wird, oder nicht? Derzeit ist das völlig unbefriedigend. Der Gesetzgeber gibt uns die Möglichkeit, rechtlich gegen Behinderungen von Betriebsratswahlen vorzugehen, aber in der Praxis passiert dann kaum etwas.

Was die Initiatoren von Betriebsräten eher entmutigen dürfte.


Ein Wahlvorstand und eine Belegschaft, die versucht haben, einen Betriebsrat zu wählen und dann derartige Erfahrungen machen – da müssen wir schon viel Aufbauarbeit leisten, um sie ein weiteres Mal zu motivieren.

Wir wissen aus vielen Studien: Betriebe mit Betriebsrat haben bessere Arbeitsbedingungen und häufiger Tariflöhne. Diesen Hebel könnten unsere Politiker doch nutzen? 


Im Hotel- und Gaststättengewerbe sind Betriebsräte massiv nicht erwünscht. Eine wesentliche Ursache ist, dass Betriebsräte eine wirkliche Mitbestimmung bei der Arbeitszeit haben. Das wollen die Arbeitgeber nicht. Dann könnten Dienstpläne im Voraus erstellt werden und Beschäftigte nicht mehr einfach abrufbar sein. Deswegen werden sie die Mitbestimmung auch weiter zu verhindern versuchen. Ihr Argument, dass die Kosten für einen Betriebsrat zu hoch seien, halte ich für vorgeschoben. 

Haben eigentlich Betriebsratsbehinderungen zugenommen, oder hat die mediale Aufmerksamkeit zugenommen für Ereignisse wie die bei Burger King oder Maredo?


Die öffentliche Aufmerksamkeit ist gestiegen gegenüber solchen Übergriffen. Wir hatten schon immer Probleme im gesamten Bereich der Systemgastronomie wie auch im Hotel- und Gaststättengewerbe. Ganz anders als in der Lebensmittelindustrie, wo Betriebsräte sich relativ selbstverständlich etabliert haben. Wir haben in unserem Organisationsbereich viele hervorragende Betriebsräte und viele Arbeitgeber, für die die betriebliche Mitbestimmung selbstverständlich ist. Leider gibt es aber auch Arbeitgeber, die eine Betriebsratswahl als Eingriff in ihre unternehmerische Freiheit sehen und entgegen geltendes Recht dann zu verhindern suchen. 

Wollen die Gewerkschaften den Ball eher flach halten bei diesem Thema des Mobbings gegen gewählte Arbeitnehmervertreter?


Das ist in der Tat eine Gratwanderung. Auf der einen Seite müssen wir die Arbeitgeberübergriffe skandalisieren, um unsere Mitglieder zu schützen, das sind wir ihnen schuldig. Damit wollen wir aber nicht jene Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer abschrecken, die es sich gerade überlegen, einen Betriebsrat auf die Beine zu stellen. Was da an Mobbing bekannt wird, ist nicht gerade motivierend. Aber: Wenn niemand sich in diesem Land darüber aufregt, dann wird sich nichts ändern. 

DGB-Vorstandsmitglied Dietmar Hexel macht sich stark für Gesetzesänderungen zum Schutz von Wahlvorständen und Betriebsratsgründern. So sollten die drei Wahlvorstände schon frühzeitiger und dann auch für die gesamte Amtsperiode Kündigungsschutz haben. 


Das tragen wir komplett mit. Denn es gibt doch Betriebe, da wird der Arbeitgeber schon nervös, wenn drei Beschäftigte zusammenstehen und dann noch das Wort Betriebsratswahl fällt. Wir brauchen wirklich mehr Schutz. Ich frage mich aber auch: Kommen wir tatsächlich weiter, wenn wir hier noch diesen und dort jenen Schutzmechanismus einbauen? Denn diese Arbeitgeber werden trotzdem alles versuchen, die Initiatoren von Betriebsräten zu attackieren. Herr Naujoks sucht doch die Gründe für seine Attacken nicht in der Wahl, der greift die Integrität der Person an, überzieht sie mit Klagen. Von daher gebe ich zu bedenken: Warum sollten Betriebsratswahlen nicht verpflichtend sein?

Weiterhin fordert der DGB eine Ausweitung des vereinfachten Wahlverfahrens jetzt auch für Betriebe zwischen 50 und 100 Beschäftigten und eine öffentliche Berichtspflicht. Was halten Sie davon? 


Wenn wir vom Status quo ausgehen, ist das absolut vernünftig. Das vereinfachte Wahlverfahren hat uns eine Menge gebracht, gerade in unseren kleinteiligen Strukturen. Und dass künftig dokumentiert wird, wo ein Betriebsrat gegründet wurde und warum dies möglicherweise gescheitert ist, ist nötig, um den Ursachen besser auf den Grund gehen zu können. 

Aber diese drei gewerkschaftlichen Anliegen zum Schutz von Betriebsratsgründern haben keinen Niederschlag im Koalitionsvertrag gefunden. 


Das bedauern wir zutiefst und werden in den kommenden vier Jahren nichts unterlassen, den Regierungsparteien klarzumachen, wie wichtig eine Stärkung der Mitbestimmung ist. Die tatsächlichen Zahlen geben Anlass zur Besorgnis. 

Können die Tarifparteien nicht selbst auch mehr tun zum Schutz der Arbeitnehmervertreter in ihren Branchen?


Das wäre naheliegend. Wir haben nach eher konflikthaften Jahren ein gutes Verhältnis zum Bundesverband der Systemgastronomie und dem Arbeitgeberverband Nahrung und Genuss. So können wir, wenn in einer McDonalds-Filiale gegen eine Betriebsratswahl quergetrieben wird, auch mal den Verband einschalten. Allein bei der Burger King GmbH greift das nicht. Denn die Company ist nicht mehr in der Verantwortung, da sie mittlerweile alle ihre Filialen in das Franchise-System überführt hat – für uns ein Riesenproblem. Da möchte ich doch mal anregen, dass künftig in den Franchise-Verträgen geregelt ist, dass die Franchise-Nehmer auch für die Mitbestimmung einstehen, andernfalls könnte ihnen auch der Vertrag gekündigt werden. Aber so weit ist die Branche noch lange nicht.


Zur Person

Michaela Rosenberger, 53, ist seit November 2013 die erste Frau an der Spitze der traditionsbewussten Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), die mit den Niedriglöhnen im Gastgewerbe und der skandalträchtigen Fleischindustrie schwierige Branchen vertritt. Derzeit kämpft sie für den Mindestlohn – ohne Ausnahme. Die gelernte Hotelfachfrau und Betriebswirtin hat über den zweiten Bildungsweg ihr Fachabitur abgelegt und ist Fachlehrerin für die Berufe des Gastgewerbes. Sie wurde 1990 Gewerkschaftssekretärin und war seit 2003 stellvertretende Vorsitzende der NGG. Sie gehört keiner Partei an.

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