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US-Forscher Sarosh Kuruvilla vor Bücherregal Magazin Mitbestimmung

Globalisierung: „Wir brauchen keine Fake-Audits“

Ausgabe 02/2025

US-Forscher Sarosh Kuruvilla hat eine Methode entwickelt, mit der man die Sorgfaltspflicht von Unternehmen effizient prüfen kann. Doch der politische Wille fehlt, Lieferketten hart zu regulieren. Das Interview führte Kay Meiners

Das deutsche Lieferkettengesetz steht auf der Kippe: Der letzte Wirtschaftsminister wollte es für zwei Jahre aussetzen, die Union als stärkste Kraft in der neuen Regierung will es ganz abschaffen. Was halten Sie von dem Gesetz?

Verglichen mit ähnlichen Gesetzen in Frankreich oder Norwegen ist das deutsche Gesetz überlegen. Die Regulierungsbehörden verpflichten alle Unternehmen zum Handeln, aber wenn ein Unternehmen nur 10 Prozent der Produktion eines Lieferanten kauft, werden die deutschen Behörden nicht auf dieselbe Art und Weise gegen das Unternehmen vorgehen, als wenn es 90 Prozent abnimmt. In Deutschland muss man die Wirksamkeit von Maßnahmen nachweisen.

Schon bei der Risikoanalyse gilt es, den tatsächlichen Einfluss auf die Lieferkette zu berücksichtigen. Ist das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA), das die Einhaltung überwachen soll, ein zahnloser Tiger?

Dass dieser Eindruck entsteht, hat politische Gründe. Alle warten derzeit auf die europäische Lieferkettenrichtlinie. Bis dahin wird nicht viel passieren. Diese Richtlinie könnte im Detail strengere Regelungen enthalten als das deutsche Gesetz, insbesondere weil sie eine zivilrechtliche Haftung vorsieht. Sie könnte aber im politischen Prozess auch weiter verwässert werden. Zum jetzigen Zeitpunkt haben die EU-Kommissare einen Sammelgesetzentwurf vorgelegt, der darauf abzielt, die Richtlinie vollständig zu schwächen. Aufgrund dieser Unsicherheit ist das BAFA derzeit eher vorsichtig.

Das plant die EU

Die Lieferkettenrichtlinie der EU(Öffnet in einem neuen Fenster) soll Unternehmen dazu verpflichten, die Menschenrechte sowie Umwelt- und Klimaschutz zu achten. Die im Mai 2024 verabschiedete Richtlinie war bereits in den Verhandlungen davor stark verwässert worden. Nun hat Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen eine sogenannte „Omnibus“-Initiative (Öffnet in einem neuen Fenster)angekündigt, die sich besonders auf die Nachhaltigkeitsregulierung konzentrieren und „bürokratische Erleichterungen“ erreichen soll. Diese Initiative könnte am Ende zu weniger Transparenz und Einflussmöglichkeiten für Beschäftigte führen. Das hat unter anderem die Gewerkschaften auf den Plan gerufen.

Es gibt viele Mess- und Prüfverfahren, um Lieferketten auf Verstöße gegen Umwelt-, Arbeits- und Menschenrechtsstandards zu überprüfen. Warum haben Sie ein eigenes System entwickelt?

Viele der Audits auf dem Markt sind nicht gut. In China und Indien gibt es regelrechte Fake-Audits, und die Mehrzahl der Audits weist zudem gravierende Qualitätsmängel auf. Manche Audits sind nicht gut, weil die Auditoren nicht gut ausgebildet sind, zu schlecht bezahlt werden und vor allem ihre Besuche in der Fabrik zu kurz sind, um wirklich Verstöße aufzudecken. Die Unternehmen wiederum konzentrieren sich auf Inputs, die guten Absichten, die im Verhaltenskodex aufgeführt sind, aber nicht auf Outcomes, die Wirksamkeit der Programme. Wenn man es richtig macht, kostet es etwas mehr Geld. Ich habe mein eigenes System von Outcome-Metriken entwickelt, um nach Beweisen zu fragen, ob die Dinge vor Ort funktionieren.

Ihre Methode haben Sie ursprünglich für die Textilindustrie konzipiert. Wie funktioniert sie?

Wir sagen den Unternehmen: Wir wollen nichts von Ihren Versprechen hören, einen existenzsichernden Lohn zu zahlen, zeigen Sie mir einfach, wie hoch der Lohn ist. Erzählen Sie mir nicht, dass Sie versuchen, Geschlechtergleichheit zu erreichen, zeigen Sie mir einfach die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen. Erzählen Sie mir nicht, dass Sie die Vereinigungsfreiheit unterstützen, zeigen Sie mir, dass es am Arbeitsplatz eine echte Gewerkschaft gibt. Dazu gibt es 25 Kennzahlen.

Sie benötigen dazu zahlreiche Daten über Einkäufe. Darunter können aus Sicht der Unternehmen auch Betriebsgeheimnisse fallen.

Immer mehr Unternehmen geben an, woher sie ihre Produkte beziehen. Es herrscht bereits Transparenz in der Lieferkette. Uns interessieren Daten, die belegen, dass die Beziehung zum Lieferanten langfristig ist und ob die bestellte Warenmenge gleich bleibt, abnimmt oder zunimmt. Ich muss die genaue Menge nicht messen. Uns interessiert auch, ob das Einkaufssystem des Unternehmens in die Compliance-Systeme integriert ist. Werden Lieferanten, die Verbesserungen bei den Arbeitsrechten vorweisen, mit mehr Aufträgen belohnt? Das deutsche Gesetz verlangt von Unternehmen gute Managementpraktiken, die die Compliance bei Lieferanten unterstützen.

Selbst solche Daten geben die Unternehmen nicht gern heraus.

Deutsche Unternehmen sind oft sensibler als amerikanische oder britische. Sie scheinen nicht das Selbstvertrauen zu haben, ihre Ergebnisse öffentlich zu machen. Einige Bekleidungsunternehmen wie Hugo Boss machen seit Jahren Audits und verfügen über eine Menge Daten zu Arbeitsbedingungen und Menschenrechten bei all ihren Zulieferern, aber die werden nicht veröffentlicht. Branchenführer wie H&M, GAP und Levi’s neigen dagegen dazu, mehr Ergebnisse offenzulegen, auch wenn diese nicht so gut aussehen. Aber kein Unternehmen legt so viel offen, wie ich es mir wünschen würde.

Zu Gewerkschafts- und Arbeitsrechten fragen Sie Daten auf der Ebene jeder Produktionsstätte ab.

Ja, eine Berichterstattung auf aggregierter Ebene ist nutzlos. Man muss wissen: Wie viele Arbeitsunfälle gibt es? Wie viele Überstunden wurden geleistet? Ist die Vereinigungsfreiheit wirklich gewährleistet? Und wer entscheidet über die Löhne? Viele Unternehmen sagen mir: Natürlich gibt es eine Gewerkschaft. Aber ist das eine echte Gewerkschaft oder eine Scheingewerkschaft? Sie sagen: Es gibt einen Tarifvertrag. Aber ist das ein echter Vertrag? In der Hälfte der Fälle, die wir in China untersucht haben, ist der Tarifvertrag nur eine neue Version des Gesetzes.

Textilarbeiter in einer Fabrik in Bangladesch
Textilfabrik in Bangladesch: „Die Mehrzahl der Audits weist gravierende Qualitätsmängel auf.“
Textilarbeiter in einer Fabrik in Bangladesch
Textilfabrik in Bangladesch: „Die Mehrzahl der Audits weist gravierende Qualitätsmängel auf.“

Welche Institution hätte die Macht, Ihre Kennzahlen verbindlich vorzuschreiben?

In Deutschland könnte das BAFA dies verlangen, wenn es das wollte und den politischen Willen dazu hätte. Wenn die EU-Richtlinie Klagen zulässt, werden Schlüsseldaten wie die von mir geforderten Zahlen früher oder später als Beweismittel vor Gericht dienen. Wenn die zivilrechtliche Haftungsklausel in der EU-Richtlinie bestehen bleibt, könnten Arbeiterinnen in Bangladesch ein deutsches Unternehmen verklagen, weil es in einer Fabrik einkauft, in der Frauen weniger verdienen als Männer. Der Fall wird vor Gericht gehen. Und das Gericht wird fragen: Was sind die Beweise?

Die Kennzahlen sind also auch für die Unternehmen selbst nützlich?

Natürlich, und zwar nicht erst, wenn eine Klage eingereicht wird, sondern schon lange vorher. Unternehmen können anhand unserer Kennzahlen entscheiden, ob ein Menschenrechtsrisiko besteht oder nicht. Die EU-Lieferkettenrichtlinie verpflichtet Unternehmen, Risiken zu melden. Nehmen wir an, es gibt Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen für die gleiche Arbeit, und bei einem Zulieferer sind 90 Prozent der Beschäftigten Frauen. Dann muss das Unternehmen eine Entscheidung treffen: Handelt es sich um ein großes, mittleres oder kleines Risiko?

Was tun Sie, um Ihre Methode bekannt zu machen?

Wir reisen wie Missionare durch die Welt. Unsere Liste mit den wichtigsten Akteuren haben wir dem BAFA und dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung vorgelegt. Auch Europaabgeordnete kennen die Liste, ebenso die Internationale Arbeitsorganisation (ILO). Wen wir wirklich auf unserer Seite haben wollen, sind die Gewerkschaften. Wir haben mit dem Europäischen Gewerkschaftsbund und dem Gewerkschaftsverband IndustriALL gesprochen. Wir hoffen, auch mit deutschen Gewerkschaften sowie dem Gewerkschaftsverband UNI Global sprechen zu können.

Wie waren die Reaktionen?

Sie waren sehr positiv. Wir werden vielleicht einige der Beschaffungskriterien nicht durchsetzen und die Unternehmen nicht dazu bringen können, ihnen zuzustimmen. Aber mit den Kriterien für Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsrechte dürften wir keine Probleme haben. Jede Gewerkschaft auf der Welt wird unsere Forderungen unterstützen.

Wie sehen Sie politische Chancen?

Die politischen Chancen, das Vorhaben nun durchzusetzen, stehen leider nicht besonders gut. Überall, auch bei der OECD in Paris, wird über Vereinfachungen diskutiert, die wichtige Regelungen abschaffen oder verwässern könnten. Seit der Europawahl ist auch das EU-Parlament nach rechts gerückt. Einige der Leute, die hinter den Richtlinien standen, sind nicht mehr dabei.

In den USA gibt es kein Lieferkettengesetz, US-Präsident Donald Trump setzt auf totale Deregulierung. Wie leben Sie mit dieser Dichotomie, sozusagen in zwei Welten?

In den USA hat es dafür nie Unterstützung gegeben, auch nicht unter Biden. Was es gibt, ist ein Importverbot wegen der Verfolgung der Uiguren in China – der Uyghur Forced Labor Prevention Act. Das war eine politische Sache. Aber das ändert nichts daran, dass europäische Gesetze den Weg weisen. Sie haben die Macht, die Welt zum Besseren zu verändern.

Was bedeutet Trumps Präsidentschaft für die Finanzierung Ihres Instituts?

Unser Global Labor Institute erhält für seine Arbeit projektbezogenes Geld aus verschiedenen Quellen, auch von Stiftungen und Organisationen aus Deutschland sowie von der ILO. Ein Problem der Trump-Präsidentschaft ist, dass man die Finanzierung des Arbeitsministeriums einschränkt, was weniger Geld für die ILO bedeutet,  was wiederum Auswirkungen auf uns haben wird. Außerdem schränkt die Trump-Regierung die Finanzierung von Universitäten generell ein, sodass wir auch von innen bedroht sind. Das bedeutet, dass wir nicht so viel tun können, wie wir möchten. Aber wir werden unsere Arbeit fortsetzen.


SAROSH KURUVILLA ist Professor für Arbeitsbeziehungen, Asienstudien und öffentliche Angelegenheiten an der Cornell University in Ithaca, New York. Kuruvilla hat viel zu Arbeitsbedingungen und Arbeitspolitik in Asien geforscht und dort mit den nationalen Regierungen zusammengearbeitet. Jetzt erforscht er am Global Labor Institute, das zur Universität gehört, Menschenrechtsverstöße in Lieferketten.

Die Methode

In diesem Dokument stellen Sarosh Kuruvilla und sein Co-Autor Jason Judd ihr Kennzahlensystem zur Kontrolle globaler Lieferketten vor: Sarosh Kuruvilla/Jason Judd: Measuring Supply Chain Due Diligence: Labor Outcomes Metrics. GLI Policy Brief, Mai 2024

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