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Magazin Mitbestimmung

Das Interview führten CARMEN MOLITOR und MARGARETE HASEL: „Wir brauchen faire Wettbewerbsbedingungen für die Stahlindustrie“

Ausgabe 02/2017

Interview Harald Schartau, Arbeitsdirektor der Georgsmarienhütte Holding GmbH und Sprecher der Arbeitsdirektoren Stahl, nimmt die Politik für die Bewältigung der Stahlkrise in die Pflicht.

Das Interview führten CARMEN MOLITOR und MARGARETE HASEL

Mit welchen Erwartungen für die deutsche Stahlbranche gehen Sie ins neue Jahr?

Ich schätze die Entwicklung vorsichtig optimistisch ein. Die Stahlindustrie hat sich abgewöhnt, in langen Zyklen zu denken. Die Ausschläge sind kürzer und die Erfordernisse an die Unternehmen, sich kurzfristig anzupassen, haben enorm zugenommen. Diese Fähigkeit, sich auf unterschiedliche politische und wirtschaftliche Gegebenheiten einzustellen, ist eine große Stärke der deutschen Stahlindustrie.

Trotzdem schwächelt die deutsche Stahlindustrie. Warum?

Unsere Achillesferse sind nationale oder europäische Regulierungen, die den Wettbewerb außerhalb Europas nicht treffen. Das wird zum Problem, wenn die Politik unterschätzt, wie sehr sich staatliche Eingriffe auf unsere Wettbewerbsfähigkeit auswirken. Die internationale Konkurrenz bei den Werkstoffen oder in der Technik sind Herausforderungen, die wir bewältigen müssen – und können. Bei den staatlichen Regulierungen geht das nicht.

Sie meinen die geplanten umweltpolitischen Regulierungen, die Erhöhung der EEG-Umlage und die Verteuerung von CO²-Zertifikaten für die Unternehmen?

Die Stahlindustrie will sich nicht aus Klimaschutz- oder Energieeinsparungszielen herausnehmen, ganz im Gegenteil. Energieeinsparung ist für uns ohnehin ein Kostenziel und dass wir uns den Klimaschutzzielen verpflichtet fühlen, ist vollkommen klar. Aber die Neuregulierung muss im Rahmen des technisch Machbaren bleiben und darf den Wettbewerb nicht aus den Augen lassen. Es geht uns darum, Wettbewerbsbedingungen zu bekommen, unter denen wir mit außereuropäischen Stahlproduzenten konkurrieren können. Unterstellungen, dass wir uns unter Hinweis auf Arbeitsplätze den umweltpolitischen Zielen entziehen wollten, sind dabei wenig hilfreich.

Hat die Politik das verstanden?

Dank einer sehr guten Zusammenarbeit von Wirtschaftsvereinigung Stahl und IG Metall ist es gelungen, innerhalb der vergangenen zwei Jahre in jedem Bundesland, in dem es Stahlindustrie gibt, Landeskonferenzen zur Stahlpolitik zu veranstalten. Das muss man erstmal hinkriegen! Überall setzte sich die jeweilige Landesregierung, meist mit dem Regierungschef an der Spitze, mit den regionalen Vertretern der Stahlindustrie zusammen und stärkte der Branche am Ende eindeutig den Rücken. Eine gewisse Sensibilität und positive Grundeinstellung gegenüber der Stahlindustrie in Deutschland sind also gegeben. Das gilt auch für die neue Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries.

Und bei der EU?

Die EU-Kommission hat sich eine Reindustrialisierung auf einen Industriebestand von 20 Prozent vorgenommen. Das geht nicht ohne eine funktionsfähige Stahlindustrie in Europa. Wir hoffen, dass sie an ihren Ziele festhält. Das wäre für mich sehr beruhigend.

Für welche Regeln setzen Sie sich bei den CO²-Zertifikaten ein?

Der Benchmark, von dem aus die Senkung der Zuteilung ausgehen wird, sollte fair ermittelt und für die Stahlindustrie erreichbar sein. Das ist bisher nicht so: Der Benchmark, den die EU für die Senkung der Zuteilung angelegt hat, ist für uns, obwohl wir auf sehr hohem umwelttechnischen Standard sind, nicht zu erreichen. Er sollte sich am technisch Machbaren orientieren. Es gibt beim Stahl technisch-physikalische Grenzen bei den Einsparungen. Wer die außen vor lässt, sollte lieber sagen, er möchte keine Stahlindustrie haben, als das hinter Einsparzielen zu verbergen. Wir brauchen politische Gestalter, die sich im Stahlbereich auskennen und die die Anstrengungen der Stahlindustrie ernst nehmen. Wir müssen Luft zum Atmen haben, um im Wettbewerb bestehen zu können. In der Stahlindustrie ist in Sachen CO² keine lineare Linie nach unten möglich. Das würde nur bedeuten: Schluss mit Stahl in Deutschland!

Gibt es auf europäischer Ebene Bewegung in dieser Frage?

Ja. Es gibt große Anstrengungen von Seiten der Betriebsräte, der Arbeitsdirektoren und der Unternehmen über EUROFER, dem Wirtschaftsverband der europäischen Eisen- und Stahlindustrie. Aber auch von Seiten der IG Metall und von IndustriAll in Brüssel. Alle versuchen, die Probleme der Stahlindustrie immer wieder auf den Tisch zu bringen und in die Beratungen des Europäischen Parlaments einfließen zu lassen. Da redet natürlich auch der Umweltbereich mit.

Von einer europäischen Regelung hat die Stahlbranche 2016 sehr profitiert: den Anti-Dumping-Zöllen der EU gegen China.

Ja. An sich lebt die deutsche Stahlindustrie vom internationalen Handel und hat kein Interesse an wiederauflebenden Grenzen oder an nationalen Konzepten. Deshalb gehört der Ruf nach Anti-Dumping-Zöllen für uns nicht grundsätzlich dazu. Er ist aber notwendig, wenn staatlich unterstützt und zu Bedingungen, die wir in Deutschland nicht erfüllen können, Mengen zu Schleuderpreisen auf den internationalen Markt geworfen werden.

Welche Rolle spielt die Montanmitbestimmung bei der Krisenbewältigung?

Die Betriebsräte sind kompetente Partner im industriepolitischen Dialog. Sie wissen, dass die Zukunft der Arbeitsplätze von Investitionen und Wettbewerbsfähigkeit abhängt. Betriebsräte sind dabei, wenn es um die technische Ausrichtung, die Wettbewerbsausrichtung oder die industriepolitische Ausrichtung geht. Sie sind dabei, wenn intern um Strategien, Investitionen oder die Ausrichtung der Weiterbildung gerungen wird. Das ist der eigentliche Kern der Montanmitbestimmung. Unsere Branche profitiert davon enorm.

Sehen das alle so?

Ich kann aus eigener Erfahrung als Arbeitsdirektor nur sagen: Mitbestimmung ist kein Kuschelkurs. Mitbestimmung heißt auch, auf Biegen und Brechen um Positionen zu kämpfen. Dabei sind alle gut beraten, das intern im Unternehmen zu machen und nicht auf offener Bühne.

Steht zu befürchten, dass mittelfristig weitere Stahlarbeitsplätze verloren gehen?

Trotz Montanmitbestimmung können wir natürlich nicht ausschließen, dass Unternehmen, selbst nach vielen Anstrengungen, nicht mehr zu halten sind. Aber bevor in einer Krise der nackte Personalabbau angesagt ist, können die Unternehmen auf ein großes Instrumentarium zurückgreifen. So achten nicht nur die Arbeitsdirektoren, sondern das gesamte Management darauf, konjunkturelle Schwankungen ohne Stellenabbau zu bewältigen und trotzdem die Kosten zu reduzieren, zum Beispiel durch Arbeitszeitabsenkung. Allerdings verfügen auch wir über keine Wundermittel.

Die Stahlbranche ist international aufgestellt. Seit dem Amtsantritt von Donald Trump zeichnet sich ab, dass protektionistische Maßnahmen und Schutzzölle ein Instrument der Wahl in der künftigen Handelswelt sein könnten. Was bedeutet das für die Branche?

Es wird immer weniger heiß gegessen als gekocht. Grenzen hochziehen und Rückzug auf nationale Märkte, das würde zumindest der US-amerikanischen Wirtschaftspolitik vollkommen widersprechen. Ein Neuaufleben protektionistischer Ansätze, egal wo auf der Welt, bringt niemandem etwas.

ZUR PERSON

Harald Schartau (63) hat gute Vorsätze für das neue Jahr gefasst. Welche das sind, verrät der Arbeitsdirektor der Georgsmarienhütte Holding GmbH (GMH Holding) aber nicht. „Das habe ich mir abgewöhnt, weil mich sonst hinterher alle daran messen“, lacht er beim Gespräch im „Historischen Zimmer“ der Holding. Hier hängt unter anderem die Überweisung an der Wand, mit der Gesellschafter Jürgen Großmann das Unternehmen 1993 von der Klöckner-Werke AG gekauft hatte – für einen symbolischen Wert von zwei D-Mark. Schartau, ehemaliger NRW-Arbeits- und Wirtschaftsminister, ist Mitglied der kürzlich von fünf auf drei Personen verkleinerten Geschäftsführung der Holding. Als Sprecher der Arbeitsdirektoren Stahl äußert er sich zu den Hintergründen der Stahlkrise.

Fotos: Dirk Hoppe

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