Quelle: Cordula Kropke
Magazin MitbestimmungErneuerbare Energien: Windanlagenbauer brauchen Sicherheit
Die Bundesregierung hat ihre Klimaziele zuletzt noch einmal verschärft. Statt 563 Millionen Tonnen CO2 will Deutschland 2030 nur noch 437 Millionen Tonnen CO2 ausstoßen. Der Weg dorthin führt unter anderem über den Ausbau der erneuerbaren Energien. Doch der hakt seit Jahren. Von Fabienne Melzer
Bei den deutschen Klimazielen sieht Thomas Ahme, Betriebsratsvorsitzender bei Siemens-Gamesa in Hamburg, vor allem eins: eine Lücke. Wenn der Ausbau der erneuerbaren Energien im derzeitigen Tempo weitergeht, könnten 2050 rund 64 Gigawatt aus Sonne und Wind fehlen, um fossile Brennstoffe zu ersetzen. Die erneuerbaren Energien sind ein wichtiger Baustein der Klimapolitik und sollen in Deutschland 2030 rund 65 Prozent des Stroms liefern. Umweltvertreter schätzen, dass dazu etwa 2000 neue Windräder jährlich gebaut werden müssten. Tatsächlich waren es 2020 aber nur 770 Anlagen.
Für den schleppenden Ausbau sieht Ahme mehrere Gründe: „Die Politik hat die Einspeisevergütung aus der EEG-Umlage sukzessive heruntergefahren, gleichzeitig haben neue Ausschreibungspflichten den Wettbewerb verschärft und größere Abstandsregeln zur Wohnbebauung Zulassungsverfahren erschwert.“ In der Folge seien in der Branche seit 2015 rund 50.000 Arbeitsplätze verloren gegangen. Der Windkraftanlagehersteller Senvion schloss 2017 drei Standorte, 2018 strich Enercon zahlreiche Stellen. Siemens-Gamesa traf der politische Umschwung nicht ganz so hart. Für den Hersteller von Off-shore-Turbinen sei zwar der deutsche Markt zusammengebrochen, sagt Ahme, aber das Unternehmen ist international aufgestellt.
Dabei wird der Bedarf an Wind- und Sonnenenergie in Deutschland weiterwachsen. Die Bundesregierung hat im vergangenen Jahr ihre nationale Wasserstoffstrategie gestartet. Sie soll ein Kernelement der Energiewende werden und auch die industrielle Produktion klimaneutral machen. Siemens-Gamesa arbeitet gemeinsam mit Siemens Energy an neuen Techniken für Wasserstoff. „Auf einem Versuchsfeld vor Helgoland soll Wasserstoff direkt an der Turbine erzeugt werden“, erzählt Ahme. In den Braunkohlerevieren überlege man, in ehemaligen Kohlekraftwerken mit Windenergie Wasserstoff zu produzieren. Die Entwicklung im Bereich der Windenergie erinnert Ahme an den Wettlauf der Computerhersteller: „Es herrscht ein enormer Kostendruck. Die Anlagen müssen immer leistungsstärker werden. Zurzeit stellen wir in Cuxhaven die Produktion von acht auf zehn Megawatt um. Einen Prototyp der nächsten Generation mit 14 Megawatt gibt es schon.“ Für diese kurzen Entwicklungszyklen brauchten alle Hersteller Planungssicherheit, um die Energiewende umzusetzen.
Ein anderes Hindernis sehen die Windanlagenbauer in den langen Genehmigungsverfahren. Das Wirtschaftsministerium verweist da auf Klagen gegen Bauvorhaben von Umwelt- und Tierschützern. In der Haut eines Politikers möchte Ahme auch nicht stecken. Andererseits sagt er: „Wir wollen alle das Klima retten, wir wollen alle erneuerbare Energien, da müssen wir Kompromisse machen.“
Einen neuen Schub könnte der Windenergie der green deal der Europäischen Union geben. Sie will die erneuerbaren Energien ausbauen. Die off-shore-Windenergiekapazität soll in der Union bis 2030 auf 60 Gigawatt und bis 2050 auf 300 Gigawatt steigen. Eine zentrale Aufgabe der nächsten Bundesregierung ist aus Sicht der IG Metall, eine breitere Akzeptanz für erneuerbare Energien zu schaffen und die Genehmigungsverfahren zu beschleunigen. Zum einen, um die Klimaziele zu erreichen, zum anderen, um Wertschöpfung und Arbeitsplätze auch zukünftig in Deutschland zu halten.
Betriebsrat Ahme sieht zwei Ziele: den Schutz des Klimas und die Sicherheit seiner Kolleginnen und Kollegen. Bei seinem Arbeitgeber ist es für ihn nicht immer einfach, ihre Interessen zu vertreten. Denn Siemens-Gamesa ist an der spanischen Börse gelistet und der Konzern unterliegt nicht der deutschen Mitbestimmung. „Wir werden oft zu spät informiert oder an den Prozessen nicht beteiligt. Das ist ein ständiger Kampf“, sagt Ahme und wünscht sich deshalb, dass die Mitbestimmung über Deutschland hinweg gilt, sowie von jedem Unternehmen eingehalten wird, egal wo der Firmensitz ist.