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Magazin Mitbestimmung

: Wie man verborgene Potenziale entdeckt

Ausgabe 06/2007

RESSOURCENEFFIZIENZ Wer Rohstoffe schonend nutzt, schützt die Umwelt und spart Geld. Die IG Metall will das Konzept, das die Arbeitskosten entlastet, in die Betriebe bringen. Der Maschinenbau spielt dabei eine Schlüsselrolle.



Von Dominik Reinle. Der Autor arbeitet als freier Journalist in Köln.


Tribologie ist die Lehre von Reibung und Verschleiß. Im Fachgebiet Maschinenbau befasst sie sich mit der Entwicklung optimaler Schmierungstechnologien. Eine Expertin auf diesem Gebiet ist die Firma Lincoln im nordbadischen Walldorf. Der 1910 gegründete Apparatehersteller ist Weltmarktführer für industrielle Zentralschmieranlagen. Diese werden etwa im Bergbau, bei der Papierherstellung, in der Land- und Bauwirtschaft oder auch bei Windkraftanlagen eingesetzt.

Ressourcen-Effizienz ist bei Lincoln seit zehn Jahren ein Thema. Seither hat die Firma ein Umweltmanagement mit Arbeitnehmerbeteiligung. "Entstanden ist das Projekt auf Initiative des Betriebsrates", erzählt Umweltmanagerin Ulrike Schweizer, die selbst 16 Jahre lang Betriebsrätin war. "Ein Heidelberger Wissenschaftler hat uns damals auf die neue Öko-Audit-Verordnung der EU aufmerksam gemacht." Die Geschäftsführung sei von der Idee begeistert gewesen und habe gemeinsam mit der Belegschaft das Umweltmanagement-System implementiert, das regelmäßig zertifiziert wird.

"Bei Lincoln wird die Klimaanlage mit Grundwasser gekühlt", erklärt der Betriebsratsvorsitzende Jürgen Henrich. Eine Solaranlage bereite das Warmwasser auf und Regenwasser werde für WC-Spülungen genutzt. Die Initiative hierfür ging von dem paritätisch besetzten Umweltteam aus. Ihm gehören zwei Arbeitnehmer- und zwei Arbeitgebervertreter an - darunter der Betriebsratsvorsitzende und die Umweltmanagerin. Dazu kommt ein externer Berater, der moderiert und vermittelt.

Über die Beratungsergebnisse entscheidet die Geschäftsführung. Zudem gibt es gewählte Umweltsprecher, die ihre Abteilungen vertreten. Alle 280 Lincoln-Mitarbeiter werden regelmäßig zu Umwelt-Workshops eingeladen. Durchschnittlich nehmen aber nur 15 Beschäftigte teil. Betriebsrat Henrich sieht ein strukturelles Problem: "Wenn jemand auf einem Workshop ist, bleibt seine Arbeit liegen, und er muss sie später zusätzlich erledigen." Gleichzeitig müssten Kundentermine eingehalten werden. Zudem fehle ein finanzielles Anreizsystem, das Ideen mit Erfolgshonoraren prämiere.

RESSOURCENSPARENDE PRODUKTE_ Dennoch ist der effiziente Einsatz von Ressourcen für Lincoln ein wirtschaftlicher Erfolg. "Wir schützen nicht nur die Umwelt, sondern senken auch unsere Kosten", sagt Ulrike Schweizer. "Durch die Abfalltrennung sind bisher über 35.000 Euro eingespart worden." Die Stromeinsparung sei ebenfalls enorm: "Wir brauchen heute weniger Elektrizität als vor zehn Jahren, obwohl wir mittlerweile leistungsstärkere Maschinen haben und mehr Umsatz machen."

Ressourcen-Effizienz ist bei Lincoln aber nicht nur im Produktionsprozess ein Thema. Ebenso wichtig ist die Entwicklung umweltfreundlicher Produkte. Konstrukteur Markus Mandera hat eine hydraulische Schmierpumpe mitentworfen, die bei Baggern eingesetzt werden kann. Die Pumpe ist so konstruiert, dass die beweglichen Baggerteile nur bei Betrieb und nur in kleinen Mengen gefettet werden. "Das spart Schmierstoff und verhindert das Tropfen auf den Boden", erklärt Mandera. Ebenfalls aus der Lincoln-Entwicklungsabteilung stammt ein geschlossenes, automatisches Motoröl-Nachfüllsystem. Es reduziert bei Lastern und Baumaschinen die Umweltbelastung sowie die Energie- und Materialkosten. Gewartet werden muss nur noch alle 100 000 Kilometer, auch das spart Geld. Auf diese Weise erarbeitet sich Lincoln einen Wettbewerbsvorteil, der sich betriebswirtschaftlich auszahlt und dadurch Arbeitsplätze sichert.

750 000 NEUE ARBEITSPLÄTZE_ Die effiziente Rohstoff-Verwendung hat neben betriebswirtschaftlichen Vorteilen auch volkswirtschaftlich positive Effekte, sagt der Wirtschaftswissenschaftler Raimund Bleischwitz vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie. Dort ist in den 90er Jahren der Gedanke der Ressourcen-Effizienz von den Professoren Friedrich Schmidt-Bleek und Ernst Ulrich von Weizsäcker entwickelt worden. Nach einer Untersuchung, an der das Wuppertal-Institut beteiligt war, können Unternehmen in Deutschland ihre Kosten durch einen effizienten Ressourcen-Einsatz um rund zehn Prozent reduzieren. "Allein im Maschinenbau können etwa sechs bis sieben Milliarden Euro Materialkosten eingespart werden", sagt Bleischwitz.

Das gesamtwirtschaftliche Potenzial sei daher groß. So könnten nach Modellrechnungen der Universität Osnabrück durch ressourceneffizientes Wirtschaften bis zum Jahr 2015 in der Bundesrepublik etwa 750 000 Arbeitsplätze zusätzlich geschaffen werden. "Die deutschen Maschinenbauer sind mit ihrer hohen Exportquote die Ausrüster dieser Welt", erklärt Angelika Thomas, die beim IG-Metall-Vorstand das Ressort Technologie-Umwelt leitet. "Bei uns werden jene Maschinen gebaut, die ressourceneffiziente Produktion international möglich machen." Darum habe, sagt Thomas, der Maschinenbau mit seinen Innovationsfähigkeiten eine Schlüsselposition.

Angesichts des Klimawandels ist für die IG Metall eine verbesserte Material- und Energieeffizienz unerlässlich: "Wir befinden uns auf dem Weg zum ökologischen Abgrund", warnt der IG-Metall-Vorsitzende Jürgen Peters auf der Maschinenbau-Konferenz Ende März in Mannheim. Ressourcen-Effizienz beinhalte nicht nur Impulse für Wachstum und Beschäftigung. "Vor allem ist dies auch ein Beitrag zum Umwelt- und Klimaschutz." Der "umweltentlastende technische Fortschritt" biete zudem die Chance, den Druck von den Arbeitskosten zu nehmen: "Die Fixierung auf die Lohnkosten hat vielen den Blick verstellt", so Peters. "Der größte Kostenfaktor im verarbeitenden Gewerbe sind die Materialkosten."

Sie machten bis zu 50 Prozent der Gesamtkosten aus. Die Löhne hingegen hätten daran lediglich einen Anteil von 20 Prozent. Während sich aber, erläutert Peters, die Arbeitsproduktivität der deutschen Industrie seit 1960 mehr als verdreifacht habe, sei die Materialproduktivität im gleichen Zeitraum nur um das Zweifache gestiegen. "Und die Energieproduktivität liegt mit einem Zuwachs von nur 50 Prozent noch weit zurück." Auf diesen Aspekt hatten IG Metall und Bundesumweltministerium bereits Ende August 2006 in einem Zehn-Punkte-Papier bei einer gemeinsamen Tagung zur Ressourcen-Effizienz in Berlin hingewiesen.

LANGFRISTIGE INVESTITIONEN NOTWENDIG_ Trotz steigender Rohstoffpreise vernachlässigt die Wirtschaft bisher das kostensparende Ressourcen-Management. Das Wuppertal-Institut sieht verschiedene Ursachen. "Vielen Unternehmen ist nicht klar, dass ein Kostensenkungspotenzial existiert. Sie nehmen die Materialkosten als gegeben hin", erklärt Raimund Bleischwitz. "Auch das Wissen über konkrete Einsparmöglichkeiten verbreitet sich nur langsam."

Ein weiterer Punkt sei die Risikoscheu, die Produktion umzustellen. Zulieferer- und Kundenbeziehungen könnten ebenfalls eine Neuorientierung erschweren. "Diese Hemmnisse wirken sich bei den Betrieben sehr unterschiedlich aus", sagt Bleischwitz. "Es gibt Unternehmen, die sehr weit sind. Andere haben wenig oder gar nichts gemacht." Teilweise sei auch Marktversagen die Ursache: "Einige Unternehmen sind sehr kurzfristigen Sachzwängen unterworfen." Sie hätten oft kaum Möglichkeiten, in jene neuen Verfahren und Anlagen zu investieren, deren "Return on Investment" (ROI) bei mehr als einem Jahr liege. Wenn sich Investitionen aufgrund von Shareholder-Interessen bereits nach so kurzer Zeit rechnen müssten, erklärt Bleischwitz, seien mittel- und langfristige Projekte nur schwer realisierbar.

Auch bei Lincoln sorgt der ROI-Koeffizient für Kopfzerbrechen. "Als Tochter des amerikanischen Finanzinvestors Harbour-Group haben wir sehr kurze Vorgaben", sagt Ulrike Schweizer. "Umweltprojekte bekommt man da nur schwierig hin." Gerade sei ihre Anfrage, die Grundwasser betriebene Klimaanlage zur Heizung auszubauen, abgelehnt worden. "Das wäre eine Investition, die sich erst ein halbes Jahr nach dem vorgegebenen Zeitraum lohnen würde", sagt die 47-Jährige. Deshalb fordert der Betriebsratsvorsitzende Henrich bei Investitionen die wirtschaftliche Mitbestimmung. Nur ein Mitsprache- und Beratungsrecht reiche nicht aus. "Wenn die Mitarbeiter wirtschaftlich mitbestimmen dürfen, können sie auch bei Umweltinvestitionen mitentscheiden", erklärt der 48-Jährige. Zudem verlangt er, Umweltinvestitionen steuerlich stärker zu begünstigen.

Auch die IG Metall und das Wuppertal-Institut, die beim Thema Ressourcen-Effizienz miteinander kooperieren, wollen verbesserte Rahmenbedingungen. Beide setzen auf Förderprogramme. "Das Bundeswirtschaftsministerium hat ein Impulsprogramm Materialeffizienz aufgelegt", lobt Wirtschaftswissenschaftler Bleischwitz. "Damit wird an bestehende Programme in Bayern, Baden-Württemberg und NRW angeknüpft." Zuallererst könnten jedoch die Unternehmen selbst ihre verborgenen Potenziale entdecken. "Unterstützung geben ihnen dabei Einrichtungen wie die Effizienz-Agentur NRW, die mit PIUS-Checks arbeiten." PIUS-Checks bedeutet "produktionsintegrierter Umweltschutz", bei den Checks wird die Ressourcen-Effizienz im Produktionsprozess analysiert (www.pius-info.de).

Gleichzeitig lasse sich das innerbetriebliche Vorschlagswesen ausbauen und mit Erfolgshonorierungen sowie Freistellungen verbinden. Die IG Metall unterstützt die Mitarbeiterbeteiligung ausdrücklich: "Betriebsräte können Mitinitiatoren und Promotoren sein", betont Metallerin Thomas. Seit der Reform des Betriebsverfassungsgesetzes 2001 sei Umweltschutz verstärkt eine Mitwirkungsaufgabe des Betriebsrates. "Das Wissen der Arbeitnehmer", sagt Thomas, "ist eine große Effizienzquelle."

 

 


BROSCHÜRE
Energie sparen - für Umwelt und Arbeitsplätze

Das Wuppertal-Institut hat im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung das Konzept der "EnergieSparFonds" weiterentwickelt.

Aus einem nationalen Energiesparfonds sollen bundesweit Zuschüsse fließen, wenn Haushalte oder Unternehmen sich von Energiefressern trennen. Das nützt dem Klima und schafft Arbeitsplätze. Mehr dazu in der Broschüre "Der EnergieSparFonds für Deutschland" (siehe auch rechts und unter www.boecklerimpuls.de, 7/2007).

 


MEHR INFORMATIONEN

Über Ressourcen-Effizienz berät die Effizienz-Agentur NRW (Efa). Gemeinsam mit der Hans-Böckler-Stiftung informiert sie kleine und mittlere Betriebe bzw. deren Betriebsräte. www.efanrw.de

Die umweltökonomische Benchmarking-Datenbank Oekobench bietet einen kostenlosen Wettbewerbsvergleich für kleine und mittlere Unternehmen: www.oekobench.de

Die Deutsche Materialeffizienzagentur (Demea), eine Initiative des Bundeswirtschaftsministeriums, hat Infos zu Fördermöglichkeiten: www.materialeffizienz.de

Infos zum Projekt Ressourceneffizienz in KMU der Metallindustrie bei siegfried-leitretter@boeckler.de oder Tel.: 0211/7778-168

Wolfgang Irrek, Stefan Thomas: Der EnergieSparFonds für Deutschland, edition der HBS 169, 2006, zu bestellen unter Fax: 0211/7778-225

Die Broschüre Ressourceneffizienz - Innovation für Umwelt und Arbeit dokumentiert eine Tagung des Bundesumweltministerium (BMU) und der IG Metall im August 2006 in Berlin, ca. 60 Seiten; kostenlos zu beziehen unter der Bestellhotline des BMU, Tel. 01888/3053355 oder service@bmu.bund.de

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