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Magazin Mitbestimmung

WSI-Befragung: Wie man Betriebsräte abblitzen lässt

Ausgabe 06/2012

Arbeitgeber behindern häufiger Betriebsratswahlen als die Arbeit schon existierender Betriebsräte – wie erste Ergebnisse einer WSI-Befragung von hauptamtlichen Gewerkschaftern zeigen. Von Martin Behrens und Heiner Dribbusch

Machen sich auch in Deutschland amerikanische Verhältnisse breit, wonach die organisierte Vertretung von Beschäftigteninteressen als unstatthafter Eingriff in die unternehmerische Handlungsfreiheit zu sehen ist? In den USA, so analysiert John Logan von der San Francisco State University, habe sich eine „union avoidance industry“ breitgemacht, also ein Wirtschaftszweig, der die aktive Vermeidung von Gewerkschaften als sein Kerngeschäft begreift und jedes Jahr mehrere Hundert Millionen Dollar umsetzt. Die in Deutschland bekannt gewordenen Fälle sind ebenso vielfältig wie brisant: Die Telekom lässt Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat bespitzeln, Unternehmen versuchen gewählte Betriebsräte loszuwerden, und schrecken dabei auch nicht vor Einschüchterung und Mobbing zurück.

Ist im amerikanischen Kontext von „union busting“, also der Zerschlagung von Gewerkschaftsstrukturen die Rede, so geht es im deutschen Zusammenhang zumeist um die Drangsalierung von Betriebsräten. Folgt man entsprechenden Medienberichten, so lassen sich auch deutsche Unternehmen gern von Anwaltskanzleien unterstützen, wenn es darum geht, unliebsame Betriebsräte loszuwerden. Offen ist bislang die Reichweite von Aktivitäten der offensiven Betriebsratsvermeidung: Dokumentieren die Berichte nur die Spitze des Eisbergs? Handelt es sich hierbei um einige wenige Extremfälle, die letztlich keine Aussagen über das Verhältnis zwischen deutschen Unternehmen und ihren Betriebsräten und die sie organisierenden Gewerkschaften erlauben? Belastbare empirische Angaben sind rar.

Um einen Eindruck vom Ausmaß der Aktivitäten zur Behinderung von Betriebsratswahlen zu bekommen, haben wir Ende 2011 am WSI ein noch laufendes Forschungsprojekt begonnen. Erste Ergebnisse liegen vor: Danach sind es in der Mehrzahl nicht die Betriebe mit bereits existierendem Betriebsrat, die Ansatzpunkte für Vermeidungs- und Behinderungsstrategien der Unternehmen bieten, sondern vielmehr jene 90 Prozent der Betriebslandschaft, in denen es (noch) keine Interessenvertretung gibt. Letztlich kommen auf einen bekannten Fall der Behinderung eines bestehenden Betriebsrates zwei Fälle der versuchten Be- oder Verhinderung der Neuwahl eines solchen Gremiums – darauf deuten Angaben der befragten hauptamtlichen Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter aus den Bezirken, Regionen und Verwaltungsstellen hin.

Die Bandbreite der gerade bei Neuwahlen ergriffenen Gegenmaßnahmen des Managements ist sehr groß: Besonders weit verbreitet sind Versuche, Kandidatinnen und Kandidaten für die Betriebsratswahl einzuschüchtern mit dem Ziel, sie letztlich von der Kandidatur abzuhalten. In eine ähnliche Richtung gehen Versuche des „Herauskaufens“, wonach den betreffenden Beschäftigten Vergünstigungen oder Vorteile angeboten werden, wenn sie sich bereit erklären, von der Kandidatur Abstand zu nehmen. Weiterhin nannten die befragten Hauptamtlichen Versuche der Geschäftsführungen, die Bestellung eines Wahlvorstandes zu verhindern oder die Herausgabe der für die Durchführung einer ordnungsgemäßen Wahl notwendigen Personallisten zu verweigern.

Als keineswegs exotische Ausnahmen erwiesen sich auch Fälle, in denen Betriebsratskandidatinnen und -kandidaten oder Mitgliedern des Wahlvorstandes gekündigt wurde. In (wenigen) extremen Fällen griff die Betriebsleitung gar zu Maßnahmen wie der Verlagerung, Aufspaltung oder gar Schließung des Betriebes, um die Wahl eines Betriebsrates zu vereiteln.

MITBESTIMMUNGSFEINDLICHE ORIENTIERUNG

Wie diese Befunde andeuten, treten aggressive Vermeidungsstrategien seitens der Unternehmensleitung gehäuft dann in Erscheinung, wenn am Status quo der Betriebsratslosigkeit gerüttelt wird. Wie die WSI-Befunde auch zeigen, geht eine mitbestimmungsfeindliche Managementorientierung mit zwei weiteren Merkmalen einher: Es handelt sich fast ausschließlich um Betriebe mit deutlich weniger als 200 Beschäftigten, und diese Betriebe werden bevorzugt durch die Inhaber selbst geleitet.

Allerdings zeigt die Untersuchung auch dies: Versuche der Verhinderung von Betriebsratswahlen sind keineswegs die Regel; es sind aber auch nicht nur Einzelfälle. Nach dem bisherigen Stand der Befragung sind im verarbeitenden Gewerbe in etwas mehr als der Hälfte der örtlichen Gewerkschaftsgliederungen Fälle der Behinderung von Betriebsratswahlen bekannt. Die Fälle sind zum Teil dramatisch, weil sie allzu oft einschneidende Konsequenzen für die betroffenen Belegschaftsaktivisten in den Betrieben haben und weil die legitimen Ansprüche der Beschäftigten nach betrieblicher Demokratie und Teilhabe untergraben werden. Dennoch sind sie bislang nicht stilbildend.

Doch auch wenn nur eine verschwindende Minderheit der betriebsratslosen Betriebe alle Register zieht, um die Wahl einer Interessenvertretung zu verhindern, so heißt dies nicht zwangsläufig, in allen anderen Betrieben herrsche eitel Sonnenschein. Wie Wissenschaftler der TU München im Rahmen des Projektes „Regulierung von Arbeitsbeziehungen in betriebsratsfreien Betrieben“ herausgefunden haben, lassen sich zwar Managementkonzepte zur offensiven Überwindung des Modells Betriebsrat von defensiven Vermeidungskonzepten unterscheiden. Beide sind sich aber in einem Punkt einig: Die Macht im Betrieb soll keinesfalls mit einem Betriebsratsgremium geteilt werden. Während das Management in mitbestimmten Betrieben mit teils langjähriger Erfahrung im Umgang mit Betriebsräten hier viele Dinge entspannter sieht, fördert die Befragung von Managern der nicht-mitbestimmten Betriebe eine Reihe von Ablehnungsgründen zutage: Hier wird argumentiert, die Beschäftigten könnten ihre eigenen Interessen besser selbst artikulieren, der Betriebsrat betreibe Ideologieproduktion, gefährde somit den Betriebsfrieden und koste den Betrieb letztlich nur Geld. Wohl gemerkt, diese Ablehnungsgründe basieren gerade nicht auf Erfahrungen mit Betriebsräten, sondern auf reinen Erwartungen.

ANDERE VERTRETUNGSORGANE

Derart ablehnende Orientierungen bringen allerdings das Management zuweilen in Nöte. Denn die Wünsche der Beschäftigten nach Teilhabe, die Zwänge für das Management, unternehmerische Entscheidungen zu legitimieren, sowie die Notwendigkeit, betriebliche Konflikte zu lösen, bleiben bestehen. Insbesondere dann, wenn die reine „Herr im Haus“-Politik an ihre Grenzen stößt, eröffnen sich Räume für Beteiligung. Dies bedeutet allerdings nicht, dass das Management seine Ablehnung gegenüber einer gesetzlichen Interessenvertretung aufgibt.

Wie neuere Forschungen ergeben haben, existiert in betriebsratslosen Betrieben eine verwirrende Vielzahl von anderen Interessenvertretungsorganen. Neben runden Tischen und Taskforces treten hier auch Ombudsleute in Erscheinung. Während nun zehn Prozent aller Betriebe mit mehr als fünf Beschäftigten einen Betriebsrat haben, findet sich in acht Prozent aller Betriebe dieser Größe eine betriebsspezifische Mitarbeitervertretung. Nähere Analysen zeigen: Viele dieser Gremien sind von nur kurzer Lebensdauer. Darüber hinaus lassen sich betriebsspezifische Mitarbeitervertretungen auch in Bezug auf ihren konkreten Zweck, die Reichweite der Beteiligungsrechte und die Frage nach der Unabhängigkeit vom Management keineswegs über einen Kamm scheren. Eines zeigt sich allerdings sehr deutlich: In den Betrieben gibt es ein Bedürfnis nach Beteiligung, und auch durch teils aggressiv vorgetragene Strategien der Bekämpfung von Betriebsratsgründungen löst sich dieses nicht in Luft auf. 

Text: Martin Behrens und Heiner Dribbusch, Wissenschaftler im WSI in der Hans-Böckler-Stiftung

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