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Der IG-Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann sieht Gewerkschaften und Betriebsräte in der Pflicht, die Mobilitätswende aktiv zu gestalten – politisch, gesellschaftlich und in den Betrieben. Sonst droht der Verlust von Zehntausenden Arbeitsplätzen. Magazin Mitbestimmung

Von CARMEN MOLITOR: Wie kann die Mobilitätswende gelingen, Kollege Hofmann?

Ausgabe 10/2017

Interview Der IG-Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann sieht Gewerkschaften und Betriebsräte in der Pflicht, die Mobilitätswende aktiv zu gestalten – politisch, gesellschaftlich und in den Betrieben. Sonst droht der Verlust von Zehntausenden Arbeitsplätzen.

Von CARMEN MOLITOR

2015 haben Sie gesagt: „Wenn die Fahrzeugindustrie nicht das Schicksal der Unterhaltungselektronik erleiden soll, muss jetzt gehandelt werden.“ Nun haben wir 2017. Ist es noch früh genug, das Lenkrad herumzureißen?

Es ist zumindest nicht zu spät. Seit dem Dieselskandal herrscht viel stärkerer Druck zur Veränderung. Den muss die Branche aufnehmen. Sie kann nicht weiter in Selbstgefälligkeit vor sich hin bräsen wie in der Vergangenheit. Wir brauchen jetzt einen Pfadwechsel. Es stellt sich die Frage, wie wir zu einer möglichst klima- und umweltfreundlichen Mobilität der Zukunft kommen, die die individuelle Mobilität nicht eingrenzt und den Betroffenen in der Fahrzeugindustrie eine Beschäftigungsperspektive gibt.

Was macht die Mobilitätswende zu einer solch großen Herausforderung?

Die Automobilbranche steht vor einer Reihe von Veränderungsprozessen, die ich sowohl in ihrer zeitlichen Dynamik, aber vor allem in ihrer Gleichzeitigkeit so noch nicht erlebt habe – und ich bin schon ein paar Jahre dabei. Es geht um Klima- und Umweltregulation, um die weitergehende Globalisierung und um völlig neue Wertschöpfungsketten. Wir müssen uns mit der Digitalisierung der Produkte und dem automatisierten Fahren beschäftigten. Und es gibt die Herausforderung der Digitalisierung der Produktionsprozesse, Stichwort Industrie 4.0. Diese Veränderungsprozesse treffen auf eine Arbeitswelt, die heute schon nicht gerecht ist. Sie könnten die Ursache dafür werden, dass das Arbeitsleben noch ungerechter wird, weil sie die Beschäftigungsperspektiven der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer infrage stellen und für mehr prekäre Beschäftigung sorgen.

Wie viele Arbeitsplätze werden durch die Transformation der Branche voraussichtlich verloren gehen?

Im Bereich des Antriebsstrangs sind in Deutschland rund 320 000 Menschen beschäftigt. Wenn wir die Klimaziele der EU erreichen wollen, müssen im Jahr 2030 25 Prozent der Zulassungen Elektroautos sein. Das heißt, dass dann ein Viertel der Beschäftigten, die heute im Antriebsstrang tätig sind, bestenfalls etwas anderes – ich hoffe, überhaupt etwas – zum Arbeiten haben. Im relativ kurzen Zeitraum von 13 Jahren müssen wir also 80 000 Menschen in eine neue Tätigkeit begleiten. Und dies in einer aktuell boomenden Branche, die mit den Verbrennungsmotoren von heute unter Volllast fährt. Wenn wir das auf den einzelnen Betrieb herunterbrechen, stehen wir vor vielen Fragen, auf die wir heute personalpolitisch noch keine Antworten haben. Wir werden auch keine finden, wenn Betriebsräte sie nicht mit aktiver Mitbestimmung einfordern. Ohne Mitbestimmung wird das nicht gerecht zugehen!

Da sind auch die Gewerkschaften gefordert.

Die IG Metall begleitet den Veränderungsprozess auf all ihren Handlungsfeldern. Das fängt im Betrieb an, dem zentralen Ort unserer Handlungsmacht. Da muss man dem Arbeitgeber immer wieder die Fragen stellen: „Welche Perspektive siehst du für den Standort? Welche Ideen hast du, mit dem Mobilitätswandel umzugehen, und was bedeutet er für die Beschäftigung und Qualifikation im Betrieb?“ Diese Debatte müssen wir an jedem Standort, in jedem Betrieb führen. Wenn ein Arbeitgeber darauf keine Antworten hat, würde ich als Betriebsrat sehr nervös werden, denn dann ist die Beschäftigung hoch gefährdet. Einfach so weiterzumachen wie bisher, kann sich angesichts der tief greifenden Veränderungen niemand leisten.

Wie muss in den Betrieben eine aktivere Qualifikations- und Personalpolitik aussehen, die im Wandel möglichst viele Jobs sichert?

Wenn wir in die Realität der Personalpolitik in unseren Betriebe schauen, stellen wir zu oft eines fest: So was wie Personalentwicklung kennt der Arbeitgeber allenfalls aus dem Lehrbuch, aber er macht sie nicht. Meine große Befürchtung ist, dass wir personalpolitisch überhaupt nicht für diesen Strukturwandel gerüstet sind. Aber wir brauchen Personalentwicklung hin zu den neuen Tätigkeiten. Die Menschen müssen für sich Entwicklungsperspektiven sehen können.

Qualifizierung wäre also ein Feld, in dem die Betriebsräte unbedingt Druck machen müssen?

Ja, aber das ist nicht einfach. Oft erwarten Beschäftigte von Betriebsräten der IG Metall vor allem eines: „Lass mich in Ruhe weiterarbeiten, gut verdienen und nach der Transformation auf dem gleichen Platz sitzen wie heute.“ Wenn der Betriebsrat aber jetzt, wo viele Betriebe noch mit Volllast fahren, um die Ecke kommt und sagt: „Kollege, wenn du dich nicht veränderst, gibt es keine Sicherheit für deinen Job!“, dann hat er eine ganz beschissene Rolle. Es braucht viel Überzeugungskraft. Aber ohne Veränderungen und bessere Qualifizierung werden wir nicht versprechen können, dass keiner bei der Transformation unter die Räder kommt.

Welche Arbeitsmarktpolitik sollte den Transformationsprozess unterstützen?

Es kann nicht die Antwort sein, die Opfer dieses Strukturwandels nach zwölf Monaten in Hartz IV zu bringen. Wir brauchen zur Abfederung des Wandels eine Arbeitsmarktpolitik, die stark auf Qualifizierung und berufliche Neuorientierung setzt und die Menschen unterstützt. Sonst lässt sich dieser Prozess nicht sozial gestalten. Es ist eine gute Idee, die Arbeitsagentur von der Vermittlungs- zur Qualifizierungsagentur umzubauen, wie es Andrea Nahles vorgeschlagen hat. Wir müssen die Menschen dazu befähigen, dass sie auch morgen eine Beschäftigung mit einer Perspektive haben.

Ist Ihnen die Politik einer bestimmten Partei für eine Mobilitätswende besonders nah?

Wir sind als Gewerkschaften gut beraten, unsere eigenen Positionen zu definieren und einzubringen. Das hat die IG Metall letztes Jahr mit ihren zehn Punkten zum Thema Klima- und Umweltregulation getan. Dazu gehören anspruchsvolle, aber realisierbare Regulationsziele was den CO2-Ausstoß angeht. Dazu gehört aber auch mehr Verbraucherschutz durch höhere Transparenz und Ehrlichkeit bei den Verbrauchsangaben und eine Verpflichtung der Politik, den Klima- und Umweltschutz für sich als Aufgabe zu begreifen, etwa durch bessere Verkehrsleitsysteme und andere Maßnahmen.

Dann muss das E-Auto nur noch Käufer finden.

Die Elektromobilität fliegt nur, wenn sie dem Kunden schmeckt wie dem sprichwörtlichen Fisch der Wurm. Dazu braucht es in der Reichweite leistungsfähigere Batterien und unter anderem eine Infrastruktur von Schnellladestationen, die mit dem gleichen Komfort wie beim Verbrenner ermöglicht, mit dem E-Auto längere Distanzen zu bewältigen. Aber darauf sind unsere Energieverteilnetze in keiner Weise vorbereitet, und es gibt keinerlei Planungen für den notwendigen Ausbau. Da müssten Milliardeninvestitionen getätigt werden. Obendrein ist im heutigen Strommix Elektromobilität nicht sonderlich umweltfreundlich. Die Energie dafür speist man aus Kraftwerken, die entweder auf Kohle- oder auf Erdölbasis arbeiten und deutlich mehr CO2 emittieren, als Elektromobile nach längerer Laufzeit wieder einsparen. Zumal die Batteriezellenfertigung etwas hoch Energieintensives ist.

Was erwarten Sie von der neuen Bundesregierung, damit Energiewende und Mobilitätswende endlich besser aufeinander abgestimmt werden?

Da ist meine Erwartungshaltung nur bedingt groß. Der Spannungsbogen denkbarer Koalitionskonstruktionen liegt zwischen den Grünen, die den Klima- und Umweltschutz hochheben und die Mobilitäts- wie Energiewende in einem ökologischen Sinne treiben. Für den Rest einer möglichen Jamaika-Koalition spielt der Erhalt der Investitions- und Innovationsfähigkeit der deutschen Wirtschaft eine zentralere Rolle. Ich möchte nicht ausschließen, dass dieser Spannungsbogen zu produktiven Ergebnissen führen kann. Aber ich halte persönlich einen faulen Kompromiss für wahrscheinlicher als die große Lösung.

ZUR PERSON

Seit zwei Jahren ist Jörg Hofmann Erster Vorsitzender der größten Einzelgewerkschaft der Welt. Der 62-jährige Diplom-Ökonom stammt aus dem Württembergischen, ist verheiratet und hat eine Tochter. Seit den 80er Jahren arbeitet Hofmann in verschiedenen Funktionen bei der IG Metall und hat als Bezirksleiter der IG Metall Baden-Württemberg bahnbrechende Tarifvereinbarungen wie das Pforzheimer Abkommen 2004, das zur Beschäftigungssicherung befristete Abweichungen vom Tarifvertrag ermöglichte, oder über Leiharbeit im Jahr 2012 verhandelt. Hofmann ist Aufsichtsrat der Robert Bosch GmbH und der Volkswagen AG und Präsident der IndustriAll Global Union. Der Sozialdemokrat bringt als Co-Vorsitzender der Plattform Arbeiten 4.0 des Bundesarbeitsministeriums und Mitglied im Leitungsgremium der Plattform Industrie 4.0 des Bundeswirtschaftsministeriums Themen rund um die Digitalisierung voran.

Aufmacherfoto: Frank Rumpenhorst

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