Quelle: HBS
Magazin MitbestimmungVon JOACHIM F. TORNAU: Wie junge Mitbestimmungsakteure die Digitalisierung sehen
Stiftung Kreativ und ohne Scheuklappen: Beim dritten „Zukunftsdialog Mitbestimmung 2035“ entwickelten junge Arbeitnehmervertreter und Gewerkschafter Ideen für eine menschengerechte Arbeitswelt der Zukunft.
Von JOACHIM F. TORNAU
Joshua Dirks ist das, was man einen Digital Native nennt. Aufgewachsen im Zeitalter von Internet und Smartphone, ist die Digitalisierung im Privaten für ihn seit jeher eine Selbstverständlichkeit. Doch auf die Digitalisierung in der Arbeitswelt schaut er trotzdem mit wachem und kritischem Blick.
Wenn durch die Digitalisierung alles komplexer wird, fragt sich der 26-Jährige, was passiert dann mit den Menschen, die bloß einfache Tätigkeiten ausüben können? „Ich habe die Sorge, dass in den Unternehmen nur noch olympiareife Mannschaften aufgestellt werden und die anderen auf der Strecke bleiben.“
Dirks, gelernter Verfahrensmechaniker Eisen- und Stahlmetallurgie, ist Betriebsratsmitglied beim Stahlunternehmen Dillinger Hütte. Zusammen mit rund 35 weiteren jungen Mitbestimmungsakteuren diskutierte er beim dritten „Zukunftsdialog Mitbestimmung 2035“, den die Hans-Böckler-Stiftung vom 26. bis 28. September gemeinsam mit der Arbeitskammer des Saarlands veranstaltete, über eine der drängendsten Herausforderungen nicht nur für Gewerkschaften und Betriebsräte: wie die Digitalisierung der Arbeitswelt menschengerecht gestaltet werden kann.
Ausgangspunkt waren vier Zukunftsszenarien, die das Institut für Mitbestimmung und Unternehmensführung (I.M.U.) der Hans-Böckler-Stiftung und das Berliner Institut für prospektive Analysen (IPA) erstellt hatten. So könnte die Digitalisierung erstens zu zunehmendem Leistungsdruck, zu einer Polarisierung der Beschäftigungsverhältnisse und einem Wettbewerb von Mensch und Maschine führen.
Sie könnte aber, zweitens, im Zusammenspiel mit staatlichen Standards auch für mehr persönliche Entfaltung und für mehr individuelle Gestaltungsspielräume bei der Arbeit sorgen. Sie könnte, drittens, mitbestimmt ausgehandelt werden, so dass Effizienzsteigerungen und gute Arbeit Hand in Hand gehen. Oder sie könnte, viertens, den drastischen Verlust von Arbeitsplätzen und eine Zunahme prekärer und inhumaner Beschäftigung bedeuten.
Bei der wohlfeilen Haltung, dass sich die pessimistischen Szenarien nicht durchsetzen dürfen, blieben die Teilnehmer des Zukunftsdialogs nicht stehen. Die zum Teil sehr konkreten Handlungsideen, die sie in vier Arbeitsgruppen entwickelten, zeigten, wie kreativ und scheuklappenfrei junge Betriebsräte, Jugend- und Auszubildendenvertreter und Gewerkschafter mit dem Mega-Thema Digitalisierung umgehen.
Um Internet-Clickworker und andere Solo-Selbstständige unter das Dach der Mitbestimmung zu holen, brauche es nicht nur neue Definitionen von Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Betrieb, befanden sie. Betriebsräte sollten vielmehr auch selbst digitaler arbeiten können: Wenn Betriebratswahlen und Betriebsratssitzungen künftig auch digital abgehalten werden dürften, würde das helfen, Menschen in neuen Beschäftigungsformen zu erreichen.
Die jungen Mitbestimmungsakteure plädierten dafür, sowohl digitale Bildung als auch Mitbestimmung auf die schulischen Lehrpläne zu setzen. Sie warben für die Besteuerung von künstlicher Intelligenz und einen branchenübergreifenden Digitalisierungsfonds, über den Unternehmen einen Teil ihrer Produktivitätsgewinne an die Allgemeinheit abführen, etwa um Qualifizierungen zu finanzieren. Und sie forderten Maßnahmen für mehr Verantwortung beim technischen Fortschritt. Eine Art TÜV zum Beispiel, der die Sozialverträglichkeit von Algorithmen prüft. Oder einen gesamtgesellschaftlich besetzten Ethikrat, der eingreift, wenn die Entscheidungskompetenz von Maschinen zu weit geht.
„Technik ist so lebensdeterminierend geworden, dass das notwendig wird“, erklärte Felix Veerkamp, 27 Jahre alt, Studienstipendiat der Hans-Böckler-Stiftung und Betreuer mehrerer Betriebsrätenetzwerke. „Wir müssen einen Zustand schaffen, dass die Technikentwicklung nicht schneller ist als die Möglichkeit, Fragen zu stellen.“
Noch einen Schritt weiter ging die Arbeitsgruppe, deren Ideen Sebastian Burdack präsentierte. „Wie wäre es denn“, fragte der 26-Jährige, der bei Evonik eine Ausbildung zum Chemielaboranten durchlaufen hat und sich im Betriebsrat engagierte, ehe er kürzlich auf eine Qualifizierungsstelle in der Hans-Böckler-Stiftung wechselte, „wenn wir statt einem Heimatministerium ein Gemeinwohlministerium hätten?“
Eine Institution also, die die Gemeinwohlbilanz der Unternehmen überprüfen – und bei negativem Ergebnis steuerliche Sanktionen verhängen könnte. „Wir sind ein Sozialstaat und haben eine soziale Marktwirtschaft, da ist das eine logische Ableitung“, findet Burdack.
In einer abschließenden Diskussionsrunde mit prominenten Gästen stellten die Teilnehmer des Zukunftsdialogs ihre Überlegungen, Sorgen und Vorschläge zur Debatte. Robotersteuer? „Ich glaube, dass wir uns dieser Frage durchaus nähern sollten“, sagte die saarländische Wirtschafts- und Arbeitsministerin Anke Rehlinger (SPD). Digitale Bildung schon in der Grundschule?
Unbedingt, befand Eugen Roth, stellvertretender Vorsitzender des DGB Rheinland-Pfalz/Saarland und Abgeordneter der SPD im saarländischen Landtag. Wird sich das Verhältnis von Mensch und Maschine umkehren? Nein, prognostizierte Rainer Müller, wissenschaftlicher Geschäftsführer des Zentrums für Mechatronik und Automatisierungstechnik (ZeMA) in Saarbrücken. „Auch zukünftig führt der Mensch den Prozess, nicht die Maschine.“ Zwar würden sich durch die Digitalisierung Berufe verändern, aber nicht massenhaft Jobs wegfallen. „Das sind Schauermärchen, finde ich.“
Und Heino Klingen, Hauptgeschäftsführer der IHK im Saarland, lag nicht völlig falsch, als er am Ende schlussfolgerte: „Ich habe den Eindruck, dass Sie die Digitalisierung zu einem trojanischen Pferd für mehr Mitbestimmungsgesetze machen wollen.“ Nur dass die Beteiligten niemandem etwas heimlich unterjubeln wollen, sondern in aller Offenheit deutlich machten, wovon sie überzeugt sind: Um die Digitalisierung zu gestalten, braucht es nicht weniger, sondern mehr Mitbestimmung.
Aufmacherfoto: Iris Maria Maurer
WEITERE INFORMATIONEN
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