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Magazin Mitbestimmung

: Weltkonzerne im Clinch mit der Mitbestimmung

Ausgabe 03/2012

BETRIEBSRATSARBEIT Ausländische Investoren und Konzernzentralen müssen oft erst einmal lernen, wie in Deutschland Mitbestimmung funktioniert: Diese Lernprozesse sind oft konfliktreich, manchmal muss das Arbeitsgericht dabei mithelfen. Von Mario Müller und Karin Flothmann

Von Mario Müller, Frankfurt/Main, und Karin Flothmann, Berlin

Klaus Faulenbach und Sigurd Hauptig treffen sich gelegentlich bei Sitzungen des Ortsvorstands der IG Metall Wuppertal. Beide sind Betriebsratsvorsitzende in einer Tochtergesellschaft eines US-Konzerns, der den Betriff „Johnson“ im Firmennamen führt. Doch wenn es um ihre jeweiligen Arbeitsbedingungen geht, könnten die Unterschiede kaum größer sein. Probleme in Sachen Mitbestimmung? „Kennen wir nicht“, sagt Faulenbach von seinem „Vorzeige-Betrieb“, dem US-Multi Johnson & Johnson. „Alle Gesetze und Regelwerke werden selbstverständlich eingehalten.“ Die Zusammenarbeit zwischen Betriebsrat und Geschäftsleitung werde „sehr gepflegt“, am Standort hersche eine „gute Kultur“. Die Tochter des 60-Milliarden-Umsatz-Konzerns steht gut da. Das Wuppertaler Johnson-&-Johnson-Werk mit seinen rund 400 Beschäftigten stellt Hygieneartikel her. „Wir sind Gewinner der Globalisierung“, sagt Faulenbach. Die Beschäftigten verdienten „sehr gutes Geld“ über Textil-Tarif. Hinzu kämen prima soziale Leistungen, „Leiharbeit ist die absolute Ausnahme“.

Von solchen Verhältnissen kann Sigurd Hauptig nur träumen. „Wenn du mal einen richtigen Ami kennenlernen willst, komm zu uns“, neckt er seinen BR-Kollegen Faulbach. Gemeint ist der US-Mischkonzern Johnson Controls. Der Automobilzuliefer-Betrieb in Wuppertal mit zuletzt 410 Beschäftigten gehört zur Sparte Interiors. Der Standort ist von einer Spar- und Restrukturierungswelle und der Produktionsverlagerung nach Tschechien bedroht, berichtet Hauptig. Man wolle nur noch in Osteuropa produzieren. In Wuppertal wurden bereits Arbeitsplätze abgebaut und der Belegschaft finanzielle Einbußen zugemutet. Im Bochumer Werk von Johnson Controls herrscht ebenfalls dicke Luft, weil dort in großem Umfang mit Leiharbeitskräften und Werkverträgen gearbeitet wird, sagt Betriebsratsvize Ralf Thieleke. Die Produktionsstätten müssten sich einem ständigen konzerninternen Vergleich stellen, die Kostenschraube werde immer mehr angezogen. Wer den strikten Vorgaben aus den USA widerspreche, riskiere „Riesenprobleme“.

Erstaunlich, aber wahr: Nicht überall im US-Konzern Johnson Controls hängt der Haussegen schief. Die Sparte Autobatterien, ehedem Varta, erfreut sich offenbar besonderer Wertschätzung der Konzernspitze und soll in Hannover und Zwickau stark ausgebaut werden. Die Meinung der Belegschaftsvertreter sei gefragt, man gehe „offen und ehrlich miteinander“ um, beschreibt Betriebsratsvorsitzender Andreas Scherer das Verhältnis zur Geschäftsleitung.

WENIG KENNTNISSE_ „US-Manager sehen die Vorteile der deutschen Mitbestimmung nicht“, meint dagegen Klaus Rupp, Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats von Harman Becker, einem Automobilzulieferer mit Sitz in Karlsbad und zuletzt noch rund 3000 Beschäftigten in Deutschland. 2008 habe die Konzernspitze ein striktes Sparprogramm verordnet, das mit großer Härte durchgesetzt werde und hierzulande bereits 500 Arbeitsplätze kostete. „Da können wir demonstrieren, bis wir schwarz werden“, sagt Rupp, der von „großen Spannungen“ zwischen Betriebsrat und dem US-Management berichtet. Dort lege man „wenig Verständnis für und wenig Kenntnis über das Betriebsverfassungsgesetz, Tarifverträge oder Kündigungsschutz“ an den Tag. So sieht es auch Jochen Homburg. Die meisten US-Konzerne seien gegen Mitbestimmung eingestellt, meint der Jurist beim IG-Metall-Vorstand. Einige würden, um die hiesigen Vorschriften zu umgehen und eine übergreifende Betriebsratsarbeit zu behindern, das Geschäft in Deutschland in möglichst kleinen, separaten Einheiten betreiben, wie etwa Johnson Controls oder auch General Electric. Andere Unternehmen gingen rabiater vor. Bei Federal Express etwa laute die Devise der Personalabteilung: „Wir unterschreiben nichts, es sei denn, ein deutsches Gericht zwingt uns dazu.“

Und wie halten es die Franzosen? Die treten, folgt man Homburg, auch nicht anders auf: „Man versucht, was geht. Im Ausland lebt es sich eben ungenierter.“ Das ist auch bei der deutschen Tochter des französischen Kraftwerksbauers Alstom zu spüren. Die Entscheidungen fallen zentral in Paris und werden gegen den Widerstand der Belegschaften und deren Interessenvertretungen durchzusetzen versucht, sagt Kai Müller, Vize-Vorsitzender des hiesigen Konzernbetriebsrats. Aus seiner Sicht sind „die Grundsätze der deutschen Mitbestimmung in der Konzernzentrale nicht durchgängig bekannt“. Es sei „oft notwendig“, auf die entsprechenden deutschen Rechte hinzuweisen. Im vergangenen Jahr hätte es in der Transportsparte auch „gezielte Angriffe auf tarifliche Regelungen“ in Sachen Arbeitszeit und Entlohnung gegeben.

Demgegenüber geht es beim Aluminium-Multi Norsk Hydro „sehr konsensorientiert“ zu, sagt Peter Camin, Vorsitzender des Konzernbetriebsrats der deutschen Tochter mit ihren rund 6000 Beschäftigten. Die Norweger seien von Haus aus bestrebt, die Arbeitnehmervertreter einzubeziehen. Viele Aufgaben würden an Arbeitsgruppen delegiert. „Da kann man viel bewegen“, meint Camin. Bei wichtigen Entscheidungen werde er direkt vom obersten Boss in Oslo informiert. Die im Vergleich zu anderen Unternehmen höheren Standards bei Norsk Hydro führt Camin unter anderem darauf zurück, dass der Konzern „reich“ ist und zu 40 Prozent dem norwegischen Staat gehört, der ein schlechtes Image zu vermeiden suche.

Um einen Staatskonzern handelt es sich zwar auch bei Vattenfall. Der schwedische Energieriese sei „extrem zentralistisch organisiert“, berichtet Rainer Kruppa, KRB-Vorsitzender und Aufsichtsratsmitglied von Vattenfall Europe. Die deutsche Mitbestimmung werde geduldet, stoße aber an Grenzen, weil die hiesigen Interessenvertretungen nicht ausreichend gehört und beteiligt werden, wenn Veränderungen wie Abbau von Arbeitsplätzen und Sparmaßnahmen anstehen, bemängelt Kruppa.

NGG GEGEN CODE OF CONDUCT_ Von wenig Sensibilität in Sachen Datenschutz berichten Betriebsräte im Bereich der NGG. So gingen, sagt Johan Botella, GBR-Vorsitzender der Coca Cola Erfrischungsgetränke AG (CCE), die Daten aller Mitarbeiter „ungefiltert über einen Server einfach nach Atlanta“, was der Konzern zunächst bagatellisierte. Thomas Eiling, Sprecher der europäischen Interessenvertretung bei Iglo, hat ähnliche Erfahrungen mit der Investmentgesellschaft Permira, die 2006 die Tiefkühlfirma von Unilever aufkaufte und zur Birds Eye Iglo Group verschmolz. Da Datenschutz in Großbritannien einen wesentlich geringeren Stellenwert hat, kommt es immer wieder zu Problemen. „Sie werden zur gläsernen Fabrik“, meint Eiling. „Wir mussten da so einiges anstoßen.“

Dem kann Susanne Ferschl, GBR-Vorsitzende von Nestlé, tätig am Standort Biessenhofen im Allgäu, nur beipflichten. „Bei uns wurde der Code of Conduct zum Problem“, sagt sie. Dabei sollten alle Mitarbeiter des Schweizer Konzerns ihre Ehrenämter offenlegen, „was uns maßlos geärgert hat“, erzählt Ferschl. „Stellen Sie sich vor, jemand ist ehrenamtlich für Greenpeace oder die NGG tätig. Das könnte Folgen für den Kollegen haben.“ Nachdem der GBR dagegen eine einstweilige Verfügung am Arbeitsgericht in Frankfurt angestrengt hatte, einigten sich die Parteien darauf, dass keine Datenerhebungen zu Ehrenämtern erfolgt. In der Einleitung zum Nestlé-Verhaltenskodex hieß es außerdem: „Die Unternehmensinteressen gehen vor persönlichen oder anderen Interessen.“ Dieser Passus wurde im gerichtlichen Einigungsprozess gestrichen. Außerdem schwächte der Betriebsrat alle Formulierungen ab, die mit „disziplinarischen Konsequenzen“ drohten.

NGG-Betriebsrätin Ferschl ist überzeugt, dass Auseinandersetzungen wie die um den Verhaltenskodex sehr stark von den zuständigen Personen abhängen. Aber auch „von der Gewerkschaftskultur her gibt es große Unterschiede zwischen uns in Deutschland und Nestlé in der Schweiz.“ Vor allem die relativ weitgehenden Mitbestimmungsrechte seien den Chefs im Ausland ein Dorn im Auge. Das kann Iglo-Betriebsrat Thomas Eiling bestätigen. Er verhandelte zwei Jahre lang mit den Engländern um den Erhalt der betrieblichen Altersvorsorge bei Iglo. Denn die Investmentgesellschaft störten die Rückstellungen in den Bilanzen, die den Unternehmenswert bei einem Wiederverkauf mindern würden. Nach zwei Jahren Auseinandersetzung lenkte Permira ein und akzeptierte die betriebliche Altersversorgung, aber nur für die Mitarbeiter, die schon eine haben. Für neu eingestellte Iglo-Kollegen ist die betriebliche Altersvorsorge geschlossen, „da kommt keiner mehr rein“, erklärt Eiling.

Arbeitsrecht und deutsche Gesetzeslagen sorgen immer wieder für großes Unverständnis bei den Chefs von Birds Eye Iglo. „Erklären Sie einem Engländer mal, was Kurzarbeit ist!“, meint Eiling. Er tat es – und so konnten im Krisenbewältigungsjahr 2009 140 Mitarbeiter gehalten werden. Eiling schätzt aber auch die unternehmerischen Fähigkeiten des neuen Investors: Als sie noch zum Unilever-Konzern gehörten, gab es immer wieder Entlassungswellen. Dagegen schafften es die Engländer, Iglo in die Gewinnzone zu bugsieren.

Foto Sigurd Hauptig, Johnson Controls, von Karsten Schöne
Foto Susanne Ferschl, Nestlé, von M.I.S.-Sportpressefoto

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