Quelle: HBS
Magazin MitbestimmungPolitik: Was kommt nach der Ampel?
Was ist die Bilanz der Ampelkoalition? Welche Aufgaben kommen auf die nächste Regierung zu – und welche Regierung kommt auf uns zu? Wir haben im Podcast „Systemrelevant“ mitgehört, worüber Sebastian Dullien (IMK) und Bettina Kohlrausch (WSI) sprechen. Bearbeitet von Kay Meiners
Sebastian Dullien
Wir erleben gerade wieder einmal eine Debatte darüber, was man sich alles noch leisten kann, einen Generalangriff auf die sozialen Sicherungssysteme in Deutschland, wie wir ihn vor 20 oder 30 Jahren schon einmal hatten: Ist es vielleicht besser, wenn die Menschen, wenn sie krank werden, den ersten Tag Lohnkürzungen bekommen? Oder die erste Woche? Oder müssen wir Kürzungen beim Bürgergeld haben? Oder brauchen wir weniger Arbeitslosengeld, mehr Selbstbeteiligung im Gesundheitssystem? Wenn es um diese finanziellen Belastungen geht, auch gerade für die Menschen in der unteren Hälfte der Einkommensverteilung, dann sind das die falschen Schritte. Es ist das Problem, dass der Spitzenkandidat der CDU, Friedrich Merz, auch etwas in diese Richtung argumentiert. Wir wissen noch überhaupt nicht, wie sich die nächste Regierung positioniert.
Bettina Kohlrausch
Man sollte sich schon überlegen, welche politischen Maßnahmen dringlich sind, um gut durch die nächste Zeit zu kommen. Das eine wäre tatsächlich die Reform der Schuldenbremse, und das andere - aber auch da glaube ich, wird gar nichts passieren – ist das Demokratiestärkungsgesetz. Wenn man das jetzt aus purem Trotz nicht mehr durchkriegt, dann finde ich das wirklich verantwortungslos gegenüber dem Land.
Dullien
Es gibt einige Dinge, auf die sollten sich alle einigen können, die ein bisschen gesamtgesellschaftliche Verantwortung haben, etwa den Ausgleich der kalten Progression. Der große Elefant im Raum ist aber die Schuldenbremse. Wir haben in den letzten vier Jahren gesehen, dass die Schuldenbremse in der jetzigen Form viel zu eng gezurrt ist. Sie lässt nicht die Spielräume für die Dinge, die wir eigentlich brauchen, also mehr Investitionen in öffentliche Infrastruktur, auch mehr Verteidigungsausgaben. Und gleichzeitig könnten wir mehr Kredite aufnehmen, ohne dass es ein Problem ist. So, und jetzt ist das Problem, dass man dafür das Grundgesetz ändern müsste. Das könnten Union, SPD und Grüne zusammen machen – noch vor der Wahl. Aber die Union hat die Verteidigung der Schuldenbremse lange Zeit als Wahlkampfthema benutzt und hat sich da auch nicht sauber positioniert.
Kohlrausch
Es zeichnet sich ab, dass wir im Wahlkampf eine verschärfte Debatte über den Sozialstaat haben werden. Dieses Befeuern von Statuskämpfen ist ein Raubbau an der Demokratie. Die CDU glaubt irrtümlicherweise, dass sie davon profitieren könnte. Sie tut es nicht. Sie schadet aber der Gesellschaft und dem gesellschaftlichen Zusammenhalt, wenn sie Grenzen ziehen möchte zwischen vermeintlich Arbeitswilligen und vermeintlich Faulen. Ich will überhaupt nicht bestreiten, dass es auch im Bürgergeld Missbrauch gibt. Genauso wie sich nicht alle an Verkehrsregeln halten und schon gar nicht mal an die Steuergesetzgebung. Aber es stimmt nicht, dass die Ausgestaltung des Bürgergeldes zum Missbrauch einlädt.
Dullien
Zum Bürgergeld gibt es Verfassungsgerichtsurteile, die bestimmte Mindeststandards festlegen. Die Möglichkeiten, hier zu kürzen, sind begrenzt. Trotzdem gibt es eine Diskussion darüber, ob man im nächsten Jahr das Bürgergeld kürzen könnte, weil es durch die neue Anpassungsformel stärker erhöht worden ist als die Preise gestiegen sind. Wenn man hier nachrechnet, kommt man auf weniger als eine Milliarde. Da sieht man, von welchen Größenordnungen wir hier reden: eine Milliarde von einem Bundeshaushalt von mehreren Hundert Milliarden, und die Lücke war jetzt immer noch bei zehn Milliarden. Wir reden aber allein bei der Anpassung der Verteidigungsausgaben an das NATO-Ziel von 50 Milliarden pro Jahr. Wo man wahrscheinlich was machen könnte, wäre bei der Behandlung der geflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainer. Denen könnte man weniger Geld geben als den Inländern. Aber die Frage ist: Ist das das, was wir wollen? Und auch dann reden wir von kleinen einstelligen Milliardenbeträgen, also nicht von der Größenordnung, um die es tatsächlich geht.
Kohlrausch
Es geht gar nicht so sehr darum, ob die Größenordnungen stimmen oder nicht. Es geht offensichtlich darum, den Druck auf dem Arbeitsmarkt zu erhöhen, damit mehr Leute schnell in den Arbeitsmarkt gehen. Ich halte das für eine absolute Fehlanalyse der Ursachen von Arbeitslosigkeit oder Langzeitarbeitslosigkeit. Und ich halte das auch in Zeiten des Fachkräftemangels für die absolut falsche Herangehensweise. Wahrscheinlich kann man Leute, wenn man den Druck ins Unendliche erhöht, irgendwie noch in die allerletzten Jobs prügeln. Aber erstens, das haben wir auch schon im Nachgang der Agenda 2010 gesehen, hat man dadurch den Effekt, dass der Niedriglohnsektor gestärkt wird. Man erhöht den Druck auf den Arbeitsmarkt gerade im Niedriglohnsegment, und zwingt die Leute so in unqualifizierte Jobs. Und das brauchen wir nicht. Wir brauchen qualifizierte Jobs. Das heißt, die Leute brauchen Qualifizierung, Unterstützung, eine nachhaltige Integration.
Dullien
Was wir stattdessen sehen, ist ein sehr zynisches Spiel. Man fragt die Leute, ob sie wollen, dass ihr Geld in der Ukraine für Waffen ausgegeben wird, auch wenn dann die Rente gekürzt wird oder es keinen Zahnersatz mehr gibt. Wer sagt dann noch Ja? Das ist ja auch der Grund, warum Wladimir Putin in Russland alles Mögliche versucht, um die Bevölkerung von den Auswirkungen des Krieges abzuschotten. Praktisch alle Länder, die im Krieg sind, bemühen sich, dass es eben gerade nicht diese Wahl gibt zwischen Butter und Kanonen. Hier in Deutschland scheint man das nicht zu tun und man scheint auch offensichtlich diese Erkenntnis nicht zu haben, dass man genau auf diese Art und Weise die Unterstützung für die Ukraine in der Bevölkerung untergräbt.
Kohlrausch
Die CDU tut ja im Moment so, als wären nur diejenigen von Kürzungen betroffen, die es aus irgendwelchen Gründen auch verdient haben. Das ist natürlich totaler Unsinn, und das ist auch genau das, was ich mit Statuskämpfen gemeint habe. Diese Rechnung wird auch nicht aufgehen. Natürlich werden von Sozialstaatskürzungen am Ende sehr, sehr viele Leute betroffen sein. Aber im Wahlkampf wird das Argument heißen: Wir kürzen nur bei denen, die den Sozialstaat ausnutzen. Das ist eine Entsolidarisierungsrhetorik, die letztlich das Fundament unterhöhlt, das wir als Gesellschaft brauchen, um durch die Krisen der nächsten Jahre uu kommen. Das ist ein Konjunkturprogramm für antidemokratische, autoritäre Parteien.
Dullien
Meine Wahrnehmung ist schon, dass viele Menschen im Moment genervt sind, weil die Dinge nicht so funktionieren, wie sie es eigentlich erwarten und wie sie es auch erwarten können. Dass es Ewigkeiten dauert, bis man einen Termin kriegt, um einen Personalausweis zu bekommen, dass es keine Facharzttermine gibt, dass die Deutsche Bahn Verspätung hat, dass die Brücken einstürzen. Die Menschen haben den berechtigten Anspruch, dass der Staat funktioniert. Und das tut er im Moment nicht. Aber es wird nicht darüber geredet, wie man diesen Staat jetzt dazu bringt, dass er wieder funktioniert. Stattdessen werden dann Senkungen des Solidaritätszuschlags von der CDU und der FDP vorangebracht, und leider wird auch von SPD und Grünen nicht wirklich klar gemacht, wie so ein lebenswertes Deutschland in zehn Jahren aussehen könnte und wie man da hinkommt.
Kohlrausch
Wenn ich die SPD wäre, dann würde ich jetzt versuchen, einen Verteilungswahlkampf zu führen. Es wäre wichtig, einen inklusiven Solidaritätsbegriff nach vorne zu stellen, der die beschriebene Ausgrenzungslogik nicht bedient. Mit einer solchen Ausgrenzungslogik können progressive Parteien nur verlieren, weil sie der Idee von Sozialstaatlichkeit im Kern widerspricht. Dafür bleibt jetzt extrem wenig Zeit. Am Ende des Tages sind es Verteilungsauseinandersetzungen, die wir führen. Es ist klug, diese Auseinandersetzungen klar zu benennen und nicht vermeintliche andere Konfliktlinien aufzumachen, wie zum Beispiel die der Migration. Es ist für mich keine Verteilungsdebatte, darüber zu reden, wer angeblich den Sozialstaat missbraucht. Eine wirkliche Verteilungsdebatte bedeutet, darüber zu diskutieren, wie die ungleiche Verteilung von Einkommen und vor allem Vermögen reduziert werden kann und welche Teilhabemöglichkeiten Sozialstaat und soziale Infrastrukturen allen Menschen ermöglichen sollten.
Was stimmt: Es gibt beim Thema Klimaschutz tatsächlich eine Zunahme von Leuten, die sich explizit dagegen aussprechen, etwas gegen den Klimawandel zu tun, und zugleich eine Zunahme bei den Menschen, die sich deshalb sorgen. Aber gerade wenn man eine Polarisierung der Gesellschaft auch in materieller Hinsicht feststellt, dann stellt sich ja die Frage: An welchen Punkten kann man dem was entgegensetzen? Wo kann man Menschen noch zusammenführen? Dazu gehören ein funktionierender Sozialstaat und eine funktionierende Daseinsvorsorge. Bildung, Pflege, Gesundheit - das sind für mich gesellschaftliche Bereiche, die ausgleichend wirken, wo Menschen einfach zusammenkommen. Das müsste man eher ausbauen, anstatt es zusammenzukürzen.
DIE EXPERTIN UND DER EXPERTE
Sebastian Dullien ist Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), Bettina Kohlrausch leitet als Wissenschaftliche Direktorin das Wirtschaft- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der Hans- Böckler-Stiftung.
Der Podcast
Mehr hören? Im Podcast „Systemrelevant“ der Hans-Böckler-Stiftung. Dieser Beitrag ist eine gekürzte Version der Folge 217 vom 14. November 2024.