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Von der Tischdecke zum Hightech Magazin Mitbestimmung

Industrie: Von der Tischdecke zum Hightech

Ausgabe 05/2022

In Plauen ist der Sprung von Traditionsware zu innovativen Stickerei-Produkten geglückt. Ein Projekt untersucht, wie das gelang. Von Ulrich Hilpert, Francesco D. Sandulli und Torsten Schunder

Bei Plauener Spitze denken die meisten Menschen wahrscheinlich an Omas Tischdecke, die sie nur zu festlichen Anlässen aus dem Schrank holte – ein Relikt aus einer anderen Zeit, das manchem heute veraltet erscheint. Aber nicht nur das bereitete den Herstellern im Vogtland wirtschaftliche Probleme: Die internationale Konkurrenz setzte die Traditionsunternehmen mit geringeren Lohnkosten unter Druck. Wenn Produkte aus der Mode kommen, technisch veralten oder nicht mehr wettbewerbsfähig sind, müssen die Hersteller sich anpassen. Wenn das nicht gelingt, droht den Beschäftigten der Verlust ihres Arbeitsplatzes.

Im Vogtland sind die Stickereien einen anderen Weg gegangen. Denn was für das Produkt gilt, muss auf die Kompetenzen der Beschäftigten noch lange nicht zutreffen. Sie spezialisierten sich nicht nur auf hochwertige Stickereien, sie fanden auch neue Anwendungen für ihre Technik im Hochtechnologiebereich. Denn Sticken ist sehr flexibel. Diese Technik kann Kurven, Zickzack und vieles mehr auf verschiedene Materialien bringen. Feinste Drähte lassen sich so in Stoffe, aber auch auf Beton oder Stahl sticken. Diese Eigenschaft nutzen inzwischen viele Bereiche. So messen beispielsweise aufgestickte Sensoren auf den Rotorblättern von Windrädern die Dehnung des Materials und warnen bei Schäden. Stickerei wird auch bei Heiz- und Lichtelementen, in der Medizin, auf Erosionsschutzmatten und Rohr­linern für die Sanierung von Druck- und Abwasserleitungen eingesetzt. Die Kompetenz der Beschäftigten in den Stickereien ermöglichte zum Teil erst diese Neuentwicklungen.

Allerdings verfügten die Betriebe im Vogtland nicht selbst über alle notwendigen Kompetenzen, um sich diese neuen Märkte zu erschließen. Dafür brauchten sie unter anderem das Wissen von Forschungseinrichtungen. Wichtig ist ebenso die Zusammenarbeit mit dem Maschinenbau, der Stickereimaschinen herstellt und sie nun für die neuen Materialien modernisiert. Fehlen Partner in der Region für diese Innovationen, werden sie von außerhalb ergänzt.

Im Falle der Plauener Spitze haben sich Verantwortliche aus den Unternehmen und der Region unter der Bezeichnung HighSTICK zusam­mengefunden, um neue Wege zu gehen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützte sie im Rahmen des Programms „Wachstumskerne“ mit drei Millionen Euro. So wurde die Kernkompetenz in der Region gehalten, und gleichzeitig entstanden 60 neue Arbeitsplätze. Mit der Kompetenz zum Sticken verfügt die Region über ein Alleinstellungsmerkmal, das ihr eine Chance auf eine nachhaltige Entwicklung eröffnet. Sie schreitet weiter voran, stößt Veränderungen und Neuentwicklungen an und hat somit Arbeitsplätze für qualifizierte Beschäftigte in der Region erhalten und geschaffen.

Letztlich war die traditionelle Kompetenz die wesentliche Grundlage für diese Entwicklungen. Allerdings brauchte es weitere Kompetenzen, um die krisenhafte Situation in eine innovative Situation umzuwandeln.

Dieses Beispiel zeigt, dass traditionelle Kompetenz eine wertvolle Grundlage für die Entwicklung einer Region und für zukunftsweisende Arbeitsplätze bietet. Die Menschen in der Produktion und in den Entwicklungsabteilungen kennen ihre Bereiche und können hier wichtige Anstöße geben. Betriebsräte können Unternehmen und regionalpolitische Akteure zusammenbringen. Innovationen sind vielseitig, es gilt, ihre Diversität für die Arbeitnehmer und ihre Betriebe in den Regionen zu nutzen.

Forschungsprojekt

Die Stadt Plauen wurde in einem Projekt, das die Hans-Böckler-Stiftung fördert, näher untersucht. Darin vergleichen die Forscher wirtschaftliche Entwicklungen und Umstrukturierungen in Deutschland und Spanien. Ziel ist es, Chancen einer nachhaltigen Entwicklung und Modernisierung zu identifizieren.

Ulrich Hilpert/Francesco D. Sandulli/Torsten Schunder: Bedingungen nachhaltiger Industriepolitik. Ein spanisch-deutscher Vergleich zu Chancen struktureller Transformation und Innovation.

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