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Betriebsräte Jens Herrmann-Kambach und Beate Heinze am Bahnsteig in Leipzig Magazin Mitbestimmung

Betriebsräte-Preis: Vierfach hält besser

Ausgabe 06/2024

Mit gleich vier Konzernbetriebsvereinbarungen steigt der KBR der Leipziger Verkehrsbetriebe ins Rennen um den diesjährigen Betriebsrätepreis ein. Von Jeannette Goddar

Wer die Zeit nach dem Mauerfall in Ostdeutschland erlebt hat, kann sich die Goldgräberstimmung lebhaft vorstellen, die durch die Erzählung der Leipziger Betriebsräte Jens Herrmann-Kambach und Beate Heinze schimmert. Von Grünau bis Taucha zockelten in den 1990ern noch die 30 Jahre alten Tatra-Trams aus der Tschechoslowakei durch die Stadt. Doch der damalige Arbeitsdirektor der Leipziger Verkehrsbetriebe, kurz LVB, schaute längst woanders hin: „Bis Melbourne wollte er expandieren!“, erzählt Jens Herrmann-Kambach, „und bis nach Alexandria!!“ ergänzt Beate Heinze. 

Beide fuhren einst selbst Tram. Heute ist Herrmann-Kambach Vorsitzender des Konzernbetriebsrats (KBR), Heinze seine Stellvertreterin. Was die großspurigen Pläne der Nachwendezeit für die Beschäftigten bedeuteten, fanden beide indes schon damals wenig amüsant. „Zuhause wurde gespart, bis es quietschte“, konstatiert Herrmann-Kambach. Elf Tochtergesellschaften gründete die LVB-Leitung zwischen 1994 und 2004, um überall außerhalb der Zentrale die Standards zu senken. Jedes Verkehrsmittel bekam seine eigene Gesellschaft; und innerhalb der Firmen drückten sich Beschäftigte die Schlüssel für eine Tram in die Hand, die je nach Betriebs- und Firmenzugehörigkeit 38 oder 40 Stunden arbeiteten, zu Weihnachten Präsente bekamen, ihr Trinkwasser selbst bezahlen mussten oder nicht. 

Als Herrmann-Kambach 2017 in den KBR gewählt wurde, waren ihm die ungleichen Bedingungen ein Dorn im Auge. Zusätzlich kam es bald zu einer denkwürdigen Szene: Ein junger Kollege – und, Zufall oder nicht, Sohn einer Betriebsrätin – wechselte in eine Führungsposition von einer Tochtergesellschaft in eine andere. Prompt wurde dem neuen Beschäftigten dort in der Probezeit gekündigt. „Ich dachte: ‚Das kann doch nicht wahr sein‘“, erinnert sich Herrmann-Kambach, „das hat mich wirklich belastet.“ Der 12-köpfige Konzernbetriebsrat wurde aktiv: Seit 2018 gilt die Konzernbetriebsvereinbarung „Führen auf Probe“. Laut ihr dürfen sich Wechsler unter dem Dach der LVB zwei Jahre in einer Führungsposition austesten, ohne dass der alte Job verloren geht. Erstaunlich zügig war man sich mit der Leitung einig, erzählt Herrmann-Kambach, „die Regelung leuchtete allen ein. Und teuer war sie auch nicht.“

Ein großer Unterschied

Die KBV „Führen auf Probe“ setzte einen Prozess in Gang. Bis heute folgten drei weitere Vereinbarungen. Mit allen vieren ist der Konzernbetriebsrat für den Betriebsrätepreis 2024 nominiert, der beim Deutschen Betriebsrätetag im November in Bonn verliehen wird; das Motto: „Betriebsübergreifende Arbeitsplatzsicherheit bei (freiwilligen) Veränderungen für die Beschäftigten des LVB-Konzerns.“

Die zweite KBV regelt eine Frage, die auf der Hand lag: Sollte, was für Führungskräfte gilt, nicht für alle gelten? „Denken Sie an Menschen, die wegen Rücken- oder Augenproblemen kein Fahrzeug mehr lenken, in der Verwaltung aber gut arbeiten können“, erklärt Beate Heinze. Auch all diese Beschäftigten mussten sich neu bewerben und, wurden sie eingestellt, eine Probezeit durchlaufen. Bis 2019 trat die KBV „Abordnung“ in Kraft trat. Seither kann sich jeder Beschäftigte bis zu einem Jahr auf einer anderen Stelle in der LVB-Gruppe beweisen. Die alte Stelle bleibt für die Zeit erhalten. Soll die neue Tätigkeit von Dauer sein, wird spätestens nach zwölf Monaten ein Wechsel der Stelle geprüft.

Die Abordnungsvereinbarung regelt auch, dass Aus- und Weiterbildung über die Unternehmensgrenzen hinweg möglich wird – in Zeiten von Digitalisierung und technologischem Wandel unerlässlich. „Auch bei uns werden an der einen Stelle mehr und an der anderen weniger Beschäftigte benötigt. Eine Belegschaft mit fast 3000 Arbeitsplätzen bietet hier viele Optionen – doch dafür müssen Menschen qualifiziert werden“, sagt Beate Heinze. Ein weiterer Schritt in dieselbe Richtung wurde mit der dritten KBV namens „Stellenbesetzung“ gemacht. Sie hält unter anderem fest: Wer sich erfolgreich qualifiziert hat, kann auf eine neue Stelle wechseln, ohne dass diese ausgeschrieben wird. Auch hier gilt das Rückkehrrecht.

All das stellt sich immer mehr nicht nur als gut für die Beschäftigten heraus – sondern auch für einen zukunftsfähigen Betrieb. „Die überfällige Verkehrswende, das 49-Euro-Ticket, steigende Energiepreise: All das zu stemmen stellt die LVB vor die größte Aufgabe seit Jahrzehnten“, konzidiert Jens Herrmann-Kambach, der außerhalb seiner Betriebsratstätigkeit lange auch im Leipziger Stadtrat für einen guten öffentlichen Personennahverkehr kämpfte. „Ich möchte einen Staat, der Daseinsvorsorge ernst nimmt“, erklärt er dazu, „dazu gehört der ÖPNV ebenso wie Strom und Wasser.“ 

Die LVB reagierte mit einem „Produktivitätsprogramm“ auf die steigenden Kosten; ein Begriff, bei dem Betriebsräten die Ohren schrillen. „Kosteneffektiver“ wollte man werden, und etwa bei jeder freiwerdenden Stelle überprüfen, ob diese wieder besetzt werden muss, und ob innerhalb der LVB-Gruppe umbesetzt werden kann. Schon die ersten drei Konzernbetriebsvereinbarungen waren hier hilfreich. Doch der Konzernbetriebsrat wollte zusätzlich die Beschäftigten schützen und erreichte 2023 eine weitere Vereinbarung. Diese schließt betriebsbedingte Kündigungen aus und hält den Schutz vor Überlastung der Beschäftigten fest.

Und: Sie stärkt die Betriebsräte in der LVB-Gruppe. Immer bei Bedarf, mindestens aber einmal im Jahr, wird das Produktivitätsprogramm bei einer Betriebsrätevollkonferenz debattiert. „Seither haben nicht nur alle den gleichen Wissensstand“, erklärt Beate Heinze, „die Geschäftsführung sitzt dort nicht zwei oder drei, sondern fast 50 Leuten gegenüber. Das ist ein großer Unterschied.“ 
 

Mehr zum Betriebsräte-Preis 2024:

Der Deutsche Betriebsräte-Preis wird im Rahmen des Deutschen Betriebsrätetags am 7. November in Bonn verliehen. Aus 60 Bewerbungen wurden zwölf Projekte nominiert, darunter der Konzernbetriebsrat (KBR) der Leipziger Verkehrsbetriebe. 

Mehr über die nominierten Betriebsräte auf der Seite des I.M.U. zum Betriebsräte-Preis 2024

Das Institut für Mitbestimmung und Unternehmensführung der Hans-Böckler-Stiftung bietet ein Archiv mit zahlreichen Betriebsvereinbarungen.

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