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Magazin Mitbestimmung

: Viel Job, wenig Geld

Ausgabe 12/2010

GASTGEWERBE Auf der Insel Usedom werden auch nach dem Mai 2011 nur wenige ausländische Arbeitskräfte Stellen suchen - die Tourismusbranche dort zahlt zu schlecht. Von Jost Maurin

JOST MAURIN ist Journalist in Berlin./Foto: imagebroker

Eine imaginierte Linie mitten über einen weißen Sandstrand: Das ist die Grenze zwischen Deutschland und Polen auf der Ostsee-Insel Usedom. Die Stacheldrahtzäune zwischen beiden Staaten wurden schon vor drei Jahren abmontiert. Aber wenn polnische Arbeitnehmer in Deutschland arbeiten wollen, benötigen sie bis heute eine Arbeitserlaubnis, die die Behörden nur unter bestimmten Bedingungen und befristet erteilen. Doch ab dem 1. Mai 2011 dürfen sie ohne Einschränkung in Deutschland arbeiten.

Trotzdem rechnet auf Usedom kaum jemand damit, dass viele Polen diese Möglichkeit nutzen werden. Dabei sind es vom Zentrum des östlichsten Badeorts auf deutscher Seite, Ahlbeck, nur knapp sechs Kilometer ins Herz von Swinoujscie (Swinemünde), der einzigen Stadt im polnischen Inselteil. Dort leben etwa 40 000 Menschen - rund 10 000 mehr als diesseits der Grenze. Doch auch für die Polen ist die Tourismusbranche, der größte Arbeitgeber auf der deutschen Seite Usedoms, nicht attraktiv. "Wir werden nach 2011 so gut wie keine polnischen Arbeitskräfte haben", sagt Gunther Kenk, Geschäftsführer der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern, zu dem auch der deutsche Teil Usedoms gehört. Für ihn hat das vor allem einen Grund: die niedrigen Löhne.

Tatsächlich zählen Hotels und Gaststätten in Mecklenburg-Vorpommern zu den Sektoren mit den niedrigsten Bruttogehältern in dem Bundesland. So erhielten vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer in der Gastronomie 2009 dem Statistischen Amt in Schwerin zufolge im Schnitt einen Stundenlohn von 8,56 Euro - inklusive Sonderzahlungen wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Das sind rund 40 Prozent weniger als im produzierenden Gewerbe und im Dienstleistungsbereich insgesamt. Nur Wachdienste zahlten noch schlechter. Auch im bundesweiten Vergleich stehen die Tourismusbetriebe in Mecklenburg-Vorpommern schlecht dar. In Bayern zum Beispiel verdient ein Vollzeit-Mitarbeiter laut dem dortigen Landesamt für Statistik durchschnittlich 11,66 Euro pro Stunde. Das sind zirka 35 Prozent mehr als im strukturschwachen Nordosten der Republik. "Für das Geld in Mecklenburg-Vorpommern arbeiten Polen nicht", sagt Gewerkschafter Kenk. Vor allem, weil viele von ihnen ja auch noch zwei Unterkünfte bezahlen müssten: in ihrer polnischen Heimat und am Arbeitsort in Deutschland. "Wenn sie trotz solcher Nachteile ins Ausland gehen, dann fahren sie gleich weiter in andere Regionen, wo sie mehr bekommen", so Kenk.

JOBS MIT EINEM SCHLECHTEN RUF_ Für das Hotel- und Gaststättengewerbe kommt erschwerend hinzu, dass es unter jungen Leuten einen miserablen Ruf hat. Das belegt jedes Jahr aufs Neue der Ausbildungsreport des DGB. Für die Studie werden Tausende Auszubildende aus den größten Lehrberufen befragt. Dem aktuellen Report zufolge bemängelten Gastronomie-Auszubildende zum Beispiel den respektlosen Umgang mit ihnen und die physische Belastung. "Bereits seit Jahren belegen die gastgewerblichen Berufe die letzten Plätze bei Ausbildungsbedingungen und Ausbildungsqualität", kritisiert Michaela Rosenberger, stellvertretende NGG-Vorsitzende. Das Ergebnis: Auch auf Usedom leidet die Branche unter einem chronischen Arbeitskräftemangel, solange der Markt nicht für höhere Löhne sorgt.

Das zeigt sich regelmäßig in den Statistiken der Arbeitsagentur Stralsund, zu der auch Usedom gehört: Demnach meldete die Gastronomie von Januar bis September 2232 freie Stellen. Von den etwa 500 Ausbildungsplätzen, die Ende September zu besetzen waren, waren 80 Prozent aus der Branche. In ihrer Not hätten fünf Usedomer Hoteliers Anfang Oktober sogar auf einer Berufsmesse im nahen Szczecin (Stettin) um Auszubildende geworben, berichtet Peter Drechsler, der den Regionalverband Ostvorpommern des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga) leitet. "Nur sechs, sieben Leute haben Verträge abgeschlossen, und das waren Deutsche, die zu der Messe gefahren sind." Der Arbeitgebervertreter schätzt, dass lediglich 50 von insgesamt 16 000 Mitarbeitern in der deutschen Tourismusbranche auf Usedom Polen sind.

Die Arbeitsagentur führte im September 2009 - aktuellere Zahlen aus der diesjährigen Hochsaison gibt es noch nicht - sogar nur zehn sozialversicherungspflichtig Beschäftigte aus dem Nachbarland im Gastgewerbe. Und das, obwohl die Behörden schon jetzt Arbeitserlaubnisse für Polen erteilen, wenn die Unternehmen die Stellen mit Deutschen nicht besetzen können. Da die Arbeitnehmerfreizügigkeit an den Rahmenbedingungen nichts ändern wird, prognostiziert auch Drechsler: "Es wird ab Mai keine große Änderung geben." Den wichtigsten Grund dafür sehen die Arbeitgeber, anders als die Gewerkschaften, aber hauptsächlich in der Sprachbarriere. "Selbst Putzfrauen müssen sich ja mit den Kollegen verständigen können", sagt Drechsler. "Die Löhne sind absolut kein Faktor", erklärt der Dehoga-Funktionär. So niedrig seien sie ja auch gar nicht, wenn man die steuerfreien Trinkgelder etwa für Kellner mitrechne. Von höheren Löhnen will er nichts wissen: "Die Umsätze sind einfach nicht da. Viele Häuser haben nach der Wende Investitionen in Millionenhöhe getätigt, die müssen jetzt erst mal reinkommen." Die Auslastung der Hotels sei niedriger als im Bundesdurchschnitt. Deshalb komme auch der von den Gewerkschaften geforderte Mindestlohn von 8,50 Euro nicht infrage. "Was sollen Sie dann dem Chefkoch zahlen, der ja viel mehr als den Mindestlohn bekommen muss?", fragt Drechsler. "Dann können wir hier zumachen."

Gewerkschafter Kenk hält solche Aussagen für zu pauschal. Es gebe sehr wohl Hotels auf Usedom, für die 8,50 Euro möglich seien. "Manche Häuser zahlen ihrem Chefkoch schon jetzt weit über Tarif", sagt er. Dann könnten sie auch die niedrigeren Tarifgruppen besser entlohnen. Für die niedrige Auslastung der Beherbungsbetriebe macht Kenk die Arbeitgeber verantwortlich. "Wir haben immer noch kein gutes Marketingkonzept, um die Vor- und Nachsaison zu verlängern." Das hätten die Unternehmen versäumt, weshalb sie nun damit nicht niedrige Löhne rechtfertigen dürften. Was die hohen Investitionen angeht, argumentiert Kenk: "Man hatte 20 Jahre, um die wieder reinzuholen." Und mit Trinkgeldern kann laut NGG niemand rechnen, um sein Leben zu finanzieren, weil sie nur eine freiwillige Zuwendung sind. Auch würden manche Mitarbeiter, etwa die Tellerwäscher, in vielen Häusern gar kein Trinkgeld bekommen.

Dass die niedrigen Löhne tatsächlich der wichtigste Grund für das Desinteresse von Polen an Tourismusjobs auf Usedom sind, bestätigt Pressesprecher Christian Glaser von der Arbeitsagentur Stralsund. "Das ist immer das, was sich Arbeitnehmer zuerst anschauen", sagt er. Daneben, räumt er ein, gehe es außerdem um die Arbeitszeiten, Aufstiegsmöglichkeiten und Lebenshaltungskosten. "Auch da schneidet unsere Region nicht so gut ab." Glaser glaubt deshalb, dass es bei der Zahl polnischer Arbeitskräfte auf Usedom nur zu "Steigerungen in nicht nennenswerter Größe" kommt.

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