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Magazin Mitbestimmung

: Unter Sündern

Ausgabe 05/2009

JOURNALISMUS Der Tag des Wirtschaftsjournalismus in Köln offenbart eine verunsicherte Branche. Vorsicht ist das Gebot der Stunde.

Von KAY MEINERS, Redakteur des Magazins Mitbestimmung

"Mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa", ruft Bernd Ziesemer, der Chefredakteur des Handelsblattes ins Podium des Maternushauses. "Jawohl, auch ich habe gesündigt!" Im Tagungszentrum des Erzbistums Köln bedecken weiße Marmorplatten den Fußboden, die Tische sind mit rotem Stoff drapiert, sodass man denkt, in der Palastaula eines römischen Staathalters zu Besuch zu sein. Bewährte Worte bieten sich an, wenn in diesem Reich des Ewigen über die Zukunft des deutschen Wirtschaftsjournalismus verhandelt wird. Es ist die Zeit, da der Beinahe-Kollaps der Finanzmärkte droht und nur mit Mühe abgewendet werden kann, die Zeit, in der Krisenwogen allmählich auch in den anderen Gefilden der Wirtschaft anbranden, die man jetzt Realwirtschaft nennt.

Auch ein Vertreter der Finanzwelt ist da. Klaus-Peter Müller, der Aufsichtsratsvorsitzende der Commerzbank AG und Präsident des Bundesverbandes deutscher Banken. "Wir haben in kurzer Zeit viel Vertrauen verloren", erklärt der Top-Banker. "Es wieder aufzubauen wird länger dauern." Es sind vorsichtige, selbstkritische Töne. "Niemand", sagt er dann, "ist mit Waffengewalt gezwungen worden, Subprime-Papiere zu kaufen." Damit meint er nicht die Kunden, sondern die Banken selbst. Für die Zukunft wünscht er sich einfacher strukturierte Produkte für Privatanleger, nachhaltige Anreizsysteme für Manager, ein einheitliches europäisches Aufsichtssystem und kritischere Aufsichtsräte.

EIN DONNERWETTER_ Doch auf der Veranstaltung geht es um etwas anderes. Es geht darum, was die Journalisten aus der Krise lernen können. Ausgerichtet wird sie von der Kölner Journalistenschule, die einen guten Teil des Nachwuchses in deutschen Wirtschaftsredaktionen ausbildet. Seit 2008 ist die Hans-Böckler-Stiftung Mitglied im Trägerverein. Krise - dieses Wort allein verweist auf die begrenzte Prognosefähigkeit der Presse, der Konjunkturforscher, der Gesellschaft insgesamt. Auch die Medien spüren die Folgen. Manche Titel müssen Einbrüche von 50 Prozent im Anzeigengeschäft verkraften, die Redaktionen sind ausgedünnt. Keiner weiß, wann und ob die Anzeigenkunden überhaupt zurückkommen, während es - das war Thema im letzten Jahr - noch immer kaum gelingt, mit Online Geld zu verdienen.

Bernd Ziesemer belässt es nicht dabei, nur sich selbst Asche aufs Haupt zu streuen. Er ist wütend über manchen Kollegen und bettet sein Confiteor in ein gründliches Donnerwetter ein. Er warnt vor dem Verlust der journalistischen Unabhängigkeit, wenn Manager sich wie Chefredakteure und Redakteure wie Manager benehmen. Er schimpft über den Verlag Gruner + Jahr, dessen Art, mit Redakteuren umzugehen, ihn "mit Scham und mit Zorn" erfüllt. Er wettert gegen das "Bullshitting" auf der einen und den "Masochismus" auf der anderen Seite, nennt die Medienblogger "Dummschwätzer" und stutzt jene zurecht, die glauben, mit schwachen Redaktionspools gleich mehrere profilierte Blätter und Online-Angebote füllen zu können: "Es ist leicht, aus einem Aquarium eine Fischsuppe zu machen. Umgekehrt aber ist es schwer."

Da spricht ein Zeitungsmacher vom alten Schlag, einer, der weiter an die Idee der Solitär-Zeitung mit einem starken Verlag im Rücken glaubt. Manchem kommt es wie Luxus vor, wenn er mitten in der Krise vorschlägt, einmal "für einen Moment nicht über Betriebswirtschaft zu reden", aber alle wissen, was gemeint ist: Journalisten sind erst einmal nur Journalisten. Ihr Geschäft ist, wie er es nennt, der Scoop, die Geschichte. Sonst nichts. Auch Ziesemer ist kein Engel. Aber wenn er sagt, wie sehr schlechter Journalismus und Zugeständnisse gegenüber Anzeigenkunden den Druck auf Mitbewerber erhöhen, es ebenso zu machen, dann weiß er, wovon er spricht.

AHNUNGSLOSE ERKLÄRER_ Wer aber sind, neben den kleinen Sündern, die wirklichen Drahtzieher der Krise? Die meiste Schuld haben die gierigen US-Banker, die unkritischen Investoren, die Rating-Agenturen, die Aufseher, die weggesehen haben, die Spekulanten. Die Journalisten sehen sich vor allem als Opfer, wie Greg Ip, US-Wirtschaftskorrespondent beim Economist, feststellt: "Wir haben nicht gewusst, was sich da abspielte." Sie sind die Ahnungslosen.

Aber es gibt noch eine andere, unbequeme Wahrheit. Kein Trend kann sich halten ohne Massenpsychologie, ohne sich selbst verstärkende Mechanismen. Die Medien sind ein Teil davon, und sie sind es, das ist das Perfide am System, durch ihre bloße Funktion. Es braucht gar keine böse Absicht.

Wie um diesen Einwand vorwegzunehmen, kramt Greg Ip einige Zitate hervor, die belegen sollen, dass es schon vor Jahren auch kritische Berichte im Economist gab, dass seine Zeitung nicht an der Spitze des Hype stand. "Wie lange er wohl gebraucht hat, um die Stellen zu finden?", raunt jemand im Publikum - gerade als Ip erklärt, die Journalisten seien kritisch, aber sie seien keine Selbstmörder. Das soll heißen: Man schreibt eine Bank, einen Fonds nicht bankrott, bevor sie bankrott sind. Irgendwann ist die Blase einfach geplatzt. Der Korrespondent hat sich vorgenommen, in Zukunft noch stärker auf die Interessenlage seiner Informanten zu schauen: "Es gibt wenige Leute, die wirklich unabhängig sind."

Uwe Möller, Leiter der Programmgruppe Wirtschaft beim WDR-Hörfunk, erklärt reumütig: "Die Leute haben gegiert nach Geheimtipps - auch wir haben es hier und da gemacht." Dieser Versuchung wolle er in Zukunft widerstehen. Seine Kollegen berichten, dass sie mit zaghaften Warnungen an die Leser gar nicht herangekommen sind. Die Rendite selbst war die Botschaft - auch wenn es immer die vergangene Rendite war.

Wie sich das anfühlte, schildert anschaulich Kerstin Kohlenberg, Dossier-Redakteurin bei der Wochenzeitung "Die Zeit", die in der Krise eigenes Geld verloren hat. Als sie bereits über die Vorzeichen der Katastrophe recherchiert, als in den USA Bürgermeister beginnen, sich kritisch mit den Hypothekenkrediten auseinanderzusetzen, vertraut sie noch immer ihrem Berater. Unwillkürlich muss man an "Biedermann und die Brandstifter" denken.

Kohlenberg kleidet ihre Leidensgeschichte in Parabeln, die sich zu folgender Erkenntnis addieren: "Die Angst, das Spiel zu früh zu verlassen, war größer als die Angst vor dem Risiko." Die Banker hält sie für "Triebtäter", und die gibt es bekanntlich in jeder Generation wieder neu. Darum, erklärt sie, sei "nichts wichtiger, als falsches Verhalten zu bestrafen."

DER EISERNE KANZLER_ Verstohlene Blicke wenden sich am Nachmittag in die letzte Reihe, in der Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt Platz genommen hat. Als er das Podium betritt, ist es vollkommen still im Raum. Man sieht, wie schwer ihm das Laufen fällt und dass er sich das nicht anmerken lassen will. Aber als er vorne sitzt, spürt man das Alter nicht mehr. "Wir haben es mit einer Weltkrise zu tun, aber keiner Krise des Kapitalismus", erklärt er. Im Übrigen sei Deutschland nicht der Kern der Krise, ja nicht einmal ein kapitalistisches Land.

Er spielt auf den Sozialstaat an, dessen Überborden er immer wieder kritisiert hat, den er aber zugleich für die größte Errungenschaft der jüngeren Geschichte hält. Dann watscht er die deutschen Wirtschaftsjournalisten ab, deren "Kenntnis der Welt draußen" nicht besonders sei. Respektvoll nimmt man nebenbei zur Kenntnis, dass dieser eiserne Kanzler immer noch acht oder neun Tageszeitungen abonniert hat. Dann sind die Kommentatoren dran, von denen "einige so tun, als ob man der Krise mit deutschen Maßnahmen beikommen könne". Das findet er "lächerlich", und ergänzt: "Man kann in Wirklichkeit nur gemeinsam handeln."

Dumme und oberflächliche Fragen, das spürt man, reizen ihn immer noch, sein Gegenüber zu korrigieren oder in die Falle zu locken. Wie lange dauert diese Krise noch, Herr Schmidt? "Ich bin doch kein Wetterfrosch", sagt er dann. Brauchen wir einen europäischen Obama, Herr Schmidt, oder einen charismatischen Führer? "Das richtige Wort wäre: persönliche Ausstrahlung." Und welches Buch muss man als zukünftiger Wirtschaftsjournalist unbedingt gelesen haben, Herr Schmidt? "Ein Buch ist etwas wenig", sagt er. Er freut sich diebisch über die Gelegenheit.

Dann liefert er die höfliche Antwort nach: die "General Theory" von John Maynard Keynes aus dem Jahr 1936. Oder auch "Das Finanzkapital", das 1910 erschienene Hauptwerk Rudolf Hilferdings. Schmidt ist die Gegenbotschaft zur Krise. Was er sagt, ist gar nicht mehr wichtig.

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