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Porträt von Laurens Brandt, wissenschaftlicher Referent für Arbeitsrecht am Hugo Sinzheimer Institut der Hans-Böckler-Stiftung, in seinem Arbeitszimmer Magazin Mitbestimmung

Zur Sache: Und jährlich grüßt das Murmeltier

Ausgabe 04/2024

Laurens Brandt zur neuen alten Diskussion um die Einschränkung des Streikrechts in systemrelevanten Berufen.

Man kann schon fast die Uhr danach stellen: Wenn Pflegekräfte, Beschäftigte im Bahnverkehr oder bei der Müllabfuhr für ihre berechtigten Forderungen streiken, gibt es immer einige Stimmen, die dieses Recht einschränken wollen. In diesen Berufen, heißt es jedes Mal zur Begründung, nähmen Arbeitskämpfe die Allgemeinheit in „Geiselhaft“. Entwürfe, wie das Recht eingeschränkt werden soll, werden dann flugs aus der Schublade gezogen. Gesetz wurden sie bisher nie, und so könnte man die aktuelle Diskussion achselzuckend ignorieren. Doch das würde die Gefahr unterschätzen, wie ein Blick nach Großbritannien zeigt. Dort hat die konservative Regierung kürzlich das Streikrecht in systemrelevanten Berufen stark eingeschränkt. Ob es in Deutschland dazu kommt, ist ungewiss, aber steter Tropfen höhlt den Stein. Und so könnte die permanente Diskussion Gerichte beeinflussen, die über das Verbot von Streiks oder massive Schadensersatzklagen gegen die Gewerkschaften entscheiden.

Dabei geht es um ein hohes Gut. Damit abhängig Beschäftigte am gesellschaftlichen Reichtum beteiligt werden, braucht es gute Tarifverträge, und diese können ohne wirksamen Arbeitskampf nicht erreicht werden. Kaum ein Arbeitgeber wird freiwillig mehr Geld ausgeben. Tarifautonomie ohne Streikrecht wäre, in den Worten des Bundesarbeitsgerichts, nur kollektives Betteln, und deshalb ist Streiken ein Grundrecht.

Natürlich belastet beispielsweise ein Streik im Gesundheitswesen auch die unbeteiligten Kranken. Dennoch müssen gerade Pflegekräfte die Chance haben, für bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen. Während der Pandemie wurden sie beklatscht, kürzlich bezifferte eine Studie die Lohnlücke zwischen sozialen und anderen Berufen jedoch auf 17 Prozent. Auch Streiks der Beschäftigten im Bahnverkehr sorgen stets für Aufregung, hier sind die Probleme aber hausgemacht. In den letzten Jahrzehnten verloren im Zuge des geplanten Börsengangs Beschäftigte der Bahn ihren Beamtenstatus, was ihre Arbeitsbedingungen gravierend verschlechterte. Dafür dürfen sie nun streiken, was die Rechtsprechung Beamten verbietet. Ihr Streikrecht zu beschränken, würde sie doppelt bestrafen.

Zudem sind Streiks nicht nur Belastungen. Im Gegenteil, die Allgemeinheit profitiert von ihnen. Häufig richten sie sich gegen die Auswirkungen einer verfehlten Sparpolitik, die Krankenhäuser oder den Verkehr profit- statt  gemeinwohlorientiert organisiert. Darunter leiden nicht nur die Beschäftigten, sondern auch die Allgemeinheit. Streiks für mehr Personal in den Krankenhäusern erfuhren daher unter dem Motto „Mehr von uns ist besser für alle!“ breite Unterstützung aus der Bevölkerung. In der Nahverkehrsrunde demonstrierte Fridays for Future gemeinsam mit Verdi, weil die Verkehrswende nur gelingt, wenn genügend Menschen Bus und Bahn fahren wollen und können.

Wo die Einstellung des Betriebs Dritte gefährdet, wurden immer Notdienste eingerichtet. Die Beschäftigten und die Gewerkschaften begreifen dies als ihre Aufgabe. Eine gesetzliche Regelung, die zudem weit über einen tatsächlichen Notdienst hinausginge, ist daher nicht nur verfassungsrechtlich bedenklich, sondern auch unnötig. Sie würde nur den Beschäftigten ihr Recht nehmen, wirksam für bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen. Es bleibt daher zu hoffen, dass die Diskussion wie in den letzten Jahren verläuft: im Sande.


LAURENS BRANDT ist wissenschaftlicher Referent für Arbeitsrecht am Hugo Sinzheimer Institut der Hans-Böckler-Stiftung. 

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