Quelle: HBS
Magazin MitbestimmungNominiert für den Betriebsräte-Preis 2015: Umschalten in den Kampfmodus
Ein Betriebsrat, der vertrauensvoll seinen Alltagsgeschäften nachging, stellt sich einer harten Auseinandersetzung. Er will in den Verkaufsverhandlungen um das Traditions-unternehmen Coppenrath & Wiese soziale Standards festschreiben und die Marke sichern. Von Jörn Boewe und Johannes Schulten
Nein, von Verkaufsabsichten der Gesellschafter wisse man nichts. Die Antwort, die der Betriebsrat und die Belegschaft der Traditionskonditorei Coppenrath & Wiese auf einer Betriebsversammlung im März 2014 von den Gesellschaftern bekommen hatten, klang eindeutig. Einen Grund, die Aussage anzuzweifeln, gab es eigentlich nicht. „Das Verhältnis zum Unternehmen war immer sehr gut und von gegenseitigem Vertrauen geprägt“, sagt die VizeBetriebsrats-Vorsitzende Doris Brüggemeyer. Und ökonomisch stand „CoWi“, wie der Großkonditor bei seinen Mitarbeitern liebevoll genannt wird, ohnehin hervorragend da. Doch ein Rest Skepsis blieb. Denn Anfang Mai 2014 spekulierte Rolf Coppenrath, eines der drei Kinder des 2013 verstorbenen Firmengründers Aloys Coppenrath, im Branchenblatt „Lebensmittelzeitung“ über einen möglichen Verkauf des Familienunternehmens.
„Hätten wir uns auf die Aussage der Gesellschafter verlassen“, sagt Brüggemeyer heute, „wer weiß, wie die Sache geendet wäre.“ Spekulieren ist nicht ihre Sache. Und auch nicht die ihrer drei Kollegen, die an diesen ersten Augusttagen im Betriebsratsbüro am Standort Mettingen sitzen – bei Kaffee und Gebäck aus eigener Herstellung. Die vier haben weiter nachgefragt und auf eigene Faust recherchiert. Ein Anruf beim Hausjuristen brachte Klarheit: „Dort reagierte man äußerst nervös“, sagt die 50-Jährige. „Da wussten wir: Wir müssen mit einem Verkauf rechnen.“
In den folgenden Monaten gelang es dem Betriebsrat, mit den Eigentümern eine Betriebsvereinbarung über eine Standort- und vierjährige Beschäftigungssicherung abzuschließen. Jeder potenzielle Käufer musste sich verpflichten, diese zu unterschreiben. Ein Riesenerfolg, der schlussendlich den 2300 Beschäftigten die Arbeitsplätze sicherte. Doch um das zu erreichen, musste der Betriebsrat, der bisher mehr oder weniger seinem Alltagsgeschäft nachgegangen war, auf ungewohnte Konfrontation mit „seinem“ Arbeitgeber gehen.
Ungewohnt, denn die 40-jährige Firmengeschichte war für die Beschäftigten vor allem von Vertrauen geprägt. „Was unser Unternehmen immer von anderen unterschieden hat, war, dass die Gründer den wirtschaftlichen Erfolg an die Mitarbeiter weitergegeben haben“, sagt Brüggemeyers Kollege Hermann Langelage. Die Gründer, das waren der Kaufmann Aloys Coppenrath und sein Vetter, der Konditor Josef Wiese. 1975 eröffneten sie in einer umgebauten Molkerei im westfälischen Westerkappeln mit 35 Mitarbeitern ihre erste „Konditorei“. Beide hatten eine innovative Idee: Ihre Backwaren sollten nicht nur ins umliegende Tecklenburger Land verkauft werden. Sie hatten es auf die Supermärkte in der ganzen Bundesrepublik abgesehen. Anstatt ihre Torten frisch zu vertreiben, wurden sie gleich nach der Herstellung schockgefrostet. Bis dahin war das technisch nicht möglich gewesen, denn normalerweise flockt Sahne beim Gefrieren. Wiese hatte jedoch ein spezielles Verfahren entwickelt, das das Ausflocken verhinderte.
Bereits ihre erste Kreation, die aus sechs Sahneteilchen bestehende „Wiener Platte“, verkaufte sich blendend. Seither ging es steil bergauf. In den folgenden Jahren wurde die Produktpalette um Kuchen, Torten und 1997 um Tiefkühlbrötchen erweitert, die Produktion stetig ausgeweitet, Exportmärkte wurden erschlossen. 2003 ließ CoWi im knapp acht Kilometer von Westerkappeln entfernten Mettingen eine neue Produktionshalle bauen mit inzwischen 1900 Beschäftigten. Weitere 300 arbeiten am Logistikstandort und Geschäftssitz in Osnabrück.
SIE HATTEN EINE MENGE ZU VERLIEREN
„Die Gewissheit, dass CoWi verkauft wird, hat uns schockiert“, berichtet Betriebsrat Manfred Hagen. Kein Wunder, denn abgesehen von den Arbeitsplätzen hatten die Beschäftigten eine Menge zu verlieren. Da war der Haustarifvertrag, der immer ein Stück über dem Tarifvertrag des Bäckereihandwerks lag. Oder die betriebliche Altersvorsorge und die Qualifizierungsangebote für die Mitarbeiter. Auch die ansonsten in der Branche sehr verbreitete Leiharbeit war bei CoWi stark begrenzt. Nicht mehr als 65 Leiharbeiter dürfen laut Gesamtbetriebsvereinbarung im Unternehmen sein, bei der Bezahlung gilt Equal Pay.
Doch was tun? Die Eigentümer hatten sich bereits entschieden. Die Verhandlungen wurden geheim geführt, nicht einmal die Geschäftsführung war einbezogen. „Wir wussten weder, mit wem noch was da verhandelt wurde“, sagt Hagen. Also fingen sie an, selbst zu recherchieren. Über die möglichen Interessenten, die inzwischen in der Presse kursierten. Einer davon war der Lebensmittelmulti Dr. Oetker aus Bielefeld. Von der Presse weitgehend als „sichere Lösung“ bewertet, ließ der Name des Bielefelder Unternehmens bei den Betriebsratskollegen „die Alarmglocken angehen“. „Wir wussten, dass Oetker keine Handelsmarken in seinem Konzern duldet. Für uns sind die Handelsmarken gerade im Englandgeschäft extrem wichtig. Nur so können wir die Traditionsmarke Coppenrath & Wiese stützen“, erzählt Brüggemeyer. Noch größer wurden die Sorgen, als Gerüchte über das Interesse verschiedener Private-Equity-Fonds aufkamen.
Den Bekundungen der Eigentümer, die Interessen der Beschäftigten würden im Mittelpunkt der Verhandlungen stehen, wollten sie nicht so ohne Weiteres glauben. „Wir sind normale Leute, doch es ist doch klar, dass, wenn die Gesellschafter einmal verkauft haben, ihnen egal ist, was aus uns wird“, sagt Stefan Berlemann, Betriebsrat am Standort Osnabrück. Dazu passte, dass es auch auf einen gemeinsam mit der NGG erstellten Forderungskatalog mit acht Punkten zur Beschäftigungs- und Standortsicherung keinerlei Reaktion der Gesellschafter gab.
So entstand die Idee, eine Betriebsvereinbarung abzuschließen. Die Überlegung war einfach: „Wenn wir uns auf die Neueigentümer nicht verlassen können, müssen wir vor dem Verkauf Fakten schaffen“, so Berlemann. CoWi ist eines der wenigen Unternehmen der Branche, das seine Logistik nicht ausgelagert hat. Personalabbau am Osnabrücker Standort war also mehr als wahrscheinlich. Jetzt ging es darum, die Gesellschafter mit ins Boot zu holen. Für die nächsten Treffen der Eigentümer im Juli rief der Betriebsrat gemeinsam mit der Gewerkschaft NGG kurzerhand zu einer Protestaktion vor dem Firmensitz in Osnabrück auf. 100 Mitarbeiter forderten mit Schildern und Plakaten eine Garantie für ihre Arbeitsplätze. So etwas hatte es bei CoWi bis dahin nie gegeben. Die lokale Presse staunte nicht schlecht.
Doch der entscheidende Schritt war die Ankündigung, während der Produktion eine Betriebsversammlung zu machen. Was für viele andere Betriebsräte normal ist, war für Berlemann und Kollegen völliges Neuland – schließlich bedeutete es einen Produktionsstopp von mehr als vier Stunden. „Damit haben wir klargemacht, dass wir die uns durch das Betriebsverfassungsgesetz garantierten Mittel nutzen können und wollen“, so Hagen. Und sie konnten auf der Versammlung einen Erfolg verkünden: Nur wenige Stunden vorher hatten die Alteigentümer der Betriebsvereinbarung zugestimmt. Die Erleichterung war riesig.
Nicht nur die Arbeitsplätze konnten gesichert werden. Die Betriebsvereinbarung verpflichtet die neuen Eigentümer auch, den Haustarifvertrag sowie die Regelung zur betrieblichen Altersvorsorge zu akzeptieren. Der Zuschlag ging schließlich doch an die Oetker-Gruppe. Diese garantiert nun, Coppenrath & Wiese als eigenständige Marke weiterzuführen. Die fürs Englandgeschäft wichtigen Handelsmarken konnten beibehalten werden.
Belegschaft und Betriebsrat blicken durchaus optimistisch in die Zukunft – weil sie wissen: Sie können etwas erreichen, wenn sie zusammenhalten. „Wir sind erst mal über den Berg“, sagt Brüggemeyer.