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Magazin Mitbestimmung

: Transfer in eine unsichere Zukunft

Ausgabe 03/2010

INSOLVENZ Der Woolworth-Insolvenzverwalter stellte den Betriebsrat vor die Entscheidung: Entweder der Laden ist in drei Monaten dicht, oder die Beschäftigten verzichten auf Lohn und alte Ansprüche. Von Annette Jensen

ANNETTE JENSEN ist Journalistin in Berlin/Foto: Peter Frischmuth/argus

Noch vor einem Jahr verbreitete der deutsche Woolworth-Chef Robert Brech Optimismus: Die Billigkaufhauskette stehe in der Wirtschaftskrise gut da. Nur zwei Monate später, im April 2009, meldete das Unternehmen Insolvenz beim Frankfurter Amtsgericht an. Den Betriebsräten war schon lange klar gewesen, dass es mit ihrer Firma immer weiter abwärtsgegangen war. Der Umsatz sank und sank - und dem Management fiel als Gegenmaßnahme nichts anderes ein, als das feste Personal in den 311 Filialen auszudünnen und die Lücken durch sozialversicherungsfreie Minijobs zu stopfen. So arbeiteten im letzten Frühling nur noch zehn Prozent der 9300 Woolworthbeschäftigten auf Vollzeitstellen, während 60 Prozent der Belegschaft aus geringfügig Beschäftigten bestand.

Immer wieder hatte der Betriebsrat Alternativvorschläge gemacht. "Woolworth ist ja das Kaufhaus für Kunden mit kleinem Geldbeutel. Die mit einem guten Service zu binden wäre sinnvoll gewesen", ist der Betriebsratsvorsitzende Carsten Kruse überzeugt. Früher hätten die Verkäuferinnen Waren auch mal bis zum nächsten Monatsanfang zurückgelegt - aber so etwas gab es schon lange nicht mehr. Zugleich sei die Qualität des Angebots immer schlechter geworden. Und wie bei vielen anderen Kaufhausketten drückten überhöhte Mieten das Budget, nachdem das Management einen Großteil der Immobilien an den US-Finanzinvestor Cerberus verkauft und teuer zurückgemietet hatte.

Der zuständige Amtsrichter bestellte Ottmar Hermann als vorläufigen Insolvenzverwalter - einen Mann, der in Gewerkschaftskreisen keinen schlechten Ruf genießt. Hermann gilt als aufgeschlossen für Arbeitnehmerinteressen und bemüht, Betriebe fortzuführen. Der Rechtsanwalt beauftragte die Unternehmensberatung CMS zu prüfen, ob und wie ein Weiterleben von Woolworth möglich sei. Die CMS lieferte nach einigen Wochen die Empfehlung, die kleineren Filialen zu verkaufen, die größeren Läden und damit etwa die Hälfte der Verkaufsstellen jedoch als Discountkaufhäuser weiterzubetreiben. Statt 50 000 Artikel sollte es dort nur noch 30 000 geben, um so den Einkauf zu verbilligen. Für die Läden mit den meisten Quadratmetern empfahl ein hinzugezogener Experte außerdem, "Jump and run"- Abteilungen einzurichten, wo Schuhe und Hemden von Adidas, Puma und anderen Markenfirmen wesentlich billiger zu haben sind als anderswo - dank des günstigen Einkaufs solcher Ware über Zulieferer im Ausland. "Eine solche Art von Outlet ist ein einzigartiges Konzept in Deutschland", wirbt Pietro Nuvoloni, Sprecher des Insolvenzverwalters. Zwar habe sich Adidas schon beschwert - doch das Ganze sei eine juristisch völlig einwandfreie Marktlücke.

"Man kann ein wenig von Erpressung sprechen", beschreibt Betriebsrat Carsten Kruse, was dann im vergangenen Sommer vonseiten des Insolvenzverwalters an die Woolworth-Belegschaft herangetragen wurde. "Im Personalkostenbereich muss die im Konzept vorgesehene Mindestsenkung von 16 Prozent auf 11 Prozent des Umsatzes sichergestellt sein" - so die Vorgabe von Ottmar Hermann. Nur wenn die Belegschaft auf einen Betriebsübergang und damit auf alle Rechtsansprüche aus ihrer zum Teil langjährigen Tätigkeit verzichte, werde er den Laden nicht Ende Oktober dichtmachen müssen. Die Löhne der Weiterarbeitenden sollten gekürzt werden - und die Übrigen könnten in eine Transfergesellschaft gehen.

DIE KRUX: KAUM GEWERKSCHAFTSMITGLIEDER_ Der Betriebsrat sah sich vor die Alternative Pest oder Cholera gestellt. "Wenn wir nicht unterschrieben hätten, wären wir alle nach drei Monaten beim Arbeitsamt gewesen", ist Carsten Kruse überzeugt. Der zuständige ver.di-Sektretär Johann Rösch glaubt dagegen, dass mit den Ängsten der Belegschaft gespielt worden ist. "Ich halte die Begründung des Insolvenzverwalters, beim Halten des vormaligen Lohnniveaus in den weitergeführten Filialen keinen Investor zu finden, für gewagt." Schließlich war das Unternehmen schon seit fünf Jahren nicht mehr tarifgebunden, und der Großteil des Personals bestand aus miserabel bezahlten Minijobbern. Für einen Investor sei entscheidend, ob ein trag- und zukunftsfähiges Marktkonzept vorliegt, sagt Rösch. Deshalb hätte, so Rösch, an diesem Punkt eine Zuspitzung erfolgen sollen.

Doch der Betriebsrat entschied sich nach intensiver Diskussion dagegen. "Für den anderen Weg hätten die Kollegen mitziehen müssen. Aber wir haben ja viele geringfügig Beschäftigte und nur wenige, die bei ver.di aktiv sind", begründet das Betriebsrätin Gabriele Merkin. Sie steht auch heute noch zu dieser Entscheidung - und sieht gleichwohl die Gefahr, dass die erzwungene Lohnabsenkung in der Branche Schule machen könnte.

Bis Ende Januar 2010 betreibt das bundesweite Unternehmen Mypegasus nun eine Transfergesellschaft für Woolworth, macht Qualifizierungsangebote und unterstützt die ehemaligen Mitarbeiter bei der Arbeitssuche. Hier unterkommen konnten allerdings nur diejenigen, die zuvor sozialversicherungspflichtig beschäftigt waren. Sie erhalten 80 Prozent ihres früheren Lohns - über zwei Drittel davon kommen als Kurzarbeitergeld von der Bundesagentur für Arbeit, den Rest bezahlt der Insolvenzverwalter.

Parallel wurde ein sogenannter Jobpool eingerichtet, der Personal an die Filialen ausleiht und Arbeitsverträge bis Ende Juni 2010 abgeschlossen hat. Betrug der Stundenlohn einer festangestellten Verkäuferin bei Woolworth früher 12,60 Euro pro Stunde, so sind es jetzt nur noch 11,25 Euro. "Wenn sich kein Investor findet, werden diese Beschäftigten in ein paar Monaten arbeitslos und bekommen dann nur Arbeitslosengeld auf der Grundlage ihres abgesenkten Lohns", kritisiert Rösch. "Die Not der Leute ist so groß, dass sie lieber einen Euro weniger haben als gar keinen Job", beschreibt Merkin die Lage.Für die Gruppe der Minijobber ist die Situation dagegen zum Teil besser, zum Teil schlechter. Manche von ihnen verdienten vor der Insolvenz weniger als 5 Euro, jetzt erhalten alle Pauschalbeschäftigten 6,50 Euro pro Stunde. Für zwei Drittel der Minijobber bedeutet diese Regelung allerdings ebenfalls eine Lohnkürzung. Zugleich bekamen einige von ihnen auch die Chance aufzustocken und somit eine sozialversicherungspflichtige Stelle zu ergattern.

KOMMT DER INVESTOR?_ Gabriele Merkin hat sich, wie alle anderen Betriebsräte auch, für die Transfergesellschaft entschieden. "Seit 20 Jahren habe ich bei Woolworth gearbeitet, ich habe den Laden geliebt - aber jetzt erkenne ich ihn nicht wieder." Dabei bezieht sie sich nicht nur auf die Umbauten in den Verkaufsräumen, für die der Insolvenzverwalter ein paar Millionen lockergemacht hat. Auch die Arbeitsbedingungen haben sich - zusätzlich zur Lohnkürzung - noch einmal verschlechtert: Der Urlaubsanspruch wurde reduziert, die Öffnungszeiten verlängert und die Personaldecke ist noch fadenscheiniger als zuvor.

Die kleineren Woolworth-Filialen sind inzwischen größtenteils verkauft - in die meisten sind Schlecker-Drogeriemärkte eingezogen. Der Insolvenzverwalter hatte zur Bedingung gemacht, dass die Käufer allen bisher dort Beschäftigten ein Jobangebot machen müssten. Doch viele haben dankend abgelehnt und sich lieber für die Transfergesellschaft entschieden.

Etwa 15 Prozent der Kollegen aus der Transfergesellschaft sind inzwischen irgendwo untergekommen. Ex-Betriebsrätin Gabriele Merkin hat schon knapp 40 Bewerbungen geschrieben - doch Erfolg hatte sie bisher nicht. Nach der Transfergesellschaft muss sie jetzt zum Arbeitsamt. Nicht nur die wirtschaftliche Lage macht die Vermittlung schwierig. Viele der überwiegend weiblichen Ex-Woolworth-Beschäftigten haben ihren 50. Geburtstag schon hinter sich.

Derweil gibt sich der Sprecher des Insolvenzverwalters erwartungsgemäß optimistisch: Die Umsatzzahlen seien erfreulich stabil, und die Personalstruktur sei schlanker geworden - sprich der Anteil der Minijobber ist noch höher als zuvor. Insolvenzverwalter Hermann habe keine Eile, den Betrieb rasch loszuschlagen, versichert Nuvoloni. Dagegen geht ver.di-Mann Rösch davon aus, dass spätestens im März ein Investor für die Kaufhäuser gefunden sein muss, weil dann die Entscheidung über den Einkauf der Herbstware getroffen werden muss. Und noch einen Pferdefuß gibt es: Vermieter Cerberus kann widersprechen, wenn ihm ein Investor nicht passt. So wird sich wohl in den nächsten Monaten zeigen, ob Woolworth überlebt oder auch in Deutschland endgültig vom Markt verschwindet.


 

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