Quelle: Rolf Schulten
Magazin MitbestimmungMitbestimmung: Teil des Betriebsrats
Stephan Kuserau ist Stabsmitarbeiter für die Betriebsräte des Osram-Konzerns. Er recherchiert, informiert und koordiniert, knüpft Netzwerke, schreibt Ablaufpläne und organisiert Klausursitzungen. Wenn die Kollegen ihre Arbeit gut tun können, ist Kuserau hochzufrieden. Von Annette Jensen
Stephan Kuserau bezeichnet sich selbst als „Strukturfetischist“ und „Koordinationsknoten“. Sein Büro in Berlin teilt er sich mit Thomas Wetzel, dem Vorsitzenden des Gesamtbetriebsrates bei Osram. Ihre Schreibtische stoßen aneinander, so dass sie sich vis-à-vis gegebenübersitzen. Die Zusammenarbeit ist eng. An der Wand hängt ein großer Kalender. Kuserau hat bunte Zettelchen mit Abkürzungen beschriftet und sie exakt in die Felder der einzelnen Tage geheftet. Wichtige Gremien und Ausschüsse erhalten jeweils eine bestimmte Neonfarbe: Der 48-Jährige will auf einen Blick sehen können, wann sich welche Gruppe trifft.
Im Betriebsratsbüro kommen im Alltag häufig Vertrauensleute oder Arbeiter aus dem Glaswerk vorbei, das im Backsteinbau nebenan untergebracht ist. Viele kennen Thomas Wetzel noch aus der Zeit, als er dort als Betriebsschlosser gearbeitet hat. „Manchmal geht es bei uns zu wie im Bienenkorb“, berichtet Kuserau. Doch auch wenn er immer wieder unterbrochen wird, zwingt er sich, seine selbst gewählte Arbeitsstruktur einzuhalten.
Bei E-Mails analysiert er zuerst die Inhalte und deren Folgen – und entscheidet dann, wer welche Informationen benötigt. Ein von ihm auf einer webbasierten Informationsplattform eingerichtetes, ausgeklügeltes Berechtigungssystem sorgt dafür, dass Dokumente und Informationen ausschließlich bei den Menschen landen, für die sie bestimmt sind und die sie benötigen – und nicht bei denjenigen, die sie nicht zu Gesicht bekommen sollen.
„Ich bin Teil des Betriebsrats, auch wenn ich kein gewählter Betriebsrat bin.“ Stephan Kuserau liebt seinen Beruf. Seit acht Jahren ist er Stabsmitarbeiter, wie die Hans-Böckler-Stiftung Menschen wie ihn bezeichnet. Ihm selbst gefällt „Referent“ besser. Viele seiner bundesweit etwa 250 Kollegen wählen den Begriff „wissenschaftlicher Mitarbeiter“, manche heißen auch „Geschäftsführer“. Sie alle unterstützen große Betriebsratsgremien dabei, ihre Arbeit gut und effektiv zu erledigen. Mindestens einmal im Jahr organisiert die Hans-Böckler-Stiftung ein zweitägiges Treffen, damit sie sich vernetzen, informieren und austauschen können. Darüber hinaus gibt es Schwerpunktgruppen.
Tausendsassa und Teamplayer
Während beispielsweise der VW-Betriebsrat eine größere Gruppe spezialisierter Unterstützer hat, sind die meisten Stabsmitarbeiter üblicherweise Generalisten. Kuserau ist allein zuständig für den Konzern- und Gesamtbetriebsrat und dessen Ausschüsse – unterstützt von einer Teamassistenz. Zusammenhänge erkennen, offen sein und gelassen bleiben zählt er zu seinen Stärken. Wenn vieles parallel läuft und die Dinge dabei vorangehen, macht ihm das Spaß. Er sagt, man müsse Teamplayer sein, um die Arbeit gut hinzukriegen.
Kuserau überlegt laufend, welche Themen bald relevant werden, wann sich ein bestimmter Ausschuss mit einem Thema beschäftigen sollte und wie er dessen Mitgliedern bei der Vorbereitung helfen kann. Er erstellt Präsentationen, recherchiert und koordiniert. Für den Konzern bereitet er Betriebsratssitzungen vor, organisiert Klausurtagungen oder sucht externe Experten zu unterschiedlichen Themen. Auch mit Osrams Arbeitsjuristen arbeitet er eng zusammen. Dabei sei oft Fingerspitzengefühl gefragt, deutet er an. Wenn die Rädchen zum Laufen gebracht wurden und es gelingt, möglichst viel für die Belegschaft herauszuholen, ist Kuserau hochzufrieden.
Er hat keine Schwierigkeiten, vor vielen Leuten einen Vortrag zu halten, eine dezidierte Position zu beziehen oder kompetent über einen Betriebsübergang mitzuverhandeln – all das tut er durchaus auch. Seine Rolle ist aber vor allem, die gewählten Kollegen möglichst stark aufzustellen. Und diese will Kuserau so gut wie möglich ausfüllen.
Ein technikaffiner Überzeugungstäter
Dabei weiß der Mann im Anzug sehr gut selbst, was Handarbeit ist. Nach der Haupt- und Realschule hat er Fluggerätebauer bei Dornier gelernt und danach Höhenruder für den Airbus montiert. „Mit Technik kenne ich mich aus“, sagt er. An der Abendschule machte er das Abitur, anschließend studierte er in München und Berlin Soziologie. „Ich wollte immer Theorie, Praxis und Politik verbinden.“ Seine Diplomarbeit schrieb er im Parteivorstand bei der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen der SPD, die bei Wikipedia als „links sowie als besonders gewerkschaftsnah“ bezeichnet wird. Später unterstützte er deren Bundesvorsitzenden Ottmar Schreiner als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bundestag. „Damals hab ich eine hohe Schlagzahl gelernt, um nicht den Überblick zu verlieren“, berichtet Kuserau. Ein paar Jahre führte der gebürtige Konstanzer auch die SPD-Fraktion im Schweinfurter Stadtparlament, saß im Aufsichtsrat der dortigen Stadtwerke, kandidierte als Oberbürgermeister und errang in der bayerischen Stadt ein durchaus respektables Ergebnis. Während sich manche seiner Berufskollegen als „Wandler zwischen den Welten“ verstehen, sieht Kuserau sich als Überzeugungstäter. „Ich habe eine klare Position, wo ich stehe und in wessen Interesse ich arbeite“, stellt er ohne jede kämpferische Attitüde klar.
Wie alle Stabsmitarbeiter ist Kuserau Angestellter des Unternehmens. Das – und die Tatsache, dass Stabsmitarbeiter fast immer akademisch ausgebildet sind und oft mehr verdienen als die gewählten Betriebsräte – führte in der Anfangszeit nicht selten zu Vorbehalten. Bei Schaeffler, wo Kuserau früher arbeitete, habe es fast ein Jahr lang gedauert, bis er das Vertrauen der rund 40 Betriebsräte für den Konzern gewonnen hatte, erzählt er. Der Autozulieferer hatte die Stelle erst 2011 nach einer existenziellen Krise eingerichtet: Nur durch Intervention des damaligen IG-Metall-Vorsitzenden Berthold Huber war es gelungen, die Firma vor dem Sturz in den Abgrund zu bewahren. Im Gegenzug verpflichtete sich die Unternehmerin Maria-Elisabeth Schaeffler, die Mitbestimmung auszuweiten und dem Betriebsrat die notwendigen Ressourcen zur Verfügung zu stellen, damit er dem Management besser auf Augenhöhe begegnen konnte. Dazu gehörte auch die Einrichtung der neuen Stabsstelle. Sechs Jahre füllte Kuserau sie aus, bevor er vor eineinhalb Jahren aus familiären Gründen nach Berlin zog und bei Osram anfing.
Auch wenn die neue Firma mit rund 25 000 Mitarbeitern deutlich kleiner ist als Schaeffler mit 91 000, hat Kuserau das Gefühl, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Seit einigen Jahren erlebt die Lichtbranche durch den Siegeszug der LED-Technik einen tief greifenden Umbruch. Osram hat wegen der sinkenden Nachfrage für herkömmliche Lampen angekündigt, in den kommenden beiden Jahren über 200 Stellen in Berlin abbauen zu wollen. Auch die Produktion von traditionellen Reflektorstreifen für Westen und Hosen wird zurückgehen, da diese wegen der neuen, weniger blendenden Autoscheinwerfer, nicht mehr ausreichend Licht reflektieren. Osram hat hierfür schon eine Problemlösung entwickelt: selbst leuchtende Sicherheitskleidung – aufladbar per USB und steuerbar mittels einer App. Um die Umstellung zu dieser zukunftssichereren Technik in der Produktion hinzubekommen, müssen Mitarbeiter umgeschult werden. So organisierte der Betriebsrat einen Besuch des Wirtschaftsausschusses des Bundestages, eingefädelt durch Kuserau. Inzwischen ist es gelungen, einen „Fit for the Future“-Qualifizierungsfonds einzurichten, der mit einer halben Million Euro gefüllt ist. Mithilfe des Fonds soll eine große Anzahl Mitarbeiter umgeschult werden. Stephan Kuserau hofft, weiterhin dazu beizutragen, dass möglichst viele Arbeitsplätze bestehen bleiben.