Quelle: HBS
Magazin MitbestimmungUmfrage: Stimmen der Arbeitnehmer
Wie wollen die Menschen arbeiten? Was halten sie vom Mindestlohn, was von der Rente mit 67? Die IG Metall hat danach gefragt und mehr als 500 000 Menschen antworteten. Dieses Meinungsbild der Beschäftigten gibt wertvolle Hinweise – über den Wahltag hinaus. Von Kay Meiners
Betriebsräte, Vertrauensleute und Jugendvertretungen verteilten die Fragebögen unter dem Titel „Arbeit: sicher und fair!“. Auch über das Internet, per Brief oder durch das Mitgliedermagazin konnten viele Beschäftigte angesprochen werden. Am Ende beteiligten sich mehr als eine halbe Million Menschen an dieser Beschäftigtenbefragung der IG Metall. „Ein Rücklauf, der über den Erwartungen lag“, sagt Sabine Blum-Geenen, die beim Vorstand der IG Metall für die Umfrage zuständig ist. Die Beschäftigtenumfrage mit 20 Fragen hat die Gewerkschaft zusammen mit dem Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) sowie dem Soziologischen Forschungsinstitut (SOFI) in Göttingen entwickelt. Die Haltung zu politischen Themen wird ebenso erkundet wie die Lage im Betrieb. Besonders erfreulich: Es gelang, viele Nichtmitglieder anzusprechen. Von ihnen stammt etwa ein Drittel der Antworten.
BREITE ZUSTIMMUNG ZU KERNFORDERUNGEN
Die Antworten dokumentieren breite Unterstützung für die IG-Metall-Forderungen zur Arbeitsmarkt- und Rentenpolitik. So sieht eine große Mehrheit der Befragten unbefristete und fair bezahlte Arbeit als elementar an. 88 Prozent der Befragten bezeichnen einen unbefristeten Arbeitsvertrag als sehr wichtig, 83 Prozent ein verlässliches Einkommen. Gleichzeitig geben ähnlich viele Befragte an, selbst einen unbefristeten Job sowie ein gutes und verlässliches Einkommen zu haben. Dennoch machen sich viele Menschen Sorgen um die Auswüchse am Arbeitsmarkt. Der Aussage, Deutschland brauche einen gesetzlichen Mindestlohn von anfänglich mindestens 8,50 Euro, stimmen 67 Prozent der Befragten voll und ganz zu. Gleiches gilt für die Aussage, Leiharbeit und Werkverträge müssten gesetzlich neu geregelt werden, dabei müsse gründsätzlich gelten: „Gleiche Arbeit – gleiches Geld“.
Ähnlich ist das Meinungsbild bei der Rente. Lediglich 4 Prozent der Befragten gehen davon aus, dass sie später von der gesetzlichen Rente gut leben können. Eine zusätzliche arbeitgeberfinanzierte Altersvorsorge finden daher 60 Prozent sehr wichtig und 32 Prozent wichtig. Mehr als drei Viertel der Befragten, genau 77 Prozent, stimmen der Aussage voll zu, die „Rente mit 67“ müsse zurückgenommen werden. Genausoviele stimmen der Aussage voll und ganz zu, der Arbeitgeber müsse auch in Zukunft Möglichkeiten eines flexiblen Einstiegs in die Rente fördern. In den Betrieben hapert es noch, was den demografischen Wandel angeht. Gerade einmal 33 Prozent der Befragten geben an, ihr Betrieb sei gut oder sehr gut auf älter werdende Belegschaften vorbereitet.
FAIRER AUSGLEICH GEFORDERT
Auch zu den Arbeitsbedingungen liefert die Umfrage interessante Befunde. So geben 13 Prozent der von der IG Metall Befragten an, sich ständig gehetzt oder unter Zeitdruck zu fühlen. 40 Prozent stimmen der Aussage, sie müssten immer mehr Arbeit in der gleichen Zeit bewältigen, voll und ganz zu. Rund 40 Prozent sorgen sich, den wachsenden Anforderungen möglicherweise nicht mehr gewachsen zu sein. „Ziemlich spannend sind auch die Ergebnisse zur Flexibilisierung der Arbeitszeit“, sagt Blum-Geenen. „Die Menschen sind bereit, flexibel zu sein, wollen aber für Zugeständnisse einen fairen Ausgleich, der ihnen bei ihrer Zeitsouveränität hilft. Nine to five – das ist für viele Geschichte.“ Drei Viertel der Arbeitnehmer plädieren zwar für geregelte Arbeitszeiten – ebenso viele wünschen sich aber, die tägliche Arbeitszeit kurzfristig an private Bedürfnisse anpassen und Beruf und Familie vereinbaren zu können.
Die Arbeitsatmosphäre in deutschen Unternehmen scheint derweil verbesserungswürdig zu sein. Von den Befragten antworten 27 Prozent auf die Frage nach einem guten Betriebsklima mit „Nein“, und eine gute Hälfte, 53 Prozent, wünscht sich mehr Mitsprache- und Mitgestaltungsmöglichkeiten. Dass beim Thema Weiterbildung im Betrieb keine Spitzenwerte erreicht werden, war zu erwarten und signalisiert Handlungsbedarf. Nur 43 Prozent der Befragten stimmen voll und ganz oder tendenziell der Aussage zu, dass der Betrieb ihnen ausreichend Möglichkeiten zur Weiterbildung anbietet. 57 Prozent verneinen dies. Es sind solche Zahlen aus den Betrieben, die man als besonders authentisch ansehen kann.
Sehr hohe Zustimmungswerte gab es zu den sozialen Sicherungssystemen, deren Erhalt und Stärkung für 97 Prozent der befragten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein „sehr wichtiges“ oder „wichtiges“ Handlungsfeld der Politik ist. Ebenso beachtlich: 80 Prozent fordern eine „solidarische Krisenbewältigung“ in Europa – was auch der Tatsache geschuldet sein mag, dass die Fragen sehr allgemein gestellt waren, was gemeinhin für hohe Zustimmungswerte sorgt.
AUCH GUT GUT FÜR DIE ORGANISATION
Kein Zufall, dass die große Beschäftigten-Befragung im Wahljahr 2013 stattfindet. Die Ergebnisse veranschaulichen, dass die IG Metall mit ihren Forderungen nach sicheren und fair bezahlten Arbeitsverhältnissen einen zentralen Punkt anspricht. „Die Beschäftigtenbefragung bestätigt unsere Forderungen. Sie zeigt, dass an den Menschen vorbeiregiert wird“, sagt Blum-Geenen. Zudem liefert die Befragung auch reichlich Aussagen und Daten für die Pressearbeit. „IG-Metall-Studie: Mehr Druck am Arbeitsplatz“, titelte die „Südwest-Presse“; und die „Neue Rheinische Presse“ schrieb – nur halb richtig: „Forderungen von 514 134 IG-Metallern“. Daneben nutzt die Gewerkschaft eigene Kanäle, um vor der Bundestagswahl ihre Forderungen lautstark publik zu machen – wie etwa die Kampagnenseite www.arbeitsicherundfair.de.
Doch die IG Metall will mehr als ihrem politischen Forderungskatalog durch ein breites Basisvotum mehr Drive zu geben. Die Umfrageergebnisse sollen „ein wichtiger Baustein für die Weiterentwicklung der gewerkschaftlichen Ziele“ sein, erklären die beiden Vorsitzenden der IG Metall, Berthold Huber und Detlef Wetzel, im Vorwort einer Broschüre, die die Ergebnisse zusammenfasst. „Für alle Betriebe mit mehr als zehn Rückmeldungen gibt es außerdem über die Verwaltungsstellen automatisierte Auswertungen“, erklärt Gewerkschafterin Blum-Geenen. Die Ergebnisse der Umfrage sollen genutzt werden, um die Betriebs- und die qualitative Tarifpolitik weiterzuentwickeln. Die Vorsitzenden versprechen: „Beteiligungsorientiert werden wir unsere weitere Programmatik gestalten.“ Ein Prozess, der gerade erst begonnen hat.
Mehr Informationen
Die Kampagnenseite der IG Metall: www.arbeitsicherundfair.de
Die zentralen Ergebnisse der Umfrage mit vielen Grafiken (Broschüre): http://bit.ly/126OFQG
Die Vorsitzenden der IG Metall zur Umfrage (Video): http://bit.ly/13CfqKq