Quelle: Karla Schröder
Magazin MitbestimmungBetriebsräte-Preis: Stellenerhalt durch Solidarität
Nach einem massiven Auftragseinbruch hat der Betriebsrat des Impfstoffherstellers GlaxoSmithKline Biologicals (GSK) in Dresden eine drohende Entlassung von gut 100 Mitarbeitern abwenden können. Die Lösung: Alle Beschäftigten arbeiten ein Jahr lang, entgeltwirksam 3,5 Stunden weniger in der Woche. „Stellenerhalt durch Solidarität“ heißt das Projekt. Denn: Alle beteiligen sich, von der Produktion bis zur Geschäftsführung. Das Projekt ist für den diesjährigen Betriebsrätepreis nominiert. Von Martin Kaluza
„Für uns war es über Jahrzehnte immer nur bergauf gegangen“, sagt Peter Mißbach, Vorsitzender des Betriebsrats bei GSK Biologicals in Dresden. Das Unternehmen stellt Grippe- und Reiseimpfstoffe her, vor allem für den Export in die USA und innerhalb der EU. Über 800 Menschen arbeiten am Standort in Dresden, der zum Pharmakonzern GlaxoSmithKline gehört. „Das Unternehmen war gesund“, sagt Mißbach, „und dann kam die Pandemie.“
Durch Lockdowns und Reisebeschränkungen brach der Markt für Reiseimpfungen ein. Gleichzeitig sank zudem generell weltweit die Impfbereitschaft, die Auswirkungen sind auch in diesem Jahr zu spüren. Und im Laufe des Jahres 2023 hat die WHO einen von vier bis dahin verbreiteten Grippestämmen für ausgerottet erklärt. Dementsprechend wird auch der Impfstoff gegen diesen Stamm nicht mehr benötigt.
Die Folge: Nachfrage und Produktion brachen um mehr als die Hälfte ein. Bei einer Kapazität von über 100 Millionen Impfdosen im Jahr produzierte GSK Biologicals in Dresden zuletzt nur noch knapp 40 Millionen Dosen. „Der erste Gedanke, der einer Unternehmensführung dann kommt, ist, Stellen abzubauen“, sagt Peter Mißbach, seit 2021 Vorsitzender des Betriebsrats.
Die Konzernzentrale forderte, dass der 800 Mitarbeiter starke Standort Dresden in der Produktion mindestens 10 Millionen Euro im Jahr einspart. Das hätte eine Entlassung von gut 100 Mitarbeitern bedeutet. „Wir haben im Betriebsrat verschiedene Szenarien durchgespielt, wie wir auf eine solche Einsparung kommen könnten“, sagt Eric Jacob, Mißbachs Stellvertreter. „Und für Stellenabbau waren wir einfach zu optimistisch.“
Die Rechnung mit der Arbeitszeit geht auf
Die Optionen, die der Betriebsrat intern und mit der Geschäftsleitung durchspielte, reichten von betriebsbedingten Kündigungen über Kurzarbeit und unbezahlte Freistellungen bis hin zu der Idee, Mitarbeiter für Weiterbildungen freizustellen oder zeitweise an soziale Projekte oder Kindergärten auszuleihen. „Wir sind letztlich im Manteltarifvertrag auf den Passus gestoßen, dass wir eine beidseitige Einigung treffen können über eine wöchentliche Arbeitszeit zwischen 32 und 40 Stunden“, sagt Jacob.
Der Betriebsrat erstelle gemeinsam mit den Abteilungen Arbeitszeitvolumenanalysen. Sie ergaben, dass es mit der Produktion vereinbar wäre, die wöchentliche Arbeitszeit, um fast genau 3,5 Stunden zu reduzieren. Bei diesem Umfang ließen sich die verbliebenen Aufträge noch bewältigen, ohne die Mitarbeitenden zu überlasten. Und es kam fast genau die von der Zentrale geforderte Einsparung heraus, wenn alle Beschäftigten ihre Arbeitszeit im gleichen Maß reduzierten. Die Unternehmensleitung stimmte schließlich zu, die Lösung gemeinsam mit dem Betriebsrat zu vertreten. „Für die Glaubwürdigkeit war uns wichtig, dass sich alle an der Reduktion um dreieinhalb Stunden beteiligen, auch die Geschäftsleitung und der Betriebsrat,“ sagt Mißbach.
Weniger Geld, aber mehr Freizeit und flexiblere Arbeitszeitmodelle
Die ausgehandelte Reduktion ist entgeltwirksam, die Mitarbeiter verzichten auf rund neun Prozent ihres Bruttoeinkommens. „Neun Prozent hielten wir für vertretbar“, sagt Mißbach. „Uns hat geholfen, dass wir einen sehr guten Tarifvertrag haben.“ Die Regelung trat nach und nach zwischen dem 1. Januar und dem 1. September für zwölf Monate in Kraft. Wenn keine anschließende Regelung getroffen wird, geht es danach weiter mit der tariflichen Vollarbeitszeit.
Die Verringerung der Stunden sollte solidarisch verteilt sein. Deshalb entwickelte der Betriebsrat in enger Abstimmung mit den Abteilungen passende Arbeitszeitmodelle, die auch in die Betriebsvereinbarung aufgenommen wurden. „Früher hatten wir das klassische Zwei-, Drei- oder Vier-Schicht-Modell. Jetzt arbeiten einige Abteilungen sieben Stunden am Tag, andere arbeiten acht Stunden am Tag, die man dann wieder abbauen kann.“ Er selbst sammelt die Stunden und hat jeden zweiten Freitag frei.
„Welches Modell am besten passt, kam aus den Abteilungen selbst“, sagt Betriebsrätin Janine Mülverstedt. „In meiner Abteilung können wir die Arbeit gut über die Woche verteilen. Wir können sie so organisieren, dass wir alle zwei Wochen freitags keine Spätschicht brauchen. In der Produktionsabteilung beispielsweise, die Eier impft, passt das von den Abläufen her nicht – die sammeln ihre Stunden über eine längere Zeit und machen dann mindestens eine Woche am Stück frei.“
Dem Betriebsrat war es wichtig, die Vereinbarung über die Reduktion der Arbeitszeit auf 35 Stunden an die konkreten Arbeitszeitmodelle zu koppeln. „Wir haben gesagt, wir geben dem Arbeitgeber keinen Freifahrtschein für eine Stundenreduktion, ohne dass für unsere Mitarbeiter etwas herauskommt, von dem sie direkt profitieren. Uns war wichtig, vor der Unterzeichnung zu klären, wie wir für die Mitarbeiter eine Entlastung in Form von Freizeit nach geeigneten Modellen schaffen können.“ Und Jacob ergänzt: „Das ist auch eine Garantie für den Mitarbeiter, dass es nicht mal auf 32 Stunden runtergeht und dann wieder hoch auf 40. Es bleibt bei gleichmäßig 35 Stunden in der Woche.“
Der Betriebsrat hat einen großen Aufwand betrieben. 24 Arbeitstage hat das insgesamt dreizehnköpfige Gremium eingesetzt, um die Situation zu analysieren und die Betriebsvereinbarungen auszuarbeiten, am Ende stapelten sich 134 Dokumente. Der Betriebsrat konnte durch sein Engagement betriebsbedingte Kündigungen verhindern, alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Standort Dresden sind weiter dort beschäftigt.
Mißbach, Jacob und Mülverstedt haben das Projekt zum Betriebsrätepreis eingereicht. „Die Aufgabe an sich war sehr unerfreulich“, sagt Mißbach. „Aber sie hat das Team zusammengeschweißt. Das war absolut cool.“
Mehr zum Betriebsräte-Preis 2024:
Der Deutsche Betriebsräte-Preis wird im Rahmen des Deutschen Betriebsrätetags am 7. November in Bonn verliehen. Aus 60 Bewerbungen wurden zwölf Projekte nominiert, darunter das Projekt des Betriebsrat der GlaxoSmithKline Biologicals (GSK) in Dresden.
Mehr über die nominierten Betriebsräte auf der Seite des I.M.U. zum Betriebsräte-Preis 2024
Das Institut für Mitbestimmung und Unternehmensführung der Hans-Böckler-Stiftung bietet ein Archiv mit zahlreichen Betriebsvereinbarungen.