zurück
Sebastian Dullien Magazin Mitbestimmung

Pro & Contra: Sollte die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel gesenkt werden?

Ausgabe 03/2022

Nein - sagt Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung. Ja - sagt Anne Markwardt, Leiterin Team Lebensmittel bei der Verbraucherzentrale Bundesverband e.V.

Sebastian Dullien ist Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung:
NEIN. Lebensmittel wurden zuletzt massiv teurer. Familien und Menschen mit geringen Einkommen setzt der Preisanstieg immer mehr unter Druck. Doch eine geringere Mehrwertsteuer für bestimmte oder alle Nahrungsmittel, wie sie zuletzt in der öffentlichen Debatte gefordert wurde, wäre gesamtgesellschaftlich keine gute Lösung. Zunächst entlastet eine Mehrwertsteuersenkung sozial nicht besonders zielgenau. Denn alle Haushalte würden weniger zahlen, auch jene, die dank hoher Einkommen keine Geldsorgen haben.

Zweitens dürfte eine allgemeine Steuersenkung reiche Haushalte sogar stärker entlasten als jene mit geringen Einkommen. Der französische Käse aus dem Delikatessenladen für 5,99 Euro pro 100 Gramm würde um rund 40 Cent billiger, der abgepackte Gouda für 60 Cent pro 100 Gramm gerade einmal um 4 Cent.

Drittens kostet eine Mehrwertsteuersenkung den Staat viel Geld, das in den kommenden Jahren für Aufgaben wie Infrastruktur, Bildung und Dekarbonisierung benötigt wird. Das wiegt umso schwerer, als diese Einnahmeausfälle bei einer Steuersenkung wohl dauerhaft wären.

Sinnvoller, als an der Mehrwertsteuerschraube zu drehen, ist es deshalb, besonders belasteten Haushalten und Familien mit einmaligen Zahlungen zu helfen und insbesondere im unteren Einkommensbereich für ordentliche Lohn- und Gehaltssteigerungen zu sorgen.

 

Anne Markwardt leitet das Team Lebensmittel bei der Verbraucherzentrale Bundesverband e.V.
JA. Weniger Mehrwertsteuer auf Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte – neu ist die Idee nicht. Der Wissenschaftliche Beirat beim Ernährungsministerium sprach sich schon 2020 dafür aus, die Zukunftskommission Landwirtschaft 2021. In den letzten Wochen hat die Diskussion angesichts der hohen Inflationsraten Fahrt aufgenommen. Ziel einer solchen Mehrwertsteuersenkung wäre es, den Anreiz für eine gesunde und nachhaltige Ernährung zu erhöhen, indem Obst und Gemüse billiger werden, gerade im Vergleich zu tierischen Lebensmitteln wie Fleisch.

Bei stark gestiegenen Lebensmittelpreisen könnte eine Mehrwertsteuerbefreiung außerdem Menschen entlasten, wenn auch nur geringfügig. Es ist davon auszugehen, dass der Lebensmittelhandel die Steuerbefreiung tatsächlich weitergibt. Zumindest bei der letzten temporären Mehrwertsteuersenkung 2020 war das der Fall.

Die Mehrwertsteuerbefreiung von Obst und Gemüse kostet den Staat nicht nur etwas, sondern fördert eine gesunde Ernährung und spart langfristig auch Kosten, beispielsweise im Gesundheitssystem. Klar ist aber auch: Gerade für Geringverdiener reicht eine Mehrwertsteuersenkung natürlich nicht, um die stark gestiegenen Lebenshaltungskosten auszugleichen. Der Staat muss dringend die ernährungsbezogenen Regelsätze in der Grundsicherung anheben und einkommensschwache Haushalte gezielt entlasten.

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrem Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen