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Collage mit Symbolen zu Finanzpolitik, Gesetzgebung und Investitionen Magazin Mitbestimmung

Industriepolitik: So bleibt die Wirtschaft konkurrenzfähig

Ausgabe 06/2024

Die Unsicherheit in der Industrie ist groß, die Zukunftsaussichten düster. Der DGB hat Vorschläge, wie die Wirtschaft und die Mitbestimmung gestärkt werden können. Von Marius Ochs

Es war auch für DGB-Vorstand Stefan Körzell ein trüber Tag. Am Mittwoch, 6. November, wachte er, wie so viele, morgens auf zu der Meldung, dass Donald Trump zum neuen Präsidenten der USA gewählt worden war. Wenige Stunden später entließ Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) seinen Finanzminister Christian Lindner (FDP). Die Ampelregierung war damit Geschichte.

Jetzt ist Wahlkampf, und der DGB bringt zentrale Forderungen mit, die zwar noch zu Zeiten der Ampelkoalition entwickelt wurden, aber nun, so Stefan Körzell im Gespräch mit dem Magazin Mitbestimmung, noch dringlicher sind. Mit den geforderten Maßnahmen ließe sich nach Körzells Überzeugung sowohl die Situation der Industrie als auch die Mitbestimmung in den Betrieben verbessern und gleichzeitig die sozial-ökologische Transformation beschleunigen.

Manche Programme, die der demokratische Präsident Joe Biden angestoßen hat, werden voraussichtlich auch unter Donald Trump weiterlaufen. Zum Beispiel der Inflation Reduction Act (IRA), ein mehr als 370 Milliarden US-Dollar schweres Investitionsprogramm insbesondere für erneuerbare Energien und nachhaltige Technologien. Der IRA kurbelte die US-Wirtschaft an und hat in den USA bereits mehr als 100 000 neue Arbeitsplätze geschaffen.

Amerika hat uns gezeigt, dass mit gezielten Förderungen Industriearbeitsplätze neu entstehen und bestehen bleiben. Im Kern ist das Investitionsprogramm allerdings eine protektionistische Maßnahme, denn es beinhaltet auch massive Steueranreize für US-Unternehmen, wenn sie heimische Produkte kaufen. Unter Trump ist mit weiteren protektionistischen Maßnahmen zu rechnen, beispielsweise Strafzöllen. Die sind bereits angekündigt. Die EU und Deutschland werden darauf antworten müssen.

In Deutschland muss ein vergleichbares Investitionsprogramm die sozial-ökologische Transformation voran bringen. Investitionen, die wir dringend brauchen, müssen mit dem Versprechen einer klimaneutralen Zukunft verbunden sein. Die Vergabe von Fördermitteln sollte an die Kriterien Guter Arbeit und an Tarifbindung geknüpft werden. So könnte auch die Mitbestimmung in Zukunftsbranchen gestärkt werden.

Dem steht die Schuldenbremse im Weg. Die Amerikaner lachen uns aus wegen dieses Sparkurses. Die Schuldenbremse muss durch eine Grundgesetzänderung gelockert werden, um dann wegen des hohen Strompreises zuerst massiv die energieintensiven Branchen und anschließend andere zukunftsträchtige Branchen zu fördern. Nur so kann die deutsche Industrie international konkurrenzfähig bleiben und Jobs können gesichert werden.

Um die Investitionen zu ermöglichen, muss auch das EU-Beihilferecht reformiert werden. Das Gesetz regelt, wie die Mitgliedstaaten ihre jeweilige Wirtschaft unterstützen dürfen. Es soll die wirtschaftlich schwächeren Staaten im EU-Binnenmarkt davor schützen, dass reichere Länder die eigenen Unternehmen unfair bevorzugen. Der DGB fordert eine Reform, um Subventionen einerseits zu erleichtern, sie andererseits aber an den Zielen von klimaneutraler und resilienter Wertschöpfung, Guter Arbeit sowie Beschäftigungssicherung und -entwicklung auszurichten. Das hätte auch positive Effekte auf die Mitbestimmung.

Nur weil Unternehmen in den USA leicht an Subventionen kommen, sollten sie in der EU nicht bedingungslos an staatliches Geld gelangen, denn selbst in den USA sind Subventionen oft an die Zahlung angemessener Löhne und an die Anzahl der Ausbildungsplätze gebunden. Das sollte auch in der EU gelten. Gleichzeitig müsste das Recht eine schnelle Antwort auf die massiven staatlichen Subventionen in den USA oder auch in China erlauben.

Der DGB fordert außerdem bei strategisch wichtigen Technologien und Infrastrukturen wie der Zukunft der Schiene eine gemeinschaftliche europäische Finanzierung von Investitionen, Investitionshilfen und Subventionen. Dafür ist ein gemeinsamer europäischer Fonds sinnvoll – und damit auch gemeinsame europäische Schulden.

Zur Infrastruktur der Zukunft gehört auch das europäische Stromnetz. Der Strompreis ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine wirtschaftlich lohnende Produktion. Oft sind Investitionen in mehr Kraftwerke, Windräder und Solarparks aber nicht schnell genug, um die Preise zu drücken. Der DGB fordert deshalb eine weitreichendere Reform des europäischen Strommarkts.

Als Erstes brauchen wir eine vollständige Entkoppelung des Strompreises vom Gaspreis. Außerdem müssen ungerechtfertigte Übergewinne bei der Stromerzeugung vermieden werden. Zu viele große Unternehmen, beispielsweise Energieproduzenten, haben von den Preissprüngen während der Energiekrise 2023 profitiert. Schon diese beiden Punkte machen eine tiefgreifende strukturelle Änderung der Reform nötig, die von der EU-Kommission heute deutlich weniger weitreichend geplant ist.

Jedoch sind ohne einen kompetitiven Strompreis nicht nur die Daseinsvorsorge und die industrielle Entwicklung bedroht, sondern auch der soziale Frieden, weil es einen Zusammenhang zwischen der Stärke von Parteien wie der AfD und hohen Strompreisen gibt. Auch deshalb fordert der DGB eine ambitioniertere Kraftwerksstrategie von Deutschland und der EU. Das heißt: mehr Investitionen in flexible Gaskraftwerke, die die Phasen ausgleichen, in denen kein Wind weht und keine Sonne scheint.

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