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Magazin Mitbestimmung

Italien: Signale an die Finanzmärkte

Ausgabe 09/2012

Es wird am Kündigungsschutz herumgeschraubt und bei Gesundheit und Renten gespart – statt die wahren Probleme anzugehen: das Schrumpfen der Industrie, Schattenwirtschaft, Steuerhinterziehung. Von Michaela Namuth

Zwischen den Werkshallen des riesigen Turiner Fiat-Werks Mirafiori herrscht Stille. Die wenigen Montagebänder, an denen noch die Modelle Lancia Musa und Idea gebaut werden, werden nun – zumindest teilweise – abgestellt. Im Werk Mirafiori, das einst die größte Autofabrik Italiens war, werden jetzt alle 5400 Beschäftigten auf Kurzarbeit gesetzt. „Das ist das Ende von Fiat“, erklärt Maurizio Landini, Vorsitzender der Metallgewerkschaft FIOM. Er fordert umgehend einen Krisengipfel zum Thema Autoindustrie und Transport mit der Regierung Monti.

Doch die produziert Spargesetze und Reformen am laufenden Band, um die Vorgaben der EU-Kommission und des Europäischen Währungsfonds zu erfüllen, die das Schuldenland vor dem Bankrott und vor dem Ausschluss aus der Eurozone retten sollen. Seit Mario Monti und sein Technokraten-Kabinett die Regierung Silvio Berlusconis abgelöst haben, ist das internationale Ansehen des heruntergewirtschafteten Landes wieder gestiegen. Die New York Times feiert den ehemaligen knallharten EU-Wettbewerbskommissar und Goldman-Sachs-Berater Monti als „Mann, der Europa retten kann“, und der deutsche Außenminister Wolfgang Schäuble sieht in dem Finanzberater eine „Chance für Italien und für Europa“.

Derweil spitzt sich in seinem Land die wirtschaftliche und soziale Lage weiter zu. Das Bruttoinlandsprodukt wird 2012 voraussichtlich um zwei Prozent sinken. Die Industrieproduktion ist seit 2008 um 25 Prozent zurückgegangen. Die Arbeitslosenquote der unter 25-Jährigen ist, nach den Daten des statistischen Landesamtes ISTAT, in den vergangenen Monaten auf 36,2 Prozent gestiegen und errreicht in manchen Südregionen 50 bis 60 Prozent. Elf Prozent der italienischen Haushalte leben in relativer und 5,2 Prozent in absoluter Armut. Dazu kommen die traditionellen Strukturprobleme: Nord-Süd-Gefälle, mangelnde Infrastrukturen, Bürokratie, Korruption, Schattenwirtschaft und Steuerhinterziehung. Es vergeht kaum ein Tag ohne die Meldung, dass ein Arbeitsloser oder ein verschuldeter Kleinunternehmer in den Selbstmord getrieben wurde. Die Stimmung im Ferienland ist depressiv.

Die Hoffnungen, die – nach dem Abgang der korrupten Berlusconi-Regierung – viele in die Professorenriege um Monti gesetzt haben, schwinden. Die Reformen der Renten und des Arbeitsmarktes haben bislang keine Voraussetzung für neues Wirtschaftswachstum geschaffen, sondern dienen nur der kurzfristigen Verringerung der Staatsverschuldung. Deshalb werden die in eifriger Hast verabschiedeten Maßnahmen allseits kritisiert – nicht nur von den Gewerkschaften, sondern auch von Ökonomen und Arbeitgebern und mit großer Häme von den politischen Rechtsparteien, die das politische Comeback von Silvio Berlusconi vorbereiten. Der Ökonom Tito Boeri, Professor an der Mailänder Wirtschaftsuniversität Bocconi, fasst die allgemeine Kritik zusammen. „Es handelt sich weniger um wahre Reformen, das heißt dringend nötige strukturelle Veränderungen, als um starke Signale an die Finanzmärkte“, so Boeri.

Das erklärt auch, warum sich die öffentliche Debatte meist nur um den Kündigungsschutz, den viel zitierten Artikel 18 des Arbeitnehmerstatuts von 1970, drehte. Es wurde ein medialer Popanz aufgebaut, der nicht der Realität entspricht. Die erste Fassung der Gesetzesnovelle sah vor, die Wiedereingliederung eines ungerechtfertigt gekündigten Arbeitnehmers an seinen Arbeitsplatz durch eine Abfindung zu ersetzen. Dieser Passus wurde aber in Absprache mit den Gewerkschaften wieder rückgängig gemacht. Der italienische Kündigungsschutz entspricht nun in etwa der deutschen Gesetzgebung und wurde auf alle Betriebe, auch Kleinunternehmen mit weniger als 16 Beschäftigten, ausgedehnt. „Durch unsere Proteste haben wir die Regierung gezwungen, einen Schritt zurückzugehen. Das ist ein gutes Ergebnis“, so die CGIL-Chefin Susanna Camusso.

Sie kritisiert allerdings die teilweise Abschaffung der Kurzarbeitskasse zugunsten einer allgemeinen Arbeitslosenunterstützung. Diese greift aber nur bei Arbeitsplatzverlust. Jugendliche auf der Suche nach einem ersten Job und prekär Beschäftigte bleiben wie bisher ohne soziale Absicherung. Camusso fordert mehr Schutz für atypische Beschäftigung, der durch eine Kapitalsteuer und Maßnahmen gegen Steuerhinterziehung und Schwarzarbeit finanziert werden soll. Die beiden anderen großen Dachverbände, CISL und UIL, wollen die Reform belassen, wie sie ist. „Wir haben einen mühsamen Kompromiss mit den Arbeitgebern erreicht, den sollten wir nicht gefährden“, so Luigi Angeletti, Vorsitzender der UIL.

BÜROKRATIE LÄHMT UNTERNEHMERGEIST

Ausgerechnet von der Arbeitgeberseite bekommen die Gewerkschaften nun Schützenhilfe bei der Debatte um den Abbau von Arbeitnehmerrechten. „Unser Problem ist nicht der Kündigungsschutz, sondern die teure und unübersichtliche Bürokratie“, erklärt Giorgio Squinzi, der neue Präsident des Arbeitgeberverbandes Confindustria. Wer in Italien ein Unternehmen gründen möchte, muss 40 Formulare ausfüllen. Daran hat sich unter Monti nichts geändert. Squinzi hat sich auch gegen „den sozialen Kahlschlag“ der Arbeitsmarktreform und für „mehr Konzertierung in den Industriebeziehungen“ ausgesprochen. Mit dieser Kritik aus der Unternehmerecke hatte Monti nicht gerechnet.

Doch während der Premier die Europäische Zentralbank und die internationalen Finanzmärkte überzeugen will, schlagen sich viele Unternehmer – wie ihre Beschäftigten – mit den konkreten Problemen herum, die diese geschaffen haben. Viele Betriebe schließen, weil die Banken keine Kredite vergeben. Die Krise der Industrie und vor allem des Fiat-Konzerns, steigende Arbeitslosigkeit, sinkende Renten und zunehmende soziale Unsicherheit der Familien sind auch im Dauerkrisenland Italien ein gefährliches Gemisch. Jetzt setzt die Regierung noch eins drauf. Sie hat vor der Sommerpause weitere Kürzungen im Staatshaushalt angekündigt. Bis zu neun Milliarden Euro sollen im Gesundheitswesen, im öffentlichen Dienst und im Justizapparat in den kommenden drei Jahren eingespart werden. Für die italienischen Gewerkschaften, die bislang verhandlungsbereit waren, ist das eine Art Kriegserklärung. Und sie haben darauf bereits in ungewohnter Eintracht geantwortet: mit der Androhung eines Generalstreiks. „Diesmal sind wir dazu fest entschlossen“, bestätigt Raffaele Bonanni, Chef der sonst eher dialogorientierten CISL.

Dieses Mobilisierungspotenzial sollte die Regierung nicht unterschätzen. Denn während die Parteiverdrossenheit der Italiener weiter steigt, gewinnen die Gewerkschaften an Ansehen. Das zumindest ist das Ergebnis einer Umfrage des Marktforschungsinstituts IPR Marketing. Dabei sprachen 34 Prozent der Befragten den Gewerkschaften ihr Vertrauen aus, bei den Parteien waren es nur acht Prozent. Für Antonio Noto, Chef des Instituts, ist dies ein erstaunlicher Wandel in der italienischen Gesellschaft. „Bis vor zehn Jahren war das Verhältnis noch umgekehrt“, erklärt er.

Text: Michaela Namuth, Journalistin in Rom / Foto: Stefan Boness/Ipon 

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