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Porträtbilder von Jens Ulbrich, Leiter des Zentralbereichs Volkswirtschaft der Deutschen Bundesbank und Isabella Weber,  Professorin für Volkswirtschaftslehre an der Universität Massachusetts Amherst Magazin Mitbestimmung

Pro & Contra: Senken Zinssteigerungen die Inflation?

Ausgabe 04/2023

„Ja“, findet Jens Ulbrich, Leiter des Zentralbereichs Volkswirtschaft der Deutschen Bundesbank. „Nein“, widerspricht Professorin für Volkswirtschaftslehre an der Universität Massachusetts Amherst

JA.

Im gegenwärtigen Umfeld sehr hoher Inflationsraten hat Geldpolitik den unmissverständlichen Auftrag, die Inflation zu senken. Die Erhöhung der Leitzinsen ist das bewährte Mittel dafür. Steigende Leitzinsen erhöhen beispielsweise die Finanzierungskosten von Unternehmen und Haushalten, sodass weniger gekauft und weniger investiert wird. Darüber hinaus gibt es weitere Wirkungskanäle, etwa eine Aufwertung der heimischen Währung, wodurch Importgüter wie Rohöl billiger werden. Im Ergebnis sinkt die gesamtwirtschaftliche Nachfrage, und die Inflation geht zurück. Dieser Zusammenhang zwischen Zinssteigerungen und sinkender Inflation ist in der Forschung vielfach belegt.

Darüber hinaus festigen Zinserhöhungen das Vertrauen der Bevölkerung, dass die Geldpolitik Preisstabilität wiederherstellen wird. Dieses Vertrauen ist entscheidend, denn Inflation ist auch eine Kopfsache: Wer überzeugt ist, dass die hohe Inflation bald vorüber ist, wird auf übermäßige Preiserhöhungen oder allzu üppige Lohnforderungen verzichten.

Mit Preisbremsen und anderen fiskalpolitischen Initiativen lassen sich zwar soziale Härten der Inflation abfedern, sofern sie adäquat ausgestaltet sind. Gesamtwirtschaftlicher Preisdruck lässt sich damit aber nicht wirksam begrenzen.

Letztlich ist und bleibt die Geldpolitik am besten geeignet, die Inflation bald wieder auf ihren Zielwert von zwei Prozent zurückzuführen.

JENS ULBRICH, Leiter des Zentralbereichs Volkswirtschaft der Deutschen Bundesbank


NEIN.

Zinserhöhungen sind eine riskante Antwort auf die gegenwärtige Inflation. Der Grundgedanke lautet: Steigen
die Zinsen, wird mehr gespart und weniger Geld ausgegeben. In der Folge sinkt die Inflation.

Das alles wäre nicht falsch, wäre die derzeitige Inflation tatsächlich konsumgetrieben. Es ist inzwischen jedoch klar, dass vor allem Lieferkettenengpässe, Verwerfungen auf globalen Energie- und Rohstoffmärkten und steigende Gewinne die Inflation getrieben haben. Ende Juni erklärte der Internationale Währungsfonds (IWF): „Steigende Unternehmensgewinne trugen in den letzten zwei Jahren am meisten zur Inflation in Europa bei, da die Unternehmen ihre Preise um mehr als die steigenden Kosten für importierte Energie erhöht haben.“ Nach meiner Forschungsarbeit zu den USA haben nun Studien der Europäischen Zentralbank, der OECD, der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) und der Europäischen Kommission einen großen Anteil der Unternehmensgewinne an der Inflation in Europa belegt. Reallöhne müssen jetzt aufholen.

Wenn die Inflation sinken soll, müssen Unternehmen Lohnsteigerungen absorbieren. Schlechtere Kreditbedingungen für Unternehmen machen Letzteres unwahrscheinlicher. Höhere Zinsen wälzen die Inflation auf den Faktor Arbeit und verteuern dringend notwendige Zukunftsinvestitionen. Daher bedarf es einer neuen Strategie.

ISABELLA WEBER, Professorin für Volkswirtschaftslehre an der Universität Massachusetts Amherst


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