Quelle: HBS
Magazin MitbestimmungInterview: "Sehr schwierige Gespräche"
Frank Werneke, stellvertretender Vorsitzender von ver.di, über den Niedergang der Druckindustrie und die Versuche seiner Gewerkschaft, trotzdem Mindeststandards zu sichern. Die Fragen stellte Andreas Molitor
Ende der 70er Jahre verschwand nach und nach der Bleisatz aus den Druckereien und wurde durch rechnergesteuerte Systeme ersetzt. Glaubte man da noch, dass der Strukturwandel fürs Erste bewältigt war?
Es gab schon damals Leute, die voraussahen, dass dies erst der Anfang eines tief greifenden Umbruchs war. Heute, 30 Jahre später, ist die Digitalisierung der Branche weitgehend abgeschlossen. Die komplette Herstellung läuft jetzt auf Basis digitaler Daten. Print ist heute nur noch eine alternative Ausgabeform der Mediendaten.
Die Digitalisierung hat enorme Rationalisierungspotenziale freigesetzt. Was unterscheidet die Druckindustrie dabei von anderen Branchen?
Die Entwicklung in der Druckindustrie ist gekennzeichnet durch stagnierende, oft sinkende Auftragsvolumen. Es fehlt an Gestaltungskraft. Die Branche ist derzeit nicht in der Lage, auch nur in Ansätzen eine Strategie zu entwerfen, wie man mit dieser prekären Situation umgehen könnte.
Was passiert stattdessen?
Jedes Unternehmen versucht für sich allein, dieses Problem zu bewältigen. In ihrem verzweifelten Kampf ums Überleben haben sich die Unternehmen auf einen gnadenlosen und ruinösen Preiswettbewerb eingelassen.
Ein Wettbewerb, dessen Leidtragende vermutlich die Belegschaften sind.
Natürlich. Allein in den letzten 15 Jahren ist die Beschäftigtenzahl in den Druckereien um mehr als ein Drittel gesunken. Die Arbeitgeber beschreiten alle Wege, die man sich nur vorstellen kann, um Lohnkosten zu senken. Die Druckindustrie hat sich zu einer Art Experimentierfeld entwickelt, wie sich Tarifverträge umgehen und unterlaufen lassen. Eine relativ geregelte Welt mit einem hohen Niveau an Tarifschutz zerbricht Stück für Stück – und zwar in einem chaotischen Prozess.
In den Diskussionen über Industrie 4.0 ist häufig die Rede von der „digitalen Dividende“, die durch den Produktivitätsgewinn anfällt. Wo ist die denn im Fall der Druckereien gelandet?
Die wurde überhaupt nie geschöpft beziehungsweise in diesem brutalen Preis- und Verdrängungswettbewerb vollständig vernichtet.
Was unternimmt ver.di, um den Prozess der Arbeitsplatz- und Betriebsvernichtung zumindest zu bremsen?
Wir haben durch Arbeitszeitverkürzung vielerorts den Arbeitsplatzabbau zumindest abfedern können. In einigen Fällen sind wir bis an die Schwelle von 30 Stunden gegangen, teilweise ohne Lohnausgleich. Ganz wesentlich für uns ist es, dem gegenwärtigen Prozess der Abwertung von Arbeit Einhalt zu gebieten. Wir müssen wieder zu nicht unterschreitbaren, allgemeinverbindlichen Mindeststandards für Arbeitsbedingungen kommen. Dazu laufen derzeit Gespräche mit den Arbeitgebern.
Mit welchen Aussichten?
Die Gespräche gestalten sich sehr schwierig. Wenn eine Branche sich einmal in einer chaotisch verlaufenden Abwärtsbewegung befindet, wird es auch für eine Gewerkschaft ganz schwer, noch gestaltend Einfluss zu nehmen. Es droht eine endlose Kette von Abwehrkämpfen.