zurück
Betriebsräte André Bahn (l.) und Stefan Böck des Kalibergbauunternehmens K+S Magazin Mitbestimmung

Betriebsrätepreis: Sauberes Salz

Ausgabe 05/2023

Das Bergbauunternehmen K+S betreibt seine Kalibergwerke an der Werra langfristig weiter – weil der Betriebsrat Wege aufgezeigt hat, wie die Produktion profitabler und weniger umweltschädlich gemacht werden kann. Von Joachim F. Tornau

Wer im hessisch-thüringischen Kalirevier an der Werra von Transformation spricht, löst üblicherweise wenig Begeisterung aus. „Das Thema“, sagt Stefan Böck, „ruft bei vielen Menschen Ängste hervor.“ Transformation in der Kaliindustrie, das hätten sie schon einmal erlebt, nach der Wende. Acht der neun DDR-Kalibergwerke wurden damals geschlossen, der Hungerstreik der Kumpel von Bischofferode hat sich tief ins kulturelle Gedächtnis eingebrannt. Heute gibt es im hessisch-thüringischen Grenzgebiet noch drei Förderstätten, an denen rund 4500 Beschäftigte des Kasseler Bergbauunternehmens K+S Rohsalz aus der Erde holen und verarbeiten. Doch auch über diesem „Verbundwerk Werra“ schwebte in den vergangenen Jahren immer wieder das Gespenst einer teilweisen oder gar vollständigen Schließung.

„Es gab so viele Restrukturierungskonzepte, dass ich die Namen und Kürzel schon gar nicht mehr alle zusammenkriege“, sagt André Bahn. Der 54-Jährige ist Betriebsratsvorsitzender im Verbundwerk Werra. Stefan Böck, 48 Jahre alt, fungiert offiziell als sein Vize, aber eigentlich sehen sich die beiden Männer eher als eine Art Doppelspitze – auch und gerade, wenn es um das Projekt geht, mit dem ihr 29-köpfiges Gremium für den Deutschen Betriebsräte-Preis 2023 nominiert wurde, der im Rahmen des Deutschen BetriebsräteTags im November in Bonn verliehen wird: Der Betriebsrat hat maßgeblich dazu beigetragen, dass im Kalirevier an der Werra nicht mehr von Restrukturierung und Schließung die Rede ist, sondern von Transformation. Und dieses gefürchtete Wort jetzt einen positiven Klang bekommen hat.

Es war im Frühjahr 2021, K+S hatte sich von einer Unternehmensberatung gerade die Halbierung der Kaliförderung an der Werra empfehlen lassen, da beschloss der Betriebsrat: So darf es nicht weitergehen. „Jedes Jahr hat wieder alles gewackelt und zur Verunsicherung der Belegschaft geführt“, erzählt Böck. „Also haben wir uns ausgeklinkt und selbst ein Konzept zur Zukunftssicherung entwickelt. Schließlich wissen wir als Bergleute ja am besten, was geht.“ In nur wenigen Wochen erarbeitete der Betriebsrat ein Paket von 39 Maßnahmen, die die Kaliförderung im Werk Werra effizienter und nachhaltiger machen sollen.

Transformation ruft bei vielen Menschen Ängste hervor.“

Stefan Böck, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender K+S

Die Ideen reichten von einer neuen Abbautechnik, mit der die Ausbeute deutlich erhöht werden kann, indem Salz auch aus den stehen bleibenden Stützpfeilern unter Tage gewonnen wird, bis zu verschiedenen Lösungsansätzen für das größte und teuerste Problem des Kalibergbaus: die Umweltbelastung durch salzhaltiges Abwasser. Viele Hundert Millionen Euro hat K+S schon investiert, um die bei der Salzaufbereitung und an den riesigen Abraumhalden entstehenden Abwässer zu verringern, doch Naturschutzverbände beklagen nach wie vor eine zu große Belastung. Der Betriebsrat schlug deshalb beispielsweise vor, verstärkt auf ein elektrostatisches Aufbereitungsverfahren zu setzen, bei dem kein Abwasser anfällt. Und um das Haldenwachstum zu begrenzen, könnten feste Produktionsrückstände in Hohlräume unter Tage gebracht werden.

Mit dem fertigen Konzept, aufbereitet als „Management Summary“, bei dem jede einzelne Maßnahme mit Problembeschreibung, Lösung und erwarteten Effekten in wenigen Sätzen beschrieben wurde, gingen die beiden IGBCE-Mitglieder dann direkt zum Unternehmensvorstand. Und der war so angetan, dass er die Ideen des Betriebsrats zur Grundlage für ein „Transformationsprojekt Werra 2060“ machte. Ein Jahr lang tagten Führungskräfte und Fachleute des Unternehmens mit Betriebsratsmitgliedern und externen Sachverständigen in Arbeitsgruppen und Workshops. André Bahn und sein Vize Stefan Böck gehörten dem Lenkungskreis an.

„Das war wichtig“, bilanziert der Betriebsratsvorsitzende. „Ich weiß nicht, ob es das Projekt sonst geschafft hätte.“ Ausführlich wurde geprüft, gerechnet, diskutiert. Am Ende stand fest: Das Werk Werra ist bis 2060 gesichert. Und das Bergwerk in Unterbreizbach, das ursprünglich in rund zehn Jahren aufgegeben werden sollte, bleibt bis 2040 erhalten. Kein einziger Vorschlag, den die Arbeitnehmervertretung gemacht hatte, fiel durch. „Der Arbeitgeber hat selbst noch weitere Ideen eingebracht“, sagt Bahn. „Aber alle großen Maßnahmen stammen aus dem Konzept des Betriebsrats.“

K+S lobt sich für „Werra 2060“ in den höchsten Tönen. Von gestärkter Wettbewerbsfähigkeit ist die Rede, von gesicherten Arbeitsplätzen, von verringerten Umweltauswirkungen. „Das verdeutlicht unseren eigenen Anspruch, Vorreiter für nachhaltigen Bergbau zu sein“, ließ sich Vorstandsvorsitzender Burkhard Lohr zitieren. Sowohl feste Rückstände als auch Prozessabwässer würden durch die beschlossenen Maßnahmen mehr als halbiert, die CO2-Emissionen um fast ein Viertel gesenkt. Zugleich, so prognostiziert das Unternehmen, werden die Produktionsmengen bis 2060 um insgesamt zehn Millionen Tonnen steigen. Und schon in weniger als zehn Jahren sollen sich die 600 Millionen Euro, die man dafür investieren müsse, amortisiert haben.

Die wesentliche Rolle, die der Betriebsrat bei diesem Erfolg gespielt hat, kommt in den offiziellen Verlautbarungen nicht vor. André Bahn und Stefan Böck nehmen es gelassen. Das Ergebnis zählt. „Man merkt schon, dass jetzt Ruhe  reinkommt in die Belegschaft“, sagt der Betriebsratsvorsitzende. Und vielleicht sorgt die Erfahrung mit dieser mitbestimmten Transformation dafür, dass im hessisch-thüringischen Kalirevier auch künftig mit weniger Sorge auf nötige Umbrüche und Veränderungen geschaut wird.


Die börsennotierte K+S AG mit weltweit rund 11 000 Beschäftigten ist einer der international führenden Hersteller von kali- und magnesiumhaltigen Produkten für Landwirtschaft und Industrie. Größter Standort ist das Verbundwerk Werra mit den Kalibergwerken in Philippsthal und Heringen (Hessen) sowie Unterbreizbach (Thüringen). Es sind die letzten Untertagebergwerke in Deutschland; das Abbaugebiet erstreckt sich über eine Fläche so groß wie die Stadt München einschließlich Vororten.

Mehr zum Betriebsräte-Preis 2023:

Der Deutsche Betriebsräte-Preis wird am 9. November im Rahmen des Deutschen Betriebsrätetags in Bonn verliehen. Von 76 Bewerbungen wurden zwölf ­Projekte nominiert, einer der Nominierten ist der Betriebsrat von K+S, der in diesem Jahr die Auszeichnung in Bronze erhält.

Mehr über die nominierten Projekte auf der Seite des I.M.U. zum Deutschen Betriebsrätetag 2023 

Das Institut für Mitbestimmung und Unternehmensführung der Hans-Böckler-Stiftung bietet ein Archiv mit zahlreichen Betriebsvereinbarungen.

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrem Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen