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Magazin Mitbestimmung

: Rüstzeug für den Globalisierungsprozess

Ausgabe 06/2010

GLOBAL LABOUR UNIVERSITY Sie bildet Studenten in vier Kontinenten aus und vermittelt gewerkschaftliches Wissen. Fünf Jahre nach dem Start kämpft die GLU mit einigen Hürden. Von Guntram Doelfs

GUNTRAM DOELFS ist Journalist in Berlin/Foto: Rolf Schulten

Es ist ein lauer Dienstagvormittag im April, wir sind im Seminarraum 83 der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht. Die Jalousien sind heruntergelassen, der Beamer wirft noch immer ein fahles Licht auf die Leinwand. Rund 30 Studierende sitzen in einem Halbrund und lauschen. Alles sieht nach Alltag an einer deutschen Uni aus, aber der Schein trügt. Denn in den Reihen sitzen Studenten aus aller Welt. Sie kommen aus Ländern wie China, Kolumbien, Indien, Simbabwe, der Türkei, Brasilien oder den USA - und nahezu alle sind Gewerkschafter.

Vorne am Tisch vor der Leinwand steht ILO-Experte Frank Hoffer: Soeben hat er in Englisch über Mindestlöhne referiert und die Finanzkrise kritisch beleuchtet. Nun ist die Fragerunde eröffnet. Andrews Tagoe, ein Student aus Ghana, meldet sich und fragt Hoffer: "Was können wir als Afrikaner aus einem Entwicklungsland als praktische Anleitung aus Ihren Ausführungen mitnehmen?"

Die Frage bringt den Mann von der ILO nicht in Verlegenheit. Seit Hoffer vor sechs Jahren die Betreuung für ein weltweit einzigartiges Studienprogramm übernahm, müssen er und seine Dozentenkollegen immer wieder Missverständnisse über die Arbeit der Global Labour University aus dem Weg räumen. Hoffer rückt sich im Stuhl zurecht und antwortet: "Das weiß ich jetzt auch nicht." Dann erklärt er Tagoe, dass es in diesem Seminar darum geht, eine wirtschaftlich komplexe Thematik auf globaler Ebene zu verstehen. Doch Gewerkschafter Tagoe von der ghanaischen Landarbeitergewerkschaft erwartet Antworten auf afrikanische Probleme, auf seine Probleme. Hoffer aber will globale Zusammenhänge vermitteln.

GLOBALE ANTWORTEN_ Es ist ein Missverständnis, das die Global Labour University (GLU) seit ihrer Gründung im Jahr 2004 begleitet. Wohl auch deswegen, weil das von der ILO, dem deutschen Entwicklungsministerium, der Hans-Böckler-Stiftung und der Friedrich-Ebert-Stiftung unterstützte Projekt neue Wege einschlägt. Und dabei trotz einiger Startprobleme recht erfolgreich ist. Ausgangspunkt für die Idee einer Global Labour University war die Erkenntnis, dass die Gewerkschaften für eine kritische Debatte des Globalisierungsprozesses schlecht gerüstet sind. Während Manager längst transnational denken und vernetzt sind, seien "die Antworten der Lohnabhängigen und ihrer Interessenvertreter auf diese globalen Zumutungen noch sehr vom nationalstaatlichen Denken geprägt", schreibt Christoph Scherrer, Professor an der Uni Kassel und einer der Dozenten, in einem gerade erschienenen Aufsatz über die GLU. Zudem ist in der traditionellen Wirtschaftswissenschaft die gewerkschaftliche Sicht der Dinge kaum vertreten, dort dominieren neoliberale Positionen.

So entstand die Idee eines wissenschaftlichen Ausbildungsprogrammes für aktive Gewerkschafter aus aller Welt. Bei der Entwicklung des Lehrplanes wurden Universitäten und Gewerkschaften aus den Ländern des Südens von vornherein mit eingebunden, damit dort "eigene Programme aufgebaut werden konnten", erzählt Frank Hoffer. Wichtig sei gewesen, "dass es von Anfang an zu einem globalen Dialog kommt und nicht zu einem Nord-Süd-Wissenstransfer".

Kern der Aktivitäten der GLU sind einjährige Masterprogramme an verschiedenen Standorten auf vier Kontinenten. Diese sind vom Lehrplan regional unterschiedlich ausgerichtet, laufen aber unter einem gemeinsamen Dach mit vielen Austauschmöglichkeiten. In Deutschland bietet der Studiengang "Labour Policies and Globalization" an der Universität Kassel und der Berliner Fachhochschule für Wirtschaft und Recht seit 2004 einen Schwerpunkt für Makroökonomie und theoretische Ansätze zur Globalisierung. Die Partneruniversitäten, die ihre Masterstudiengänge zwischen 2007 und 2008 aufnahmen, haben andere Schwerpunkte: In Johannesburg, Südafrika, liegt der Fokus auf "Labour and Development" , während sich Sao Paulo, Brasilien, mit der Rolle multinationaler Konzerne in der Globalisierung beschäftigt und Mumbai, Indien, zur informellen Beschäftigung in der Weltwirtschaft forscht.

Rund fünf Jahre nach dem Start haben inzwischen rund 120 junge Gewerkschafter aus 45 Ländern erfolgreich die Masterstudiengänge der GLU absolviert. Langsam konsolidiert sich das anspruchsvolle Projekt, bildet sich ein erstes, zartes Netzwerk unter den Absolventen (Alumni) heraus, die inzwischen etwa in den internationalen Abteilungen ihrer Gewerkschaften oder bei der ILO arbeiten. Eine große Mehrheit bleibt auch nach dem Studium der Gewerkschaftsbewegung treu. In einer vom Lenkungsausschuss der GLU 2009 organisierten Befragung der Alumni gaben 80 Prozent an, weiter in der Arbeiterbewegung tätig zu sein.

HERKULESAUFGABEN_ Wesentlich für den Erfolg ist die hohe Qualität. In Deutschland könne das Masterprogramm qualitativ "mit allen Masterprogrammen konkurrieren", sagt Hansjoerg Herr, Berliner Leiter des Studiengangs "Labour Policies and Globalization". Das Programm sei zertifiziert und entspreche den Qualitätsanforderungen einer deutschen Universität. Studierenden werden zudem laut Hoffer die Leistungen an den Partneruniversitäten anerkannt. Trotz dieser Erfolge kämpft die GLU weiter mit Problemen. So ist der Organisationsaufwand für das beteiligte Lehrpersonal immens. Nicht nur, weil fortwährend der Lehrplan international abgestimmt und koordiniert werden muss, sondern auch weil die Auswahl der Studierenden im Gegensatz zu normalen Masterprogrammen eine logistische Herkulesaufgabe ist. Es gilt, möglichst aktive Gewerkschafter in die Studienprogramme zu locken, die "aber inhaltlich und akademisch geeignet sein müssen", erläutert Herr.

Gleichzeitig bleibt der Auswahlprozess schwierig, weil die Informationen über das GLU-Programm "nicht wirklich die Gewerkschaften erreichen", wie der Report der Lenkungskommission vom September 2009 vermerkt. Und selbst wenn sie sie erreichen, gibt es Hemmnisse. Denn auch deutsche Gewerkschaften lassen ungern hauptamtliche Mitarbeiter für ein ganzes Jahr ziehen. Ferner ist das Studium für Hauptamtliche mit erheblichen Einkommensverlusten verbunden und, je nach Herkunftsland, mit teilweise erheblichen Problemen bei der Reintegration in den Job. Ein neues, dreimonatiges Programm namens "Exchange" soll Abhilfe schaffen. "Wir müssen auch ein Angebot für die Leute haben, die nur eine kurze Zeit ‚rauskönnen‘, aber das gleiche Interesse haben, ein besseres Verständnis einer globalisierten Ökonomie zu bekommen", sagt Frank Hoffer.

Besonders in Südamerika kämpft die GLU derzeit mit Sprachproblemen, weil in Brasilien wenige Englisch sprechen. Und Englisch aber die Unterrichtssprache der
GLU ist. Und auch wenn es mit der Sprache klappt, kommt es regelmäßig zu Missverständnissen wie jenem mit Andrews Tagoe, weil viele Studierende vor allem Lösungen erwarten für die konkreten Probleme ihrer Heimatländer und zunächst über spezielle Zusatzworkshops an übergeordnete, theoretische Debatten herangeführt werden müssen.

Dennoch: Das Programm ist trotz aller Schwierigkeiten ein Erfolg, wie auch die Studierenden bestätigen. "Es gibt uns nicht nur die Möglichkeit, uns auszutauschen, sondern auch die Lücke zwischen Theorie und Praxis zu schließen", sagt Denis Oshima Roberto aus Brasilien. "Das Programm trainiert uns, damit wir als Gewerkschafter stärker die gesellschaftliche Diskussion über die Arbeitsverhältnisse mitbestimmen", meint Indah Budiarti aus Indonesien. Alle nicken, als Zeynep Ekin Aklar aus der Türkei verspricht, man werde untereinander in Kontakt bleiben und ein Netzwerk aufbauen.

 

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