Quelle: HBS
Magazin Mitbestimmung: Rot gegen Rot
WAHLKAMPF Zwei Gewerkschafter konkurrieren in Mannheim um Wählerstimmen für den Bundestag. Der eine für die SPD, der andere für die Linkspartei.
Von CHRISTOPH MULITZE, Journalist in Düsseldorf, und KAY MEINERS, Redakteur des Magazins Mitbestimmung/Foto: Wolfgang Roloff
Fabrikanlagen, ehrwürdige Bürgerhäuser und Hochhäuser säumen die Ufer von Neckar und Rhein. Mannheim ist eine alte Industriestadt - das erste Fahrrad, das erste Auto und der erste Duden kamen von hier. Der Kurpfälzer Dialekt, der den Namen der Stadt zu "Mannem" verschleift, zeigt dem Besucher, dass er sich in Baden-Württemberg befindet. Typisch Musterländle - wäre da nicht die Politik. Denn eigentlich ist dieses Land konservativ. Mannheim aber ist die einzige rote Hochburg. Ein Jahr bevor die Bundesrepublik geboren war, 1948, wurde hier der CDU-Bürgermeister abgelöst. Alle Nachfolger kamen von der SPD oder waren parteilos. Auch Direktmandate für den Bundestag konnte die SPD hier einheimsen - eine Rarität im Süden.
Doch jetzt ist die Welt komplizierter geworden. Rot ist nicht mehr Rot. Nicht nur die SPD und die Grünen kandidieren für den Bundestag, sondern auch die Linkspartei. Für die einen ist sie Schröders Racheengel, gerechte Strafe für seine Agenda 2010, für die anderen eine Altlast, in der die Überreste der alten SED und der radikalen Westlinken noch einmal aufgebrüht werden. Die Linke ist uneinig, und der Riss geht mitten durch die Gewerkschaften. Das alles ist mit großen Emotionen verbunden. In Mannheim haben diese Konfliktlinien, diese Gefühle jetzt wieder Namen. Michael Schlecht heißt die Wut auf die Agenda und Hartz, Stefan Rebmann heißt die Wut auf jene, die die Welt mit Maximalforderungen verbessern wollen. Rebmann, IG-Metall-Mitglied und Vorsitzender der DGB-Region Rhein-Neckar, tritt am 27. September für die SPD an, Michael Schlecht, Chefvolkswirt beim ver.di-Bundesvorstand, für die Linkspartei. Und beide gegeneinander.
DER MANN, DER DAS DIREKTMANDAT HOLEN SOLL_ Stefan Rebmann, Jahrgang 1962, ist der Mann, den die SPD in Mannheim ins Rennen schickt. Der gebürtige Heidelberger, der bei der BASF in Ludwigshafen eine Ausbildung zum Energieanlagenelektroniker absolvierte, ist seit 1991 hauptamtlicher Gewerkschafter. Er sagt, dass er die Zusammenführung von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe richtig findet. Aber, so sagt er, man lande zu schnell in Hartz IV. Und man dürfe nicht unter den Teppich kehren, dass es 20 Prozent der Hartz-IV-Bezieher schlechter gehe als vor der Reform. Auch gegen die Rente mit 67 will er kämpfen, die seine Partei mit durchgesetzt hat. Derzeit kommt er locker auf zehn Termine an einem normalen Samstag - Stadtfeste, Vereinsfeste, Infostände. "Das ist Wahlkampf", sagt er - und er weiß, was die Mitstreiter von der Arbeiterwohlfahrt, bei den Naturfreunden und der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung jetzt von ihm erwarten. Dort überall ist er engagiert.
Um 11 Uhr an diesem Samstag besucht er rund um den Mannheimer Marktplatz Geschäfte türkischer Einwanderer. In einem Friseurladen trifft er auf Sibel Yildiz-Bulut. Die Frau, die als kleines Mädchen vor 36 Jahren mit ihren Eltern nach Deutschland kam, hat ein Problem. Sie möchte für ihr Geschäft zwei Mitarbeiterinnen aus der Türkei nach Deutschland holen: "Sie sind so gut und schnell, und sie beherrschen eine Schnitttechnik, die hier niemand kann." Rebmann sagt: "Ausländerrechtlich geht das nicht. Es wäre unredlich, wenn ich Ihnen was verspreche, nur damit Sie mich wählen. Es sei denn, die beiden Frauen kommen, um Ihre Mitarbeiterinnen zu schulen, damit sie diese Technik auch erlernen. Das können wir versuchen." Die beiden tauschen Visitenkarten aus. So etwas muss anstrengend sein. Diese Art der Kommunikation kann man schlecht lernen. "Man muss ein natürliches Interesse an den Menschen haben", sagt Rebmann, "wenn das fehlt, fällt das im Gespräch schnell auf."
Dass Rebmann nun an strategisch wichtiger Stelle für den Bundestag kandidiert, war so gar nicht geplant. Eigentlich sollte der langjährige SPD-Parlamentarier Lothar Mark noch einmal alles richten. Doch der wollte nicht mehr. Da wurde Rebmann gefragt. Längst in Schwetzingen nominiert, wo er auch dem SPD-Ortsverein vorsteht, erreichte ihn der Hilferuf: Mark trete nicht mehr an. Ob er sich vorstellen könnte, zu übernehmen. Für die SPD wäre seine Kandidatur ein Signal in die Betriebe. Fast gleichzeitig drang die Anfrage an die Öffentlichkeit. "Da konnte ich gar nicht mehr anders als zusagen." Es könnte ein Karriereschritt sein. Bei den Bundestagswahlen 2005 war die Welt in der Quadratestadt noch in Ordnung. Die SPD holte 45,9 Prozent, die Linkspartei magere 6,3 Prozent. Doch jetzt dümpelt die Volkspartei in bundesweiten Umfragen um die 24 Prozent dahin. Rebmann weiß, dass seine Partei es dieses Mal schwerer hat. Er spricht vom Frust, gegen den SPD-Umfragetrend auf Bundesebene Wahlkampf zu führen. "Das ist schwer", gibt er zu. "Du kannst dich als Kandidat abstrampeln. Wenn aber einer aus der Führung einen Klopper raushaut, bist du machtlos."
Der SPD-Mann sieht in dem innergewerkschaftlichen Duell aber auch ein Zeichen. "Die Politik hat endlich begriffen, dass sie Gewerkschaften einbinden und Arbeitnehmerinteressen ernst nehmen muss", sagt er. Am Ende könnte es darauf hinauslaufen, dass beide in den Bundestag einziehen - er und sein Kontrahent Schlecht. Die Chancen stehen nicht ungünstig. Rebmann belegt auf der SPD-Landesliste Platz 17. "Schon um die 24 Prozent der Zweitstimmen auf Landesebene würden reichen", hat er ausgerechnet. Vor vier Jahren schickten die Baden-Württemberger Sozialdemokraten 23 Abgeordnete nach Berlin. Seinen Arbeitsplatz bei der Gewerkschaft will er dann zu einem Viertel behalten.
Rebmann wirkt umgänglich, aber auch angespannt. In der Industrie- und Universitätsstadt Mannheim geht es um viel für die SPD. Um das Direktmandat zu sichern und ein möglichst gutes Ergebnis einzufahren, hilft die gesamte Parteispitze mit. Steinmeier und Steinbrück kommen, auch Nahles und Müntefering. Rebmanns schwarzer Opel Zafira besorgt den Rest. "Ihr Mann für Mannheim" steht dort. Sein Name und sein Konterfei sollen sich bei den Bürgern einprägen. "Du musst dich davon verabschieden, im Wahlkampf jeden erreichen zu wollen", sagt er. "Du kommst mit höchstens zwei Prozent der Wähler direkt in Kontakt. Die müssen dann was Positives weitererzählen."
ZWEITSTIMMEN-SAMMLER FÜR DIE LINKSPARTEI_ Michael Schlecht, Jahrgang 1951, steht am Wahlstand der Linkspartei. Es ist Stadtteilfest in Herzogenried, einem Mannheimer Vorort. Auch Schlecht, gelernter Drucker und studierter Volkswirt, hat eine SPD-Vergangenheit. Aber eine schwierige. Zwei Mal ist er ein- und wieder ausgetreten. Das letzte Mal wegen Hartz IV. In den 70ern sympathisierte er eine Weile mit der Sozialistischen Einheitspartei Westberlins (SEW), einer von Ost-Berlin gesponserten Polit-Sekte, war aber dann doch zu undogmatisch, um beizutreten. Die Idee von der Diktatur des Proletariats, das Avantgardeverständnis der Partei, die "Nichtöffnung der SEW für die eurokommunistische Debatte", so sein Internet-Auftritt, waren ausschlaggebend für den Bruch.
Den SPD-Kanzlerkandidaten Steinmeier bezeichnet er auf seiner Webseite als "Architekten des Programms zur Verarmung und des Lohndumpings". ver.di-Chefvolkswirt Schlecht hat die Gründung der WASG unterstützt, trat 2005 in die Partei ein und ist heute gewerkschaftspolitischer Sprecher im Parteivorstand der Linken. "Viele Gewerkschafter in der SPD haben ihre Herkunft vergessen", sagt der 58-Jährige, und man spürt, dass er in dieser Partei keine Heimat mehr hat. Aber einen Wunsch. "Wir müssen linke Politik im Parlament stärken", sagt er - das heißt: Man muss Druck auf die SPD ausüben. Immer wieder spricht er von den "politischen Rahmenbedingungen", die sich verschlechtert hätten, von der Beschneidung des Sozialstaates und der Tarifpolitik.
Auf seiner Internetseite steht in weißen Lettern auf rotem Grund: "Millionärssteuer statt Erhöhung der Mehrwertsteuer!" Sein Thema, sagt er, seien "Arbeitsplätze". Die Linkspartei fordert die Rücknahme der Hartz-Reformen, ein Zukunftsprogramm von 100 Milliarden Euro im Jahr und zwei Millionen Arbeitsplätze - im öffentlichen Dienst und durch mehr Aufträge des Staates auch in der Privatwirtschaft. Ob er das wirtschaftspolitische Programm seiner Partei realistisch findet? "Es ist in jedem Fall ein Konzept gegen die Krise, wie es im Wesentlichen auch von meiner Gewerkschaft vertreten wird", sagt er dann. Und die kommunistische Plattform? Das, so erklärt er, ist ein Name, der falsche Assoziationen auslöst. Die Arbeitsgemeinschaft spiele parteiintern keine Rolle. "Im Übrigen werden meine aus der Gewerkschaftsarbeit entwickelten wirtschaftspolitischen Vorstellungen von Genossinnen wie Sarah Wagenknecht geteilt."
Schlecht ist ein Überzeugungstäter, aber er weiß, dass er gegen die SPD im direkten Rennen keine Chance hat. Das kann auch umgänglich machen. Er glaubt, das Richtige zu tun, muss sich aber persönlich nichts mehr beweisen. Ein unbeabsichtigtes Ergebnis seines Engagements könnte sein, dass er dem SPD-Kandidaten Rebmann so viele Erststimmen abjagt, dass CDU-Kandidat Egon Jüttner als lachender Dritter in den Bundestag einzieht. Das will auch Schlecht nicht. Er führt daher einen Zweitstimmen-Wahlkampf in ganz Baden-Württemberg. Er tritt weniger an, um Rebmann zu verhindern, sondern für eine starke Linkspartei im Bundestag.
So, glaubt er, könne man die SPD zu einer Kurskorrektur zwingen. Er hat es auf den vierten Platz der Landesliste geschafft - hinter den drei amtierenden Abgeordneten der Partei aus dem Südwesten. Er braucht mehr als fünf Prozent der Zweitstimmen. "Es kann eng werden", sagt er. Umso wichtiger ist es ihm, die Zielgruppe zu mobilisieren, von der er sich am meisten Unterstützung erhofft: "Ich werde im Wahlkampf vor allem die Gewerkschafter ansprechen und ihnen klarmachen: Wenn ihr wollt, dass jemand wie ich in den Bundestag kommt, müsst ihr was tun."
EINE KURZE BEGEGNUNG_ Jetzt, es ist der zweite von elf Terminen heute, kommt auch Rebmann in Herzogenried an. Er holt sich einen Wurstsalat und ein Brötchen, setzt sich direkt vor den SPD-Stand. Was ihn von Schlecht unterscheidet? "Ich will eine Schritt-für-Schritt-Politik, eine Politik, die Kompromisse sucht. Damit erreicht man mehr, als wenn man immer Maximalforderungen stellt und damit gar nicht in die Situation kommt, mitzuverhandeln."
Dann, sei es geplant, sei es spontan, geht er zum Stand der Linkspartei, wo sein Kontrahent im Shirt mit Sakko und Cordhose ebenfalls auf Neugierige wartet. "Grüß dich", sagt Rebmann. Das gewerkschaftliche Du. "Du hast es gut, so locker rumlaufen zu können!", schiebt er nach. Schlecht lacht. Mehr reden sie nicht heute. Kurze Zeit später, Rebmann ist auf dem nächsten Termin, steht der ver.di-Mann Schlecht wieder an den Biertischen, verteilt Flyer, versucht, Gespräche anzubahnen. "Darf ich Ihnen was geben, auch wenn da Linkspartei draufsteht?" Die Leute schicken ihn nicht weg, sondern diskutieren mit ihm, stimmen ihm zu. "Jetzt höre ich aber auf", sagt er, "sonst gewinne ich am Ende noch den Wahlkreis."
Mehr Informationen
Der Internetauftritt von Stefan Rebmann (SPD)
http://www.stefan-rebmann.de/
Der Internetauftritt von Michael Schlecht (Linkspartei)
http://www.michael-schlecht.net/
Gewerkschaften
Wer kandidiert noch?
Die SPD nennt 26 Namen, wenn man nach der Zahl der hauptamtlichen Gewerkschafter auf ihren Kandidatenlisten fragt. Der ehemalige ÖTV-Gewerkschaftssekretär Klaus Barthel, der langjährige Erste Bevollmächtigte der IG Metall Gütersloh und derzeitige Staatssekretär im Arbeitsministerium Klaus Brandner, der Ex-Geschäftsführer der IG Chemie-Papier-Keramik in Hamburg, Franz Thönnes, und Karin Roth, ehemalige Referentin beim IG-Metall-Vorstand und Vorsitzende des DGB-Landesbezirks Nordmark, sitzen bereits im Parlament und kandidieren erneut. Weitere bekannte Gesichter wollen erstmals den Sprung ins Parlament schaffen - ob es allen gelingt, ist fraglich. Nicht jede Kandidatur gilt als aussichtsreich.
Der Erste Bevollmächtigte der IG Metall Nordhessen, Ulrich Meßmer, tritt in der hessischen SPD-Hochburg Waldeck an. Der nordrhein-westfälische DGB-Vorsitzende Guntram Schneider kandidiert in Bielefeld. "Ich will meinen Wahlkreis direkt gewinnen. Andernfalls habe ich es nicht verdient, ins Parlament zu kommen", sagt er. Für die Landesliste hat er sich nicht aufstellen lassen: "Gürtel und Hosenträger - von dieser doppelten Absicherung halte ich nichts." Er übernimmt den Wahlkreis, der fast traditionell an die SPD geht, von Rainer Wend, einem eher mittelstandsorientierten Sozialdemokraten. Sollte Schneider gewählt werden, will er sich vor allem um seinen Wahlkreis kümmern. Das heißt: Struktur- und Bildungspolitik für Bielefeld. Als weiteres Feld seiner Arbeit sieht er die Wirtschafts- und Energiepolitik: "Auch Gewerkschafter sollten wissen, dass erst erwirtschaftet werden muss, was dann verteilt werden kann."
Anne Jenter, Mitglied im GEW-Vorstand, kandidiert im CDU-dominierten Ravensburg. Thüringens DGB-Landesvorsitzender Steffen-Claudio Lemme will den Kyffhäuserkreis für die Sozialdemokraten gewinnen, nachdem es bei der letzten Wahl sehr eng gewesen war zwischen SPD, Linkspartei und der am Ende siegreichen CDU. Die ehemalige DGB-Vize-Vorsitzende Ursula Engelen-Kefer will im Wahlkreis 217 (Ingolstadt, Eichstätt, Neuburg-Schrobenhausen) der CSU Prozentpunkte abjagen. Dort hatte Unionskandidat Horst Seehofer bei der vergangenen Wahl 65,9 Prozent der Erststimmen geholt. Der Leiter der Grundsatzabteilung beim DGB-Bundesvorstand, Hans-Joachim Schabedoth, will versuchen, der CDU den Erbhof Hochtaunuskreis abzuluchsen. "An Programmen mitgearbeitet habe ich oft. Nun möchte ich die Programme auch mal mit umsetzen", sagt der 57-Jährige, der schon vor 20 Jahren in Vaterschaftsurlaub ging und mit Freunden einen Kinderladen gründete. Auch er sieht sich in Berlin eher als Wirtschafts- denn als Sozialpolitiker - sofern es am Ende über Platz 15 der Landesliste der hessischen SPD für den Einzug ins Parlament reicht.
Die Linkspartei nennt nur fünf hauptamtliche Gewerkschafter als Kandidaten, doch schränkt ihre Sprecherin Alrun Nüßlein ein: "Nicht alle Landesverbände erfassen die Berufe der Listen- und Direktkandidaten. Ich vermute, dass die Liste unvollständig ist." Neben Michael Schlecht und Klaus Ernst, Erster Bevollmächtigter der IG Metall in Schweinfurt und in Bayern auf Listenplatz eins, wollen die ver.di-Gewerkschaftssekretäre aus Hamburg und Bremen, Mark Roach (Wahlkreis Hamburg-Bergedorf, Harburg) und Herbert Behrens (Niedersachsen Listenplatz sechs, Direktkandidat im Wahlkreis Rotenburg-Verden), die IG-Metall-Sekretärin Jutta Krellmann (Niedersachsen Listenplatz fünf, Direktkandidatin im Wahlkreis Hannover-Land) sowie Ralf Reinstädtler, Zweiter Bevollmächtigter der IG Metall Homburg-Saarpfalz (Wahlkreis Homburg) in den Bundestag.
Anfragen bei der Union und den Grünen, ob auf ihren Listen hauptamtliche Gewerkschafter kandidieren, brachten keine Ergebnisse. Auf eine Anfrage bei der FDP hat die Redaktion verzichtet.