zurück
Magazin Mitbestimmung

: Revolution in kleinen Schritten

Ausgabe 09/2008

AUTOBRANCHE Schärfere CO2-Grenzwerte und steigende Benzinpreise haben eine Rallye um alternative Antriebe ausgelöst. Auch die Betriebsräte wollen Veränderungen - vor allem aber wollen sie sichere Arbeitsplätze.

Von GUNTRAM DOELFS, Journalist in Berlin/Foto: Michael Gottschalk/ddp

Es hatte die Form eines Torpedos und einen eigentümlichen Namen. "La Jamais Contente" (zu Deutsch: die niemals Zufriedene) hieß das Gefährt, mit dem am 29. April 1899 der belgische Autokonstrukteur Camille Jenatzy eine Straße unweit von Paris entlangraste. Die denkwürdige Fahrt sollte in mehrfacher Hinsicht in die Automobilgeschichte eingehen. Zum einen wurde mit dem Torpedo auf vier Rädern erstmals die Geschwindigkeitsmarke von 100 Stundenkilometern durchbrochen.

Zum anderen steht "La Jamais Contente" für den letzten großen Triumph einer Technologie, ehe sie für mehr als 100 Jahre in der automobilen Versenkung verschwinden sollte. Jenatzys Gefährt war ein Elektroauto. Nur wenige Jahre später war der Kampf um den Automobilantrieb zugunsten des Verbrennungsmotors entschieden. Benzin war scheinbar unbegrenzt vorhanden, einfacher im Auto zu speichern und erlaubte größere Reichweiten.

Vor allem aber war es für viele Jahrzehnte unfassbar billig. Nun, 109 Jahre nach Jenatzys Rekordfahrt, feiert der totgesagte Elektroantrieb eine triumphale Wiederauferstehung. Getrieben von der Klimaschutzdebatte, immer schärferen CO2-Grenzwerten und rasant steigenden Ölpreisen ist weltweit ein Run auf alternative Antriebe ausgebrochen. "Die Zukunft gehört dem Elektroauto", urteilte unlängst VW-Chef Martin Winterkorn.

DIE DEUTSCHEN IGNORIERTEN DEN TREND_ Nur die deutsche Autoindustrie bekam den Trend offenbar nicht mit. Noch 2007 setzten Unternehmen wie Mercedes, Audi, BMW oder VW stark auf schwere und durstige Geländewagen oder Limousinen mit Verbrennungsmotor. Aus verständlichem Grund. Die großen Modelle ermöglichen deutlich größere Gewinnmargen, und in der konventionellen Motortechnik sind die deutschen Autobauer weltweit führend. Jahrelang wurde so prächtig Geld verdient, bis Mitte 2007 die Ölpreise wie eine Rakete in die Höhe schossen.

Bei Spritpreisen von 1,50 Euro pro Liter stehen die luxuriösen Spritschlucker nun wie Blei in den Verkaufsräumen, während im Juli der Verkauf des Kleinwagens Smart um 32 Prozent in die Höhe schoss. Die deutschen Hersteller hätten es unterlassen, rechtzeitig eine "zukunftsweisende Unternehmensstrategie umzusetzen und ihre Modellpolitik auf Effizienz und Spritspartechnik auszurichten", kritisiert Gerd Lottsiepen vom Verkehrsclub Deutschland (VCD).

Wie bei der Diskussion um die CO2-Grenzwerte geriet die Branche in die Defensive. Dass die deutschen Autobauer im Juni erfolgreich Bundeskanzlerin Angela Merkel vorschickten, um die von der EU-Kommission für 2012 geplante Einführung eines generellen CO2-Grenzwertes von 120?Gramm pro 100 Kilometer bis ins Jahr 2015 zu verzögern, feierte die Branche als Erfolg. Es brachte ihr von Umweltverbänden und Öko-Politikern aber auch den Vorwurf ein, sie würde einen wirksamen Klimaschutz blockieren und notwendigen Innovationen im Wege stehen.

"Wenn die deutsche Automobilindustrie die Klimaherausforderung nicht endlich angeht, folgt auf die ökologische Krise eine ökonomische", sagt Renate Künast von den Grünen voraus. Den Vorwurf der Innovationsfeindlichkeit handelten sich auch IG Metall und die Betriebsräte in der Branche ein, weil diese die Argumentation der Konzernchefs in der CO2-Debatte unterstützen. Das Argument: Größere Autos machen nun einmal mehr Dreck als kleine. Und gerade die größeren Autos sind die Spezialität der Deutschen.

Erich Klemm, Gesamtbetriebsratschef bei Daimler, weist die Vorwürfe als zu pauschal zurück. "Wir wissen, dass es einen Klimawandel gibt und man sich darauf einstellen muss." Aber die Frage sei, in welcher Geschwindigkeit die Automobilindustrie darauf reagieren könne: "Dass es keinen Verbrennungsmotor mehr gibt, mag ich mir im Moment noch nicht vorstellen."

Angesichts eines Entwicklungszyklus von sieben Jahren für ein Modell "sind die meisten Entscheidungen, die 2012 greifen, längst getroffen. Man hat kaum noch Chancen, darauf wirklich Einfluss zu nehmen", so Klemm. Auch Johannes Kirchgässner, Konzernbetriebsratschef beim Autozulieferer ZF, reagiert säuerlich. Solche Vorwürfe, sagt er, würden immer dann "rausgekramt und als Waffe benutzt, wenn Betriebsräte die Frage nach den Konsequenzen für die Arbeitsplätze stellen".

Gleichwohl wirft auch Erich Klemm dem eigenen Vorstand vor, "dass Entwicklungen nicht rechtzeitig vorangetrieben" wurden. Denn umweltfreundliche und sparsame Autos sind nicht länger ein Nischenmarkt, wie der Coup von Toyota mit dem ersten Großserien-Hybridfahrzeug Prius zeigt. Die deutschen Hersteller, die das Verkaufsdebakel von VW mit dem Lupo noch gut in Erinnerung hatten, belächelten die Japaner zunächst. Doch während der Drei-Liter-Kleinwagen aus Wolfsburg das richtige Auto zur falschen Zeit war, schätzte Toyota den Markt richtig ein. Zehn Jahre nach ihrem Einstieg in die Hybridtechnik und mehr als 1,5 Millionen verkaufte Prius später lächeln jetzt die Japaner.

Angesichts der aktuellen Krise in der Branche kann es sich kein Hersteller erlauben, bei der Rallye auf Elektroantriebe nicht dabei zu sein. "Am Ende werden nur die Automobilhersteller überleben, die nicht verharren, sondern versuchen, die Nase nach vorne zu kriegen und in die Zukunft zu investieren", glaubt Daimler-Betriebsratschef Klemm. Ein Umdenken ist aus ökologischer Sicht dringend nötig. Bis 2030 wird nach einer Studie der Bestand an Pkw weltweit von heute 900 Millionen auf 2,1 Milliarden wachsen.

HEKTISCHE SUCHE NACH ALTERNATIVEN_ Mit Hochdruck wird in den Forschungsabteilungen inzwischen an zahlreichen Alternativen zum Öl geforscht. Bio-Kraftstoffe, Hybridantriebe, Elektromotoren, Brennstoffzellen - die Bandbreite ist so groß wie die Unsicherheit, was sich letztendlich am Markt durchsetzen kann. "Für unser Unternehmen ist das im Moment ziemlich belastend, auch finanziell. Es werden sehr viele Entwicklungsvorhaben und -projekte aufgesetzt, von denen aber nur die wenigsten hinterher in irgendein Geschäft münden werden", befürchtet ZF-Betriebsrat Kirchgässner.

Zur Erinnerung: Noch vor Jahren wurden große Hoffnungen in die Brennstoffzelle gesetzt, deutsche Hersteller wie Mercedes pumpten Milliarden Euro in deren Entwicklung. Eine Großserienfertigung ist wegen der hohen Kosten weiter nicht in Sicht, auch wenn Daimler 2010 eine Kleinserie mit Brennstoffzelle herausbringen will. Oder die Welle der Begeisterung für Bio-Kraftstoffe. Nur wenige Jahre alt, ist sie angesichts der Debatte um explodierende Preise für Nahrungsmittel fast schon wieder verebbt.

Nun richten sich alle Hoffnungen auf die Elektroantriebe, befeuert von verheißungsvollen Prognosen. Eine aktuelle Studie der Unternehmensberatung Roland Berger rechnet für 2020 damit, dass jedes vierte neu zugelassene Fahrzeug ein Stromer sein wird. Beinahe wöchentlich überbieten sich die Hersteller mit Ankündigungen neuer Modelle. 2009 geht Mercedes mit einer S-Klasse mit Hybrid an den Start.

Auch bei reinen Elektroautos wächst das Angebot. 2009 will Mitsubishi 2009 mit dem i-Miev einen Elektro-Kleinwagen in Mini-Serie bringen. 2010 geht Daimler mit dem bislang in London getesteten Smart Electric Drive in Kleinserie an den Start. Besonderes Aufsehen erregt derzeit das Vorhaben von General Motors (GM), Ende 2010 mit dem Chevrolet Volt das erste Elektroauto in Großserienproduktion auf den Markt bringen.

Mit dem Hybridantrieb wird derzeit der erste große Evolutionsschritt vollzogen. Je nach Typ spart die Kombination aus Verbrennungsmotor und Elektroantrieb bis zu 40 Prozent und senkt den CO2-Ausstoß bei Norm-Tests deutlich unter die von der EU geforderte 120-Gramm-Schwelle. Doch moderne Dieselfahrzeuge verbrauchen ebenso wenig. Zudem kostet ein Hybridantrieb oft noch mehrere Tausend Euro Aufpreis.

LETZTE RETTUNG VOLT?_ Ein anderes Hybrid-Konzept verfolgt GM mit dem Chevrolet Volt. Im Gegensatz zum "klassischen" Vollhybrid soll im Volt der Verbrennungsmotor einzig als Kraftwerk für das mobile Nachladen der Batterie dienen, die einen Elektromotor antreibt. Die Amerikaner umgehen damit geschickt die Achillesferse aller Elektromobile - die fehlende Reichweite. Reine Elektroautos müssen derzeit nach spätestens 160 Kilometern zurück an die Steckdose.

Mit dem Volt sollen dagegen "bis zu 1000 Kilometer möglich" sein, versprach Frank Weber, der bei GM die Entwicklung leitet, in der "Zeit". Wie das krisengeschüttelte Unternehmen (Verlust im zweiten Quartal 2008: 15 Milliarden Dollar) angesichts eines geplanten Verkaufspreises von 30.000 Dollar mit dem Volt Geld verdienen will, darüber rätselt derzeit allerdings die gesamte Branche. Allein die 180 Kilogramm schwere Batterie kostet 16.000 Dollar.

Dennoch sehen viele im Volt ebenso die Zukunft wie im Tesla Roadster. Der mit 7000 Notebookbatterien (Gesamtgewicht 450 Kilo) vollgepackte Sportwagen wird seit Juli in Kalifornien in Kleinserie gebaut und soll immerhin 400 Kilometer weit kommen. Und das mit Kosten von vier Dollar pro Batterieladung. Mit 110.000 Dollar Einstiegspreis bleibt der Roadster dennoch allenfalls ein Traum für die ökobewusste Westküsten-Schickeria.

Noch kämpfen die Batteriebauer mit zahlreichen Problemen. So schlägt aktuell jeder Kilometer Reichweite mit einem Kilo Batteriegewicht zu Buche. Mit einer Kilowattstunde Batteriekapazität (Kosten: 1000 Euro) kommt man nur zehn Kilometer weit. Analysten der Deutschen Bank prognostizieren für 2020, dass ein Elektroauto durchschnittlich 11.000 Euro mehr kosten wird.

Zudem sinkt die Leistungsfähigkeit bei Kälte rasant, während der Energiebedarf (Heizung) zunimmt. Für die mobile Alltagstauglichkeit müssen Batterien überall und, angesichts der notwendigen Kapazitäten, schnell aufladbar sein. Jeder Ladevorgang lässt die Batterie jedoch altern, umso mehr, je stärker der Ladestrom ist. Ferner heizen Schnellladungen Batterien stark auf und können diese dadurch beschädigen. Was das bedeutet, haben seit 2006 Notebook- oder Handybenutzer schon leidig erfahren. Ihnen sind beschädigte Akkus aufgrund von Verpuffungen regelrecht um die Ohren geflogen. Mit den Batterieriesen in Elektroautos darf so etwas auf keinen Fall passieren.

GUTE ÖKO-BILANZ DER ELEKTRO-AUTOS_ Manche Kritiker bezweifeln, dass die Öko-Bilanz der Elektroautos wirklich so positiv ist wie behauptet, da der benötigte Strom in konventionellen Kohle-, Gas- oder Atomkraftwerken produziert werden müsse. Diese Zweifel hält eine Studie für das Bundesumweltministerium ("Elektromobilität und erneuerbare Energien") aber für unbegründet. Würden Elektroautos ausschließlich mit Steinkohlestrom geladen, wären die Emissionen "gleich hoch wie die eines 5- bis 6-l-Benziners", heißt es.

De facto fällt die Bilanz weit besser aus, da erneuerbare Energien inzwischen einen Anteil von 14,3 Prozent an der deutschen Stromproduktion haben. Eine Million Elektroautos würden zwei Terawattstunden zusätzlichen Verbrauch ergeben, das entspräche "einem Dreihundertstel des gesamtdeutschen Stromverbrauchs". Noch ist unklar, welche Technik sich durchsetzen wird. Es werde "künftig nicht die eine Technologie als Königsweg zur nachhaltigen Mobilität" geben, sagt Daimler-Technikvorstand Thomas Weber. Er spricht für die Mehrheit in der Branche.

Sollte sich das Elektroauto durchsetzen, würde dies aber "dramatische Veränderungen in unseren Fabriken bedeuten", ist sich Daimler-Betriebsratschef Erich Klemm sicher. "Ich fürchte, es werden nicht die gleichen Arbeitsplätze wie heute sein." Die Kernfrage für die Vertreter der Arbeitnehmer: Wie kriegen sie es hin, dass die Firmen in der Zukunft ankommen und dass trotzdem die Arbeitsplätze gesichert werden? Johann Kirchgässner etwa sieht bei ZF die mechanische Fertigung bei "einem Umstieg auf Elektro gefährdet". Gefragt, wie viele Arbeitsplätze dann noch gesichert werden könnten, sagt er: "Es würden weniger sein als bislang."

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrem Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen