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Magazin Mitbestimmung

Von REINER HOFFMANN: Reiner Hoffmann: Sozialer Aufbruch mit Jamaika?

Ausgabe 10/2017

Kommentar Dieses Wahlergebnis ist erschütternd. Vor allem für die Arbeitnehmer ist der Ausgang der Bundestagswahl denkbar schlecht.

Von REINER HOFFMANN

Mit der FDP sitzt nun eine Partei im Bundestag, die vorab schon angekündigt hat, die Interessen von Wenigverdienern zu beschneiden. Als Beispiel sei nur die Absicht genannt, die Kontrollen bei Mindestlöhnen zu „entbürokratisieren“. Mit der AfD ist eine Partei dabei, die rechtspopulistisch, menschenfeindlich, rassistisch und wirklich nicht arbeitnehmerfreundlich ist.

Die beiden – ehemals – großen Parteien sind abgewählt worden trotz zum Teil ordentlicher Regierungsarbeit. Der Jubel aus den Lagern der Grünen und Linken übertönt, dass auch sie nur minimal zugenommen haben. Aus all dem soll nun eine Koalition gebildet werden, erster Vorstoß: Schwarz-Gelb-Grün, Jamaika. Hier wird bislang nicht gefragt, wie ein Koalitionsvertrag für Millionen Beschäftigte aussehen müsste, aussehen könnte, sondern nur: Schaffen die das? Hält das? Was macht die CSU?

Aber es geht um mehr: Die Ansage von Angela Merkel, es gehe uns gut, wir machen so weiter, ist nicht aufgegangen. Die Abwahl der Großen Koalition zeigt, dass es an einer konsequenten Umsetzung sozialer Konzepte gemangelt hat.

Hinter dem offenbaren Rechtsruck steht nicht der Ruf nach mehr Liberalisierung, mehr sozialer und ökonomischer Spaltung, sondern nach mehr sozialem Zusammenhalt und nach Ordnung und Sicherheit – Ordnung auf dem Arbeitsmarkt, Sicherheit, dass dieses wohlhabende Land durch Herausforderungen und Krisen steuern kann.

Kann das Jamaika? Bei der möglichen Koalition wird spekuliert, dass die Grünen die soziale Rolle, die Verteidigung der Arbeitnehmerrechte übernehmen müssen – weil sie die soziale Seite für sich reklamieren, und weil sie in den vergangenen Jahren bevorzugt mit den Sozialdemokraten koalierten. Doch diesem kleinsten Koalitionspartner die  „soziale Frage“ zu überlassen, wäre grundfalsch – diese Verantwortung tragen alle Parteien, allen voran die CDU, deren Vorsitzende Angela Merkel in der vergangenen Legislatur wiederholt öffentlich Tarifparteien und Tarifbindung lobte und zu fördern versprach.

Daran muss sie, müssen alle anknüpfen, denn bei jeder Umfrage geht es um unsichere Perspektiven und fehlende Sicherheit für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Menschen erzählen, dass sie keine Arbeit finden, dass der Lohn nicht reicht, dass Altersarmut droht, dass sie immer wieder befristet arbeiten, dass Schulen in einem miesen Zustand sind, dass Kitas fehlen, dass Behörden überfordert sind, weil Personal fehlt. Sie erzählen, dass sie Politikern geschrieben haben, keine Antwort bekamen und sie sich von der Politik allein gelassen fühlen.

Zwei Drittel der AfD-Wähler wollten, so viele Analysen, vor allem eines: Ein Zeichen setzen. Dieses Zeichen darf kein weiterer politischer Rechtsruck sein und noch mehr Liberalisierung, sondern es muss ein sozialer Aufbruch sein: Die Menschen erwarten umsetzbare, konkrete Konzepte statt Kommissionen für bessere Renten gegen die Altersarmut. Sie erwarten sichtbare Investitionen in Infrastruktur statt bröckelnde Straßen, und sie wollen Investitionen in Bildung statt Lehrer im Massen-Burn-Out.

Wie können gute Arbeit und ein gelingendes Leben in Zeiten großer Veränderungen gestaltet werden? Das muss die kommende, stabile Regierung beantworten. Mit Jamaika?! Ja, wenn es Jamaika wird, dann muss Jamaika das umsetzen. Alle Parteien tragen soziale Verantwortung.

Aufmacherfoto: Alexander Paul Englert

 

WEITERE INFORMATIONEN

Reiner Hoffmann ist Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) und Vorsitzender des Vorstands der Hans-Böckler-Stiftung.

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