Quelle: HBS
Magazin MitbestimmungZur Sache: "Reine Armutspolitik wird den Anforderungen an die Rente nicht gerecht."
Florian Blank, Referent Sozialpolitik im Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung über die Rentenpolitik der Großen Koalition
Die Koalition in Berlin diskutiert wieder über Rentenpolitik. Auf der Agenda stehen eine Grundrente für Menschen mit 35 Beitragsjahren, die Absicherung von Selbstständigen und die Entwicklung des Rentenniveaus über das Jahr 2025 hinaus. Schon zu Beginn der Wahlperiode wurden manche Maßnahmen umgesetzt, unter anderem Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente. Ob und in welcher Form weitere Reformen umgesetzt werden, ist noch unklar.
Allein schon dass innerhalb der Regierung weiter über Leistungsverbesserungen gestritten wird, ist eine gute Nachricht. Denn Rentenpolitik wird wieder stärker als Sozialpolitik verstanden, die das Leben der Menschen verbessern soll. Der Fokus hat sich in letzter Zeit zurück auf die Leistungen verschoben, nachdem der Blick seit der Jahrtausendwende vor allem darauf gerichtet war, einen Anstieg der Beitragssätze zu verhindern. Aber ist das, was jetzt passiert, auch wirklich genug?
Viele Änderungen der letzten Jahre waren für sich genommen richtig. Aber die Konzentration auf viele kleinere Reformen birgt auch die Gefahr, das eigentliche Problem aus dem Blick zu verlieren und damit keine fundierte Antwort auf die Frage zu geben, in welche Richtung sich das Rentensystem generell entwickeln sollte. Wenn man sich aktuelle Maßnahmen und Vorschläge anschaut, sind zwei Wege vorstellbar:
Der erste Weg wäre, die bisherige Politik einfach weiterzuführen. Auch wenn einzelne sozialpolitisch sinnvolle Entscheidungen getroffen werden, wird die gesetzliche Rentenversicherung insgesamt durch einen solchen Kurs weiter geschwächt. Die Politik würde sich dann künftig vor allem auf die Milderung von Altersarmut, also auf Reformen in der Grundsicherung im Alter oder an der Schnittstelle von Rente und Grundsicherung, konzentrieren. Daneben würde die private Vorsorge weiterentwickelt. Die Notwendigkeit, privat vorzusorgen, wäre durch die Vernachlässigung der gesetzlichen Rentenversicherung stärker.
Der zweite Weg wäre eine umfassende Reform, die die gesetzliche Rente in mehrfacher Hinsicht stärkt. Das bedeutete eine dauerhafte Stabilisierung oder sogar Anhebung des Leistungsniveaus, den Ausbau von Elementen des sozialen Ausgleichs (einschließlich der Anhebung geringer Renten nach langer Erwerbstätigkeit) und die Fortentwicklung zu einer Erwerbstätigenversicherung, die ganz unterschiedliche Lebenslagen und Erwerbsverläufe absichert. Die Regierung wäre gut beraten, diesen zweiten Weg einzuschlagen und dafür auch höhere Beiträge in Kauf zu nehmen. Wir brauchen eine Rentenpolitik, die für alle Versicherten gemacht wird und eine faire, den Lebensstandard sichernde Leistung ermöglicht. Die öffentliche Rentenversicherung ist ein geeignetes, flexibles Instrument, um diese Aufgabe zu erfüllen, auch in Zeiten des gesellschaftlichen Wandels und angesichts neuer Arbeitsformen.
Die Stabilisierung des Rentenniveaus bis 2025 ist ein Schritt in die richtige Richtung und könnte der erste Baustein für eine gestärkte Rentenversicherung sein. Weitere Elemente wie die Absicherung Selbstständiger sind in der Diskussion – Ziel muss sein, dass sie sich zu einem stimmigen und stabilen Bauwerk fügen. Der Blick in die Vergangenheit des deutschen Sozialstaats, aber auch ins Ausland zeigt, dass eine öffentliche Sozialversicherung viel kann, wenn sie denn nur darf. Eine weitere Privatisierung der Alterssicherung und eine reine Armutspolitik werden den Herausforderungen der Alterssicherung heute und morgen nicht gerecht.