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Magazin MitbestimmungAutoindustrie: Rechts sein heißt, für den Verbrenner sein
Bei Daimler in Untertürkheim sitzt seit 2010 eine rechte Liste im Betriebsrat, das „Zentrum Automobil“. Ihre Taktik: Sie geriert sich als Anwältin des Verbrennermotors – garniert mit völkischen Gedanken. Den Beschäftigten hat sie nichts zu bieten. Von Fabienne Melzer
In einem ist sich Metaller Antonio Potenza sicher: „Von selbst entzaubern sich die Rechten nicht.“ Bei der IG Metall Stuttgart betreut er das Daimler-Werk in Untertürkheim. Der Standort machte vor knapp drei Jahren Schlagzeilen, weil hier Vertreter des Zentrums Automobil, einer rechten Betriebsratsliste, sechs Mandate errungen hatten. Seit den Wahlen 2010 hatten sie ihre Zahl von zwei auf vier und zuletzt auf sechs gesteigert. Zu ihren Gründern gehört Oliver Hilburger, Zentrums-Betriebsrat in Untertürkheim und ehemaliges Mitglied der Rechtsrock-Band „Noie Werte“. Richter nannten die Liedtexte der Band gewaltverherrlichend und verfassungsfeindlich.
Das Zentrum Automobil vertrete weniger Arbeitnehmerinteressen als vielmehr Interessen von rechtsradikalen Netzwerken, erklärte Extremismusexperte Matthias Quent im Magazin Der Spiegel. Die Liste sei eingebunden in ein Netz rund um das rechte Kampagnenprojekt „Ein Prozent“, die vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften Identitären und den rechten AfD-Flügel um Björn Höcke. Hilburger trat auf verschiedenen AfD-Veranstaltungen auf und warb dafür, dass es wie im Parlament auch in den Betrieben eine „Alternative“ brauche.
Die immer gleiche Geschichte
Ob auf Demos oder bei AfD-Talkrunden – Hilburger erzählt immer dieselbe Geschichte: Der Wechsel zur Elektromobilität sei ökologisch und ökonomisch Unsinn. Dahinter stecke eine Verstrickung von Großkonzernen und linken Gewerkschaften. Es ginge nicht um Ökologie. Der Verbrenner solle weitergebaut werden, nur nicht in Deutschland, sondern in Osteuropa, einzig zum Zweck der Gewinnvermehrung. „Es ist nicht viel, was sie zu bieten haben“, sagt Metaller Potenza. Aber es reichte, um bei der Betriebsratswahl in Untertürkheim 13,2 Prozent der Stimmen zu gewinnen.
Für Potenza ist das Ergebnis kein Grund zur Panik, aber genug, um wachsam zu bleiben. Die Beschäftigten der Autoindustrie gehören dank der Tarifpolitik der IG Metall zu den gut verdienenden Facharbeitern. Sie haben viel zu verlieren und sind vielleicht deshalb anfällig für Versprechen, dass alles so bleibt, wie es ist.
Zukunftsängste am Arbeitsplatz können rechtspopulistische Tendenzen verstärken, das zeigt die Studie „Einstellungen und soziale Lebenslagen“ der Hans-Böckler-Stiftung von 2017. Wer sich ohnmächtig gegenüber Veränderungen am Arbeitsplatz fühlt, wählt häufiger AfD, und zwar unabhängig von Einkommen, Beruf, Alter oder Wohnort. Nach den Wahlerfolgen der AfD sahen sich rechte Gruppen auch im Betrieb im Aufwind und mobilisierten vielerorts für die Betriebsratswahlen.
Gerade in der Autoindustrie fühlen sich viele Beschäftigte angesichts des technischen Wandels ohnmächtig, haben Angst, überflüssig zu werden. Im Daimler-Motorenwerk in Untertürkheim arbeiten 19 000 Menschen am Verbrenner. Erst Ende des vergangenen Jahres kochte die Stimmung im Werk hoch, als zusätzliche geplante Stellenstreichungen bekannt wurden.
Logik kommt gegen Gefühle nicht an
Mit Logik kommen Metaller wie Jose-Miguel Revilla, Leiter der Vertrauensleute in Untertürkheim, schwer gegen Gefühle an. „Die Leute vom Zentrum picken sich die Themen raus, die unseren Leuten Bauchschmerzen bereiten“, sagt Revilla. Dabei spiele dem Zentrum die Politik des Arbeitgebers in die Hände, ärgert er sich. In Polen entstehe eine Fabrik für Verbrennungsmotoren, die ursprünglich für Produktionsspitzen gedacht gewesen sei. Seit der Pandemie heiße es nun: „Wenn wir Zukunftstechnologien wollen, müssen wir die alte Technik nach Polen abgeben“, sagt Revilla.
Lange hatte die Autoindustrie goldenen Boden. Doch in den vergangenen zwei Jahren baute der Konzern in Untertürkheim 2000 Stellen ab. Nun stehen noch einmal 4000 Arbeitsplätze auf der Kippe. So sieht es aus, als habe die Geschichte der Zentrums-Leute einen wahren Kern. Zumal viele in Untertürkheim Hilburger seit Jahren kennen. 1989 fing er dort seine Ausbildung an, arbeitete in der Instandhaltung, kam im Betrieb herum. Für viele ist er einfach „der Oli“.
Wer gegenhalten will, muss auch Maß halten
Es ist ein schmaler Grat, auf dem sich Metaller Antonia Potenza bewegt. Wenn die Zentrums-Betriebsräte Tatsachen verdrehen, beim Diesel oder bei der Zukunft des Standorts, dann muss er das richtigstellen. Aber er will auch nicht mehr über jedes Stöckchen springen, dass sie ihm hinhalten. „Wir dürfen den Bogen nicht überspannen und den Leuten sagen: Ihr habt hier lauter Nazis.“ Für ihn gibt es drei Kategorien von Unterstützern: die ganz Überzeugten, die auf AfD-Linie sind, die Enttäuschten und die Pragmatischen. Einen wie Hilburger will und kann er nicht überzeugen. Das koste nur Kraft. Er konzentriert sich auf die anderen, auf Kollegen, die schlechte Erfahrungen mit der IG Metall gemacht haben, und die Pragmatischen, die ihr Problem gelöst haben wollen, egal von wem. So hält er manche Provokation einfach aus und schaut auf seine eigene Arbeit.
Die IG Metall und der Betriebsrat haben die Zusammenarbeit mit den Vertrauensleuten verstärkt und sie gegen rechte Parolen aufgerüstet. Irene Schulz, Vorstandsmitglied der IG Metall und unter anderem verantwortlich für die gewerkschaftliche Bildungsarbeit, stärkt ihnen den Rücken: „Unsere Betriebsräte und Vertrauensleute streiten für die Zukunft von Standorten und Beschäftigung in unseren Branchen. Als IG Metall unterstützen wir sie dabei mit Workshops und bei der Planung von Kampagnen. Aber sie brauchen dafür auch den Rückhalt der gesamten Mannschaft im Betrieb. Spaltungsstrategien der Rechten bei Daimler und in anderen Betrieben bewirken das Gegenteil.“
Zum Narrativ der Rechten gehört auch die Opfergeschichte. 2018 startete das rechte Netzwerk „Ein Prozent“ die Kampagne „Patrioten schützen Arbeitsplätze – werde Betriebsrat“. Darin behaupteten sie, dass immer mehr Menschen aus politischen Gründen ihre Arbeit verlieren, weil sie Pegida oder die AfD unterstützen. Das Zentrum Automobil veröffentlichte 2019 im Internet einen Film, der aus zwei Daimler-Beschäftigten, denen das Unternehmen wegen Rassismusvorwürfen gekündigt hatte, Opfer einer Intrige machte. Der Film greift wieder und wieder die IG Metall an, spricht von korrupten Gewerkschaften und Vertrauensleuten als politischen Fußtruppen eines durch und durch korrupten Systems. Das Arbeitsgericht Stuttgart erklärte die Kündigung der beiden Beschäftigten für rechtens.
In der Pandemie haben sie nichts zu bieten
Die Metaller Potenza und Revilla sind alles andere als Komplizen eines korrupten Systems. Sie engagieren sich für die Beschäftigten, für ihre Existenz und sind entschlossen, solche verschwörerischen Narrative mit Taten zu entkräften. „Wir müssen den Konflikt zwischen Arbeit und Kapital im Betrieb ausfechten“, sagt Potenza. Und das tun sie auch. Strukturwandel und Corona treffen die Branche doppelt. Nach dem Willen des Arbeitgebers müsse der Standort Untertürkheim am meisten bluten. Fast halbjährlich organisierten sie daher auch im Corona-Sommer Aktionen gegen die Pläne des Unternehmens. Sie holten die Kolleginnen und Kollegen vors Werk oder besetzten das Parkhaus.
Seit der Pandemie ist es um die Vertreter des Zentrums Automobil stiller geworden. „Zu Kurzarbeit oder den Verhandlungen über eine Batteriezellenfertigung hören wir von denen nichts. Da sind wir die Player“, sagt Potenza. Was sie als IG Metall erreichen, verbreiten sie immer öfter über Kurznachrichtenkanäle, um vor allem auch jüngere Beschäftigte schneller zu informieren. Aber genauso wichtig findet Antonio Potenza zuhören und bereit sein, andere Meinungen zuzulassen. „Den größten Fehler, den wir machen können“, sagt der Gewerkschaftssekretär, „ist, den Menschen mit großen politischen Parolen die Welt erklären.“
Rechte erkennt man nicht immer auf den ersten Blick
Einen Vorteil haben die Metaller in Untertürkheim: Der Gegner hat einen Namen. In anderen Betrieben sind Betriebsräte mit rechten Ansichten nicht immer auf den ersten Blick zu erkennen, manchmal hat sich das Gedankengut auch unter Gewerkschaftern verfestigt. „Trojanische Pferde“ nennt sie Andreas Michelbrink von der Verdi-Bildungsarbeit in Berlin: „Das ist der Kollege, der sich unter der Woche im Betrieb engagiert und am Wochenende die Busse zur Pegida-Demo organisiert.“ Michelbrink traf Ausbildungsjahrgänge, bei denen er ein festes rechtes Weltbild wahrnahm. „Für sie sind schon Projekte wie ‚Fakten statt Populismus‘ links versifft“, sagt der Verdi-Mann. Er sieht vor allem einen Weg: „Die Menschen müssen wieder erleben, dass sie ihre Umwelt gemeinsam gestalten können.“
Um sich für die Betriebsratswahlen 2022 auf das Thema vorzubereiten, gab die IG BCE im vergangenen September eine Untersuchung in Auftrag. Sie wollte wissen, wie anfällig die Beschäftigten in den Branchen der Gewerkschaft für rechtspopulistische Argumente sind. Das Ergebnis fiel gemischt aus. Rechte Listen tauchten bislang nicht auf, rechte Einstellungen schon. In der Automobilzuliefererindustrie und in der Braunkohle, wo die Situation schwierig ist, gab es häufiger rechtspopulistische Tendenzen. In der Chemie- und Pharmaindustrie mit oft internationalen Verflechtungen seien sie dagegen seltener. Auch regional unterschieden sich die Einstellungen. In Regionen, in denen sich die Menschen ohnehin abgehängt fühlten, hätten es Werte wie Solidarität schwer, wenn sie über die eigene Gruppe hinausgehen sollen. Petra Adolph, Büroleiterin der Abteilung Politik und Gesellschaft der IG BCE in Berlin, sieht das darineine besondere Herausforderung: „Bei diesen Menschen haben wir es auch als Gewerkschaft schwer. Für sie gehören wir zum Establishment, das sie vergessen hat.“ Aus den Ergebnissen zieht sie den Schluss: „Wir müssen uns auf uns selbst konzentrieren, auf unsere Werte.“