Quelle: HBS
Magazin Mitbestimmung: Pro und Contra
Ist der Burn-out als Krankheit überschätzt?
ANDREAS HILLERT, Chefarzt der Medizinisch-Psychosomatischen Klinik Roseneck in Prien am Chiemsee:
„Ja – weil Burn-out keine Krankheit ist. Seit der ersten Beschreibung durch Herbert Freudenberger 1974 wird konstatiert, die Symptomatik sei bei jedem Menschen anders – was Fragebögen, die die Befindlichkeit abbilden, konsequent ignorieren. Es heißt, diagnoseweisend sei eine Entwicklung im Kontext beruflicher Überlastung: vom hoch engagierten Anfang zum ausgebrannten Ende. Studien zeigen, dass dem meist nicht so ist. Zwar leiden viele Burnout-Betroffene wirklich, viele sind manifest seelisch krank, meist wegen einer Depression. Doch der undefiniert-schillernde Begriff Burn-out lässt hier keine nähere Analyse zu.
Andererseits: Die Tatsache, dass sich immer mehr Menschen mit dem Burn-out-Bild identifizieren, spiegelt gesellschaftliche Fehlentwicklungen wie wirtschaftliche Unsicherheit, Globalisierung, abnehmende soziale Sicherheiten und hohe Scheidungsraten. Viele Individuen erleben sich als verunsichert, existenziell gefährdet und gekränkt. Als ein populär gewordenes subjektives Krankheitsmodell kann das Burn-out-Phänomen in seiner Tragweite kaum überschätzt werden und wird uns noch in vielerlei Hinsicht, nicht nur ärztlich-therapeutisch, beschäftigen.“
DAGMAR SIEBECKE, Leiterin des Zentrums ‚Burnon‘ für Burn-out-Prävention, -Beratung und -Coaching in Düsseldorf:
„Nein – immer mehr Menschen entwickeln aufgrund von Burn-out-Symptomen wie Erschöpfung, Regenerationsunfähigkeit, zynischen Gefühlen und nachlassender Effektivität Krankheiten, die sie in ihrer Lebensführung und ihrem Wohlergehen stark einschränken. Die immer häufiger auftretenden Erkrankungen führen zu langen Phasen der Arbeitsunfähigkeit und schaffen viele Probleme. Dabei geht es nicht nur um psychische Störungen, sondern auch um psychosomatische Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems oder des Muskel-Skelett-Apparates.
Hier ist aber nicht nur die kurativ orientierte Medizin gefordert – auch die Prävention ist sehr wichtig. Adressaten sind die betrieblichen Entscheider, die in der Führung die Beziehungsarbeit als Pendant zu Sachaufgaben ernst nehmen und dafür Ressourcen bereitstellen müssen. Zwar ist es richtig, dass der Burn-out nach dem internationalen Diagnoseschlüssel nicht als Krankheit klassifiziert ist. Aus dem Umstand, dass die Medizin dieses Syndrom bisher nicht sauber erfassen und von anderen Erkrankungen abgrenzen kann, darf man aber nicht schließen, dass das Problem nicht existiert.“