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Magazin Mitbestimmung

: Privatschule als Standortfaktor

Ausgabe 10/2010

SÜDDEUTSCHLAND In Städten mit kaufkräftigen Eltern und auf Wunsch dort ansässiger Großunternehmen entstehen zweisprachige Ganztagsschulen des Klett-Verlags. Von Matthias Holland-Letz

Matthias Holland-Letz ist Journalist in Köln./Foto: M. Holland-Letz

Tobin, please open your book. How many of these plants did you find in this picture?" Die Grundschüler beugen sich über das Suchbild im Schulbuch - und entdecken vier Pflanzen. "Well done", lobt Lehrerin Brigitte Neideck die 16 Erstklässler. Doch nicht Englisch steht auf dem Stundenplan der Klasse 1b. Die Erstklässler lernen Rechnen. "Zahlen und Formen entdecken", sei das Ziel, erklärt die Grundschullehrerin.

Brigitte Neideck arbeitet an der Swiss International School (SIS) in Fellbach bei Stuttgart. Eine Privatschule, die ganztags unterrichtet, zweisprachig und in kleinen Klassen. "Englisch? Deutsch? Warum nicht beides?", heißt es im Videofilm, mit dem die SIS im Internet wirbt. Die Swiss International School eröffnete zum Schuljahr 2008/09 ihren Betrieb. Damals lernten rund 50 Kinder hier. Heute sind gut 170 Schülerinnen und Schüler angemeldet. Neben deutschen Lehrkräften unterrichten Pädagogen aus den USA, Südafrika, Irland und Australien. "Gemeinsam spielen, lernen, essen, sich bewähren", lautet das Motto der Ganztagsschule. Die SIS betreibt inzwischen nicht nur eine Grundschule und ein Gymnasium, sondern auch eine Kindertagesstätte. Alles unter einem Dach. Das habe Vorteile. "Die Bildung geht nahtlos ineinander über", erklärt Schulleiterin Roswitha Anderson. Und die Eltern müssten morgens nur noch einen Ort ansteuern, wenn sie ihre kleineren und größeren Kinder wegbringen.

Die Betreuungszeiten sind auf berufstätige Mütter und Väter zugeschnitten. Ganztagsunterricht von 8.30 Uhr bis 15 Uhr. Plus zusätzliche Betreuungszeiten ("After School Care"), morgens ab 7.30 Uhr, nachmittags bis 18 Uhr. Außerdem, versichert Schulleiterin Anderson: "Wir werden nicht mehr als 22 Schüler pro Klasse aufnehmen."

Doch das Angebot hat seinen Preis. Ein Platz an der SIS-Grundschule kostet derzeit 612 Euro monatlich, einschließlich Mittagessen. Für zusätzliche Betreuung am Nachmittag nach 15 Uhr sind weitere 31 Euro fällig - pro Wochentag. Alles in allem kann sich das Schulgeld für in Normalzeit arbeitende Eltern pro Kind auf rund 1200 Euro im Monat summieren. Ähnlich die Grundtarife für den Kindergarten. Fünf Tage Ganztagsbetreuung kosten 664 Euro monatlich. Die einmalige Aufnahmegebühr ("One-Time Entrance Fee") beträgt 800 Euro. Für weniger finanzkräftige Familien vergibt die Schule Teilstipendien. "Bis zu 300 Euro im Monat werden übernommen", erklärt Annette Krieger, Geschäftsführerin der gemeinnützigen Trägergesellschaft SIS gGmbH in Stuttgart.

Die Schule befindet sich im Bauknecht-Forum, einem Gebäude nahe der S-Bahn-Station Fellbach. Jetzt ist große Pause. Mädchen und Jungen kauen belegte Brote, spielen auf dem "Playground", wo es eine Schaukel und zwei Fußballtore gibt. Nebenan wächst das "grüne Klassenzimmer": Sträucher und Grünpflanzen, davor eine mit Rindenmulch bedeckte Bewegungsfläche. Baumstämme liegen übereinander, gut verschraubt. "Da kann man klettern", erzählt ein siebenjähriger Junge.

TEIL DER WIRTSCHAFTSFÖRDERUNG_ "Die Wirtschaftsförderung der Stadt Fellbach hat sich stark für uns eingesetzt", berichtet Geschäftsführerin Annette Krieger. Die Kommune greift der Schule während der dreijährigen Startphase mit 150.000 Euro unter die Arme. Deren Kalkül: Die Privatschule macht die Stadt attraktiver. Eltern hätten gesagt, so Krieger: "Wenn uns Ihre Schule gefällt, dann ziehen wir nach Fellbach." Weitere 150.000 Euro, ebenfalls verteilt auf drei Jahre, zahlt die Dr. Karl Eisele und Elisabeth Eisele Stiftung, ebenfalls in Fellbach beheimatet. Sind die drei Jahre um, so greift die Förderung des Landes. Dann übernimmt Baden-Württemberg den Großteil der Kosten - bis zu 90 Prozent, so die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft.

Betreiber der SIS sind die Schweizer Bildungsgruppe Kalaidos und die Stuttgarter Klett Gruppe, bekannt als Schulbuchverlag. So scheint es wenig überraschend, dass wir im Klassenraum der 1b auf den "Nussknacker" stoßen, das Grundschulrechenbuch aus dem Hause Klett. Doch Schulleiterin Roswitha Anderson widerspricht. "Die Lehrkräfte entscheiden selbst, welche Lehrbücher sie verwenden möchten." Es gebe keine Vorschrift, die Produkte des Klett-Verlags zu bevorzugen. Und warum engagiert sich Klett dann hier? "Wir wollen die Bildungslandschaft in Deutschland verbessern", erklärte Philipp Haussmann, Vorstandssprecher der Ernst Klett AG, gegenüber der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Er rechne lediglich mit "einer schmalen Rendite". Sagt er. Die könne Klett erreichen, indem man "beispielsweise Verwaltungs- und Abrechnungsaufgaben" als zentrale Dienstleistungen für die SIS-Schulen erbringe und abrechne.

Klett und Kalaidos setzen derweil auf Expansion in kaufkräftigen Company-Towns, in Gutverdiener-Städten mit Großunternehmen. Zum Schuljahr 2009/10 eröffneten sie eine weitere SIS-Schule in Ingolstadt. Sie wird von einem Förderverein unterstützt, in dem sich die örtlichen Konzerne Audi, EADS (Flugzeuge und Rüstung), Bauer AG (Baumaschinen), Edeka und die Media-Saturn-Holding engagieren. "Wunschprojekt der Wirtschaft", schrieb der "Donaukurier" zur SIS-Eröffnung in Ingolstadt. "Die Schule bietet eine sinnvolle Ergänzung zu unserem bisherigen Schulangebot", erklärt Gabriel Engert. Er ist Vorsitzender des SIS-Fördervereins und leitet gleichzeitig das Schulreferat der Stadt Ingolstadt.

Ebenfalls zu Schuljahresbeginn 2009/10 startete eine SIS-Filiale in Friedrichshafen am Bodensee. Um das Projekt durchzusetzen, hatte die lokale Wirtschaft Druck gemacht. "Durch die weltweit tätigen Firmen in Friedrichshafen besteht auch bei uns eine Nachfrage nach einem international ausgerichteten Schulangebot." So heißt es in einer Sitzungsvorlage der Stadt Friedrichshafen vom Februar 2009. "Verschiedene Firmen und Institutionen", so die Sitzungsvorlage weiter, hätten diesen Bedarf gegenüber der Stadt unterstrichen. Etwa die ZF Friedrichshafen AG (Autozulieferer), die Tognum AG (Motor- und Energieanlagenhersteller) und die EADS.

Entlang des Geschäftsmodells plant SIS, in zwei Jahren eine vierte Schule im Umland von München zu eröffnen. Fellbach, Ingolstadt, Friedrichshafen, München - alles Regionen mit durchsetzungsstarken Unternehmen. Und mit vielen Eltern, die für die Bildung ihrer Kinder tief in die Tasche greifen können.

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