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Magazin Mitbestimmung

Innovationen: Noch mehr Öko beim Windradhersteller

Ausgabe 04/2015

Bei Vestas bringt der Betriebsrat die Kreislaufwirtschaft so richtig in Schwung – angeregt auch durch ein Projekt der IG Metall. Von Annette Jensen

„Kurzschluss“, erklärt Michael Balvers und deutet auf den rußig-schwarzen Fleck an einem tonnenförmigen Blechpaket, aus dem Bündel von Kupferkabeln heraushängen. Der 30-Jährige leitet den Repair Shop von Vestas Nacelles Deutschland GmbH in Lübeck – einem Tochterunternehmen des Weltmarktführers für Windenergieanlagen Vestas aus Dänemark. Noch vor ein paar Jahren wäre der kaputte Generator der Zwei-Megawatt-Windmühle komplett zum Schrotthändler gewandert, der Kunde hätte einen völlig neuen bekommen. 

Doch seit Sommer 2013 recyceln die Beschäftigten von Vestas das Material, und ein Großteil der Komponenten wird aufgearbeitet und erneut verwendet. „Die Qualität ist genauso hoch wie die von neuen Generatoren – aber es ist kostengünstiger und vor allem umweltschonender“, sagt Balvers. 

In einem Backsteingebäude am Rand der Lübecker Altstadt wird Kupfer und Stahl recycelt. Männer im Blaumann nehmen die Generatoren auseinander, andere löten am anderen Ende der Werkshalle mit großer Sorgfalt Kupferspulen in die Rotoren. Ist alles fertig, werden Energieausbeute und Vibrationen der Generatoren geprüft. „Da gibt es keinen Unterschied zwischen den ganz neuen und den aufbereiteten“, erklärt Elektromaschinenbauer Carsten Wulf. Schon nach rund 20 Tagen erhält der Kunde seine Maschine zurück. 

DIE MAGNET-IDEE

Seit Neuestem beschäftigt sich eine Projektgruppe­ damit, wie bereits verbaute Magnete demontiert und wiederverwendet werden können. Sie enthalten wertvolle seltene Erden, bei deren Gewinnung außerdem giftige Schlämme entstehen, was durch wiederholten Einsatz vermieden werden könnte. Angeschoben hat das Magnet-Projekt der 40-jährige Betriebsratsvorsitzende Donald Magdanz. Er ist einer der ersten 120 Innovationspromotoren, die die IG Metall ausgebildet hat. Die Idee einer Kreislaufwirtschaft fasziniert Magdanz schon seit Langem, immer wieder hatte er überlegt, was er selbst konkret dazu beitragen könnte, und tauschte sich mit seinen Kollegen beim Windenergieanlagenhersteller Vestas aus. Magdanz hatte ein paar Jahre zuvor mit Vestas-Kollegen aus mehreren europäischen Ländern einen Lehrgang besucht, auf dem auch das Konzept „Von der Wiege zur Wiege“ (Cradle to Cradle) vorgestellt wurde, das Michael Braungart entwickelt hat. Der Chemiker propagiert, nur hochwertige Materialien zu verwenden, die sich nach der Nutzungszeit einfach und sortenrein wiedergewinnen lassen. Wenn die Produkte zu ihrem Herstellungsbetrieb zurückkehren, werden die Firmen sie so konstruieren, dass sie sich gut auseinandernehmen lassen und viele Komponenten wiederverwendet werden können, so Braungarts Überlegung. 

„Als ich das gehört habe, ist bei mir ein Groschen gefallen – ich fand das einfach logisch“, sagt Magdanz, dessen Interesse für Umwelt- und Nachhaltigkeitsfragen sich verstärkt hatte, seitdem er Vater geworden war. Nun sah er einen grundsätzlichen Ansatz für seinen Betrieb. „Das Thema hat mich infiziert“, erzählt Magdanz. Da passte es gut, dass das Vestas-Management vor ein paar Jahren die Entscheidung getroffen hatte, den Kunden auch Reparaturleistungen anzubieten. Der Standort Lübeck war dafür prädestiniert: Seit Langem bauen die Beschäftigten hier Generatoren für Windturbinen und bringen umfassende­ Erfahrungen mit der Konstruktion unterschiedlicher Modelle mit. Folglich waren sie für den 2012 eingerichteten Reparaturshop die erste Wahl. Ein Jahr später begann Vestas mit dem Recycling. 

WISSENSZUGEWINN BEI DER REPARATUR

Doch die Stoffkreisläufe sind damit noch nicht geschlossen. Donald Magdanz lässt der Gedanke nicht mehr los, dass die Konstruktion neuer Generatoren vom Ende her gedacht werden müsste, damit am Schluss alle Materialien möglichst einfach zurückgewonnen und neu eingesetzt werden können. Weil in Lübeck Entwicklungsingenieure und Facharbeiter auf demselben Gelände arbeiten, sind die Voraussetzungen günstig. Denn hier werden alle Vestas-Prototypen gebaut, und bei der Wartung und Reparatur der Generatoren gewinnen die Beschäftigten viel Wissen über deren Eigenschaften und Verhalten im Feld, aber auch über Schwachstellen und störanfällige Komponenten. 

Auf jeder Betriebsversammlung versuchte Magdanz, seine Kollegen mitzureißen und davon zu überzeugen, dass Umweltschutz im Betrieb mehr ist als Stromsparen und Mülltrennung. Wer durch eine intelligente Konstruktion langfristig Ressourcen spart, der senkt nicht nur die Materialkosten, sondern hilft auch, Löhne und Standort zu sichern, argumentierte der große Mann mit dem norddeutschen Akzent. „Die Produktionsarbeiter fanden das toll, aber sie wussten nicht, wie sie das umsetzen sollten“, berichtet Magdanz. Und er selbst wusste es auch nicht. 

Das erfuhr er dann im ARIBERA-Projekt der IG Metall, „ohne das ich nicht zu Pott gekommen wäre“, gesteht der Betriebsratsvorsitzende mit der Gel-Frisur. Als er seinem Chef von dem Plan erzählte, sich zum Innovationspromotor ausbilden zu lassen, war der einverstanden. Bei der Weiterbildung an der Ruhr-Uni in Bochum und in Frankfurt lernte Magdanz nicht nur, wie sich die Einsparungen durch Energie- und Ressourceneffizienz berechnen lassen. Vor allem vermittelten ihm die Dozenten auch Instrumente, Projekte systematisch zu planen und durchzuführen. Auch Kenntnisse, wie sich Netzwerke effektiv knüpfen und nutzen lassen, standen auf dem Lehrplan. „Ich bin gierig nach Wissen geworden“, sagt der gelernte Maler und Lackierer, der später eine Weiterbildung zum Elektrohelfer absolvierte. 

ARIBERA stärkte nicht nur Magdanz’ Selbstbewusstsein, sondern vermittelte ihm auch die Erkenntnis, dass er ein guter Netzwerker ist. Systematisch hat er die Kollegen zusammengebracht, die bei Vestas für den Fortgang des Magnet-Projekts entscheidend sind. „Und ich weiß jetzt, wie ich proaktiv wirken und Dinge voranbringen kann“, sagt Magdanz. 

Die Magnet-Rückgewinnung und -Wiederverwendung bei Vestas steckt zwar noch in der Entwicklungsphase,­ aber es geht voran. „Die Magneten sind Donalds Babys – und ein Prestigeprojekt für den Standort“, sagt der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Serkan Aktokluk. Er bestätigt, dass entscheidende Einsparungen möglich sind, wenn es gelingt, die wertvollen Komponenten standardmäßig zu bergen und wieder einzusetzen. „Inzwischen haben die Leute hier auch kapiert, dass es einigen von ihnen mal den Hintern retten könnte, wenn wir bei den Materialkosten viel sparen und dadurch wirtschaftlicher werden“, sagt Aktokluk. 

Der Geschäftsführer der Vestas Nacelles Deutschland GmbH, Frank Skovsted, freut sich nicht nur über das Engagement seiner Mitarbeiter und die wachsenden Kompetenzen am Standort. Geändert hat sich in der Chefetage­ auch das Bild von Gewerkschaften. Die IG Metall gilt nun nicht mehr als eine Organisation, die in erster Linie rote Fahnen schwenkt, sondern wird als konstruktive Kraft wahrgenommen.

Innovativer Rollenwechsel: Weiterbildungsprojekt Aribera

Er nennt es einen „Quantensprung“ in der betrieblichen Gewerkschaftspolitik. Wo früher viel Energie investiert wurde, mit dem Arbeitgeber über Dinge wie das Weihnachtsgeld zu streiten, machen sich heute Betriebsräte für Innovationen stark und sichern so aktiv Standorte und Arbeitsplätze, sagt Jochen Schroth, Ressortleiter „Vertrauensleute und Betriebspolitik“ beim IG-Metall-Vorstand. 

Was in der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 begann, ist in der Mitte der Organisation angekommen. Mit dem ARIBERA-Projekt bekommen Metallindustrie-Betriebsräte einen Handwerkskasten an die Hand, um Ideen für ihr Unternehmen zu generieren. In einem koordinierten Prozess sollen sie – zusammen mit den Experten der Belegschaft – umgesetzt werden. Ziele dieser Beteiligungsstrategie an der Unternehmensentwicklung sind, Arbeitsplätze zu sichern, die Zufriedenheit der Beschäftigten zu erhöhen und Umweltbelastungen zu reduzieren.

Die Ausbildung der ersten 120 Betriebsräte zu „Innovationspromotoren“ ist nun abgeschlossen, rund 60 Projekte wurden umgesetzt. Ein Verpackungskonzept etwa wurde beim Möbelhersteller Wilkhahn in Bad Münder gemeinsam von Mitarbeitern, Managern und Betriebsrat entwickelt, das Material spart, mehr Wertschöpfung im Betrieb belässt und einem gesundheitlich belasteten Produktionsmitarbeiter ein neues Einsatzfeld eröffnet hat. Beim Werkzeugbauer Härter in Königsbach-Stein hat man auf Anregung eines fahrradbegeisterten Beschäftigten das Dienstwagenprivileg für die Anschaffung von 100 E-Bikes genutzt. Andere Projekte stecken noch in der Pipeline, wie beim Autositzlieferanten Lear, wo die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat anregten, einen drehbaren Fahrersitz zum leichteren Einstieg für Senioren zu entwickeln. 

Die innovationsförderliche ARIBERA-Ausbildung besteht aus fünf Modulen à drei Tagen. „Wir haben gelernt, wie man Ideen sammelt, erste Schritte plant, mit Widerständen und Konflikten umgeht“, berichtet Klaus Wittig, Gesamtbetriebsrat beim Stahlkocher ThyssenKrupp Steel in Duisburg. Gleich beim ersten Treffen erhielt jeder den Auftrag, ein eigenes Projekt zu finden und umzusetzen. Klaus Wittig musste nicht lange überlegen: Seit Jahren lief die Zusammenarbeit zwischen zwei Werksbereichen schlecht; Stress, Frust, ein hoher Krankenstand und entsprechende Verluste für das Unternehmen waren die Folge. Wittig lernte Moderations- und Kommunikationstechniken, führte viele Gespräche mit einzelnen Kollegen und den Abteilungsleitern, organisierte runde Tische und regte Teamsitzungen an. Das sind zwar eigentlich Managementaufgaben. Doch die „von oben“ zu erledigen funktioniere oft nicht, weil das Geschäftsinteresse im Zentrum steht, ist der 55-Jährige überzeugt. „Wir als gewählte Betriebsräte haben da eine andere Position und können ganzheitlicher denken.“ 

Das ARIBERA-Projekt ging hervor aus der Taskforce Krisenintervention. In der Wirtschaftskrise 2008 sollte ein Pool von etwa 60 Beratern den Beschäftigtenvertretungen helfen, bei drohenden Massenentlassungen Alternativvorschläge zu erarbeiten. Das Motto:­ Betriebspolitik besser machen als die Unternehmensleitungen, denen außer Kosteneinsparungen wenig mehr einfällt. Die IG Metall warb damals für diese neue Form der Betriebsfeuerwehr EU- und Bundesmittel ein. „Auf diese Weise ist es gelungen, viele Tausend Arbeitsplätze zu retten“, bilanziert Jochen Schroth stolz. 

Das sollte verstetigt werden, und so entstand die Idee, Interessenvertreter in den Unternehmen zu „Innovationspromotoren“ auszubilden. Die Qualifikationsmodule erarbeitete die IG Metall zusammen mit der Ruhruniversität und anderen Bildungseinrichtungen. Bei Bedarf begleitet auch ein Coach den betrieblichen Innovationsprozess. Weitgehend verstummt sei die anfängliche gewerkschaftsinterne Kritik, nach der eine aktive Rolle bei Unternehmensinnovationen das Geschäft des Managements besorge und sich der Logik des Kapitals unterwerfe. Inzwischen sei der Ansatz, der Betriebsräte und Belegschaften an der sozial-ökologischen Weiterentwicklung des Unternehmens aktiv beteiligt, weithin akzeptiert. 

Nun sollen diese Beteiligungserfahrungen noch viel mehr Betriebsrätinnen und Betriebsräten zugänglich gemacht werden – mit Handreichungen wie Praxisleitfäden oder einem Ressourcencheck, mit denen Betriebsräte online die Einsparpotenziale in ihren Unternehmen überprüfen können. Auch ein Stab von Beratern steht bereit, um Betriebsräten (und Geschäftsführungen) dabei zu helfen, das Wissen der Belegschaften zu heben. Und in den IG-Metall-Bildungszentren werden Kurse für Innovationspromotoren künftig zum festen Programm gehören.

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