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Alte Firmenwerbung auf dem Knorr-Gelände in Heilbronn Magazin Mitbestimmung

Standort: Nicht um jeden Preis

Ausgabe 04/2024

Wenn Gewerkschaften und Betriebsräte auf Investitionen von Unternehmen Einfluss nehmen wollen, bedeutet das harte Verhandlungen. Trotzdem können sie viel erreichen. Von Sophie Deistler und Stefan Scheytt

Ende 2019 schien die Geschichte des Knorr-Werks in Heilbronn besiegelt. Das in die Jahre gekommene, nicht mehr wettbewerbsfähige Werk, in dem vor allem Suppen, Saucen und Dressings produziert werden, sollte für immer schließen, rund 550 Beschäftigte Lohn und Brot verlieren. Doch es kam anders. Nach langen Auseinandersetzungen gelang es der
Beschäftigtenvertretung und der Gewerkschaft NGG, mit dem Konzern eine Standortgarantie bis 2030 zu verhandeln. Dafür wurden sie sogar im vergangenen Jahr mit dem Betriebsräte-Preis in Gold ausgezeichnet. Werksleiter Julius Mannherz, der die Rollenteilung mit dem Betriebsrat gern mit den Worten „Pilot und Co-Pilot“ umschreibt, bestätigt: „Wir haben tolle Pläne, das Werk Schritt für Schritt zum Knorr-Campus und zu einer der effizientesten und nachhaltigsten Lebensmittelfabriken Europas umzubauen.“

Erst als die Lage schon recht ernst war, gelang es, das Ruder herumzureißen. Betriebsratsvorsitzender Thilo Fischer sagt über die Zeit davor: „Es wurde jahrelang auf Verschleiß gefahren, es wurde kaum investiert, und so kamen wir fast an den Punkt, den Schlüssel für immer umdrehen zu müssen.“ Die Einigung enthält zwar auch schmerzhafte Einschnitte für die Knorrianer in Heilbronn und an anderen Unilever-Standorten, die geschlossen oder verkleinert wurden. Dem steht jedoch ein Investitionsbudget in Heilbronn im deutlich zweistelligen Millionenbereich gegenüber. Fischer will sich auf diesem
Erfolg aber nicht ausruhen: „Wir nutzen die Zeit, das Werk weit über 2030 hinaus zukunftsfest zu machen.“

Rund sechs Millionen Euro stehen pro Jahr bereit, mehr als 20 Millionen wurden bereits investiert. Mit einem neuen Dampfkessel für mehr als eine halbe Million Euro fing es an, es folgten Umbauten im Inneren verschiedener Gebäude: neue Böden, auf denen sich fahrerlose Fahrzeuge bewegen können, neue Stahlträger, modernere Maschinen. Für knapp zwei Millionen Euro wurden viele Dächer saniert und mit Solarmodulen ausgestattet. Auf der Fläche eines abgerissenen Gebäudes, das jahrelang leer stand, soll bald eine Freiflächenphotovoltaikanlage Strom produzieren und so die Energiekosten weiter drücken. Frisch saniert ist die Kantine, in der nun auch Externe essen können, etwa aus dem nahe gelegenen Sitz der Telekom und des Jobcenters.

Investiert wird auch in die Beschäftigten

„Die Investitionen begannen im Inneren, wo immer mehr Automatisierung angesagt ist, und wandern nun nach außen, sodass die Erneuerung des Standorts immer sichtbarer wird“, erklärt Werksleiter Mannherz.

Investiert wird auch in die Beschäftigten. „Gerade haben wir eine Konzernbetriebsvereinbarung über die Zukunft der Arbeit geschlossen, in der es unter anderem um die Gewinnung und Qualifizierung von Beschäftigten geht“, berichtet Thilo Fischer. Ein Baustein dafür ist der Wechsel von Fischers früherem Stellvertreter auf die neu geschaffene Position eines „Skill-Trainers“, der sich nun systematisch der Weiterbildung der Beschäftigten widmet, etwa zum Thema Künstliche Intelligenz. Weitere Stellen wurden für Informatiker, Ingenieure und andere Experten geschaffen, die sich speziell um Automatisierung,  Energieeffizienz und Abfallreduzierung kümmern. Es soll wieder mehr Auszubildende geben, die Zahl der dual Studierenden wurde bereits auf vier erhöht. Heute werden andere Akzente gesetzt als vor der Transformation, und daher werden kaum noch Leihbeschäftigte eingesetzt, sondern eine langfristige Personalpolitik mit eigenen, hoch qualifizierten Beschäftigten steht im Mittelpunkt. Ähnliche Nachrichten wie von den Knorrianern in Heilbronn gibt es aus dem rheinland-pfälzischen Alf.

Pappe statt Plastik

  • Huhtamaki-Betriebsrat Dieter Mainzer (Mitte) mit Kolleginnen und Kollegen
    Nachhaltige Einwegverpackungen: Huhtamaki-Betriebsrat Dieter Mainzer (Mitte) hat mit seinen Kolleginnen und Kollegen hart dafür gekämpft, die neue Technik in das Werk zu holen.

Kaum einer weiß, dass in Alf, das als „Wein- und Urlaubsort“ für sich Werbung macht, auch Millionen der praktischen Plastikdeckel für die Coffee-to-go-Becher hergestellt wurden, etwa für die deutschen Filialen einer amerikanischen Fast-Food-Kette. Sie kommen aus einem Werk, das zum finnischen Konzern Huhtamaki gehört, einem der Giganten auf dem Markt für Einwegverpackungen. Doch der Markt verlangt Alternativen zum Kunststoff, etwa Papier und Pappe. So kommt es, dass in Alf inzwischen zwei Drittel des Personals Zellstoff verarbeiten. Daran hat der Betriebsrat seinen Anteil, wie der Betriebsratsvorsitzende Dieter Mainzer berichtet: „Wir haben uns schon lange dafür eingesetzt, das Thema Nachhaltigkeit voranzubringen.“

Mainzer hat mit seinen Kollegen hart dafür gekämpft, die neue Technik in das Werk zu holen. In den Diskussionen mit dem finnischen Mutterkonzern, wo die neue Technik zum Einsatz kommen sollte, konnte sich das Werk in Alf am Ende gegen Standorte in Osteuropa und Asien durchsetzen. „Für uns sprachen die gute und sichere Energieversorgung und der Kundenwunsch, lange Transportwege zu vermeiden“, sagt Mainzer. Der Konzern verpflichtete sich, zwischen 2020 und 2025 einen hohen, mehrstelligen Millionenbetrag in das Werk in Alf zu stecken. Doch damit, wie das Unternehmen die Transformation im Werk in Alf umsetzen wollte, war der Betriebsrat gar nicht glücklich. Denn der Konzern plante, den neuen Geschäftszweig in ein neues Unternehmen auszugründen. „Die betroffenen Beschäftigten hätten dann in das neue Unternehmen wechseln müssen und hätten keinen Betriebsrat und keine Tarifbindung mehr gehabt“, sagt Mainzer. Heute ist das vom Tisch. Den Plan konnte der Betriebsrat mithilfe der Technologieberatungsstelle Rheinland-Pfalz schon früh verhindern, sodass die Kollegen nur in eine neue Abteilung versetzt wurden. „Da war eine Mischung aus Druck und Überzeugung nötig“, sagt Mainzer. Auch Weiterbildung war ein Thema. „Wir haben gemeinsam daran gearbeitet, dass Lernmaterial entwickelt wird, dass es eine Qualifikationsstrategie gibt und neue Beschäftigte genug Einarbeitungszeit bekommen“, sagt Mainzer. Erfreulich auch: Der Konzern hat für die neue Abteilung rund 70 neue Beschäftigte eingestellt.

Ein Investitionstarifvertrag

Die Zusagen des Mutterkonzerns sind mit einem Investitionstarifvertrag abgesichert, der noch bis Ende 2025 in Kraft ist. Geplant war eigentlich eine Betriebsvereinbarung. Damit der Vertrag aber nicht so leicht gekündigt werden kann, wurde mit der Gewerkschaft IGBCE und dem Arbeitgeberverband der Tarifvertrag abgeschlossen. Der hat sich bisher bestens bewährt.

Da die Restlaufzeit schon in etwas mehr als einem Jahr erreicht ist, haben die Verhandlungen für einen Nachfolgetarifvertrag bereits begonnen. Dieses Mal hat der Betriebsrat ein anderes Ziel. Er möchte erreichen, dass die Löhne wieder steigen.

Für eine Zukunft, in der weniger Kunststoff für Verpackungen genutzt wird, ist das Werk in Alf nun gut aufgestellt. Doch die Beschäftigten mussten für die Standortsicherung zeitweise bis zu zehn Prozent des Tarifentgelts verzichten. Derzeit liegen die Gehälter noch immer 8,5 Prozent unter dem Chemietarifvertrag. „Das Werk hat sich seit der Einführung der Zellstofffasertechnik wirtschaftlich stabilisiert, weshalb wir die Gehälter wieder auf das Tarifniveau bringen wollen“, sagt Mainzer. Dann hält er die neuen Produkte aus Zellstoff in die Kamera. Nachhaltig und made in Germany. Alf hat nun wieder eine gute Zukunft vor sich.

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